„Der Computer ist auch nur ein Mensch“
Der Soziologie-Professor eröffnet die „Düsseldorfer Reden“im Schauspielhaus. Sein Thema ist die Digitalisierung unseres Lebens.
DÜSSELDORF Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der TU München und Autor zahlreicher Bücher, in denen er in klarer Sprache aktuelle gesellschaftliche Phänomene untersucht. Am 15. März, 11 Uhr, eröffnet er die Reihe „Düsseldorfer Reden“, zu der die Rheinische Post gemeinsam mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus einlädt. In seiner Rede wird Nassehi über die gesellschaftliche Funktion der Digitalisierung sprechen und auch den Bereich Künstliche Intelligenz streifen.
Viele Bücher über Digitalisierung versuchen Nutzen und Gefahren der Technologie aufzuzeigen. Sie hingegen wollen gar nicht erklären, was Digitalisierung ist, sondern überlegen, für welches Problem sie die Lösung ist. Welches Problem löst sie denn?
NASSEHI Ich gehe davon aus, dass Techniken sich in der Gesellschaft nur festsetzen, wenn sie eine Funktion erfüllen. Wir leben in einer Welt, die nur noch über datenbasierte Mustererkennungstechniken verstehbar ist. Und zwar ist das so seit Entstehung der Nationalstaaten und des modernen Betriebskapitalismus. Plötzlich wurden Fragen der Versorgungs-, Bildungs-, Militärplanung zu komplex, um sie allein aus der Anschauung zu beantworten. Man musste also unsichtbare Strukturen der Gesellschaft erkennen und Regelmäßigkeiten darin suchen. Die Digitaltechnik ist dafür ideal, weil man dank ihrer mathematischen Leistungsfähigkeit ungeheure Möglichkeiten hat, sowohl Daten zu erzeugen wie Daten auszuwerten. Also Strukturen zu erkennen und Steuerungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Die Digitalisierung frisst sich mit großer Dynamik in alle Lebensbereiche hinein. Was ist Antrieb dieser Dynamik?
NASSEHI Der Motor ist der Erfolg. Wenn man sich fragt, wo Digitalisierung zum Einsatz kommt, muss man sagen: überall. Als Privatmenschen fällt uns das auf, weil wir Geräte zur Datenverarbeitung mitführen, die uns etwa über Mustererkennung sagen, wo wir in einer Großstadt herlaufen müssen, wie wir Preise vergleichen können und so fort. Aber die Technologie kommt auch unsichtbar zum Einsatz: Es gibt keine Ampelschaltung mehr ohne Analyse der Verkehrsströme. Mustererkennung hilft in der Medizin, im Flugverkehr, in der Wirtschaft. Die Technologie ist erfolgreich, weil sie das Leben einfacher und bequemer macht.
Ist der Motor nicht eigentlich Profitstreben? Mit bequemen Lösungen kann man Geld verdienen, darum arbeiten Menschen daran.
NASSEHI Profitstreben ist nie ein Grund für sich. Man muss sich fragen, warum Dinge Profit bringen. Nämlich nur, wenn sie in den konkreten Alltag integrierbar ist, auch wenn dabei manchmal Bedürfnisse befriedigt werden, die man ohne diese Technik gar nicht hätte. Aber natürlich sind Daten der Rohstoff, mit dem man heute Geld verdient. Vor 150 Jahren hat sich Kapital um Kohle und Stahl herum akkumuliert, darum war das Ruhrgebiet mal die reichste Region in Deutschland. Heute ist es eher der Großraum München, denn das Kapital vermehrt sich bei Unternehmen, die Daten erheben und verarbeiten.
Am vorläufigen Ende der Entwicklung steht die Künstliche Intelligenz – nach ihrer Theorie das Muster, das sich selbst erkennt, aus eigenem Antrieb.
NASSEHI Mit Künstlicher Intelligenz beginnt eine neue Entwicklung, nämlich der Schritt von erlebender zu handelnder Technik. Das ist eine soziologische Unterscheidung, Erleben und Handeln, die sich auf die Digitalisierung anwenden lässt. Die Frage lautet: Wem rechne ich Handlungen zu? Die klassische Technologie betrachtet vorhandene Datensätze, das ist Erleben. Inzwischen gibt es aber Technik, die selbst die Daten erzeugt, die sie analysiert. Etwa das autonome Fahrzeug. Das muss aus Sensoren Daten erzeugen, die dann die Welt ergeben, durch die es sich bewegt. Das führt zu Paradoxien, wie man etwa an den Flugzeugabstürzen gesehen hat, bei denen der Bordcomputer alles richtig berechnet hat, das Flugzeug ist aber trotzdem abgestürzt. Das erinnert an den Menschen. Der ist auch auf seinen Wahrnehmungsapparat angewiesen, an dem er nicht vorbeiwahrnehmen kann. Das ist eine deutliche Fehlerquelle. Von Künstlicher Intelligenz erwarten wir aber Unfehlbarkeit – weil sie ja Technik ist. Aber auch formale Systeme sind nicht absolut determiniert.
Der Computer ist auch nicht schlauer als der Mensch?
NASSEHI Wenn Sie so wollen: Der Computer ist auch nur ein Mensch.
Müssen wir uns vor selbstständigen digitalen Systemen fürchten? NASSEHI Zwei Dinge lösen diese Angst aus: dass die Systeme so ungeheuer leistungsfähig sind, uns also in mancher Hinsicht weit überlegen. Und dass die Verantwortungsfrage
für ihre Entscheidungen nicht geklärt ist. Angst ist immer ein Zeichen dafür, dass man die Dinge nicht versteht. Aber wir werden uns daran gewöhnen. Doch ein Problem wird bleiben. Wir können ertragen, nach einem Unfall zu sagen: Es war ein Mensch, der macht eben Fehler. Aber der Satz: Es war ein Algorithmus, der macht eben Fehler – das ist kaum möglich.
Schlimmer ist vielleicht, dass die Technologie das Zeug zur totalen Kontrolle hat.
NASSEHI Ja, etwa über Gesichtserkennung und Bewegungsprofile. Oder auch, indem uns die Technologie Kaufempfehlungen macht, die peinlich genau unseren Geschmack treffen.