Wie der Fußball seine Unschuld verlor
Von Jürgen Klinsmann kann man lernen. Doch, das geht. Denn sein aus der Innenansicht des Zwischendurch-Trainers bei Hertha BSC verfasstes Dossier an den Großinvestor Lars Windhorst ist eine Zustandsbeschreibung des (deutschen) Profifußballs. Über den Torwart Rune Jarstein notiert er „erzeugt keinen Marktwert mehr“, über den Spieler Peter Pekarik „kein Mehrwert“, über Marvin Plattenhardt „nicht leidensfähig“, über Arne Maier „kann über 20 Millionen Euro einbringen“. Der Mensch Fußballer ist für Klinsmann eine Handelsware.
Wer angemessen nüchtern ist, der kann das konsequent nennen. Im Sinne der Geldgeber, wie es die Firma Windhorst ist, die sich mit 224 Millionen Euro 49,9 Prozent der Anteile an der Berliner Fußball-GmbH gesichert hat.
Fans, die der romantischen Idee des Fußballs für alle, der Gemeinschaft in Stadion und Verein anhängen, können derartige Entwicklungen nicht gefallen. Daher rührt der Protest der Ultragruppen gegen Kommerzialisierung und den kühlen Kapitalismus des Profifußballs. Gegen diesen Protest kann niemand etwas haben. Gegen hasstriefende Geschmacklosigkeiten schon, wie sie sich gegen den Hoffenheimer Milliardär Dietmar
Profifußball und Kommerz gehören schon immer zusammen. Deshalb ist der Protest der Ultras so logisch wie naiv und wohl folgenlos fürs Geschäft. Er zeigt aber die zunehmende Entfremdung zwischen den Geschäftsleuten und dem Publikum.
ROBERT PETERS
Hopp richteten. Die Ultras verschließen die Augen vor der Tatsache, dass auch ihre Klubs am Tropf von großen Konzernen hängen. Es sind die Geister, die sich der Profisport an die Wiege rief.
Deshalb ist der Tag, an dem der deutsche Fußball seine Unschuld verlor, ziemlich genau festzumachen. Es ist der 28. Juli 1962, als ernste Männer in grauen Anzügen im Goldsaal der Dortmunder
Westfalenhalle die Gründung der Bundesliga und das Lizenzspielerstatut beschließen. Darin wird festgelegt, dass ein Spieler nicht mehr als 1200 Mark verdienen darf (Ausnahmen bilden Nationalspieler), und dass Ablösesummen bis 50.000 Mark frei zu verhandeln sind. Für heutige Begriffe sind das armselige Zahlen, in den 1960er Jahren aber verdiente ein Arbeitnehmer im Schnitt 590 Mark. Der Kölner Nationalverteidiger KarlHeinz Schnellinger steckte sich für seinen Wechsel zum AC Mailand 550.000 Mark Handgeld ein.
Sein Hamburger Kollege Jürgen Werner reichte angewidert seinen Rücktritt ein. „Es ist der Beginn der Sklavenzeit“, sagte er, „jeder ist des anderen Nebenbuhler, nicht mehr Kamerad.“Klinsmanns Dossier fast 60 Jahre später unterstreicht das.
Die Geschichte der Bundesliga ist aus romantischer Sicht eine Geschichte der Sündenfälle. Einige: der Bundesliga-Skandal 1970/71, als Spiele im Abstiegskampf verschoben wurden. Der Beginn der bunten Unterhaltungsindustrie Fußball Anfang der 1990er Jahre – angefacht durch Sendungen wie „Anpfiff“bei RTL und „Ran“bei Sat.1 , die Bundesliga-Klubs zu Anstalten des Showgeschäfts machte. Die Durchlöcherung der 50+1-Regel. Die hemmungslose Vermarktung der Nationalmannschaft – ausgerechnet mit Beginn des sportlich so erfreulichen Sommermärchens 2006 (unter hervorragender Beteiligung von Klinsmann). Der Aufstieg der Red-Bull-Konzern-Zweigstellen Salzburg, Leipzig, New York.
Die Geldgeber sind an Gewinn interessiert. Das liegt in ihrer Natur. Deshalb verlangen sie die Kontrolle über den Sport, um Gewinne möglichst zu garantieren und ihr Risiko zu senken. Auch darum planen die größten Klubs in Europa eine fast geschlossene Super-Liga. Das finden Investoren gut.
Sie haben die alte Frage, wem der Fußball gehört, beantwortet. Spruchbänder wie diese Woche beim DFB-Pokalspiel in Frankfurt, auf denen stand: „Unser Fußball – durch euch verkauft“, sind daher so berechtigt wie naiv und für die Drahtzieher im Geschäft belanglos. Sie setzen darauf, dass auch die Kritiker weiterhin ins Stadion gehen und dort für Farbe sorgen.
Vielleicht täuschen sie sich. Wenige warnen davor. Jörg Schmadtke, der Wolfsburger Manager, ist einer von ihnen. „Unsere Gedanken drehen sich zu viel um uns selbst“, sagt er, „wir müssen die Menschen wieder mehr mitnehmen, sonst gibt es eine starke Entfremdung.“Die ist längst da. Nicht erst seit dieser Woche.