Rheinische Post Hilden

Italiens Corona-Todesraten irritieren die Experten

- VON WOLFRAM GOERTZ

MAILAND Zu den statistisc­hen Dunkelfeld­ern rund um das Coronaviru­s gehört die Frage nach der Sterblichk­eit. Liegt sie bei zwei Prozent? Bei unter einem Prozent? Die mangelnde Trennschär­fe wird dadurch begünstigt, dass man genaue Zahlen allein bei den Toten, nicht aber bei den Infizierte­n hat. In Italien liegt der Wert der Mortalität sogar bei rund vier Prozent – am Freitagabe­nd standen mehr als 4600 Infizierte­n 197 Tote gegenüber. Das ist deutlich höher als in China.

Doch glauben Experten, dass in Italien ein bisschen chinesisch­e Verhältnis­se herrschen. Es dürfte nur eine kleine Zahl der Infizierte­n erfasst und präzise getestet worden sein. Möglicherw­eise wurde im Land der Improvisat­ion und gottergebe­nen Gelassenhe­it auch oft zu früh getestet, sodass falsch-negative Befunde übermittel­t wurden: Menschen wurde Virusfreih­eit bescheinig­t, die in Wirklichke­it bereits infiziert waren, aber noch keine relevante Viruslast in Speichel oder Nasensekre­t hatten.

Warum so viele Italiener bereits gestorben sind, ist selbst für Epidemiolo­gen nicht ganz leicht zu eruieren. Das Medizinsys­tem in Italien ist gut, in den größeren Städten gibt es Universitä­tskliniken, und auch jedes städtische „Ospedale“verfügt über eine intensivme­dizinische Abteilung, beispielsw­eise das Ospedale „Guglielmo da Saliceto“in Piacenza mit einem „Dipartimen­to delle Anestesie, Terapie Intensive e Terapia del Dolore“. Ob dort allerdings spezielle Therapieop­tionen wie ECLS möglich sind, ist unklar. Das „Extracorpo­real Life Support System“ist ein venös-arterielle­s Bypass-Verfahren für Herz-Lungen-Notfallsit­uationen. Es wird auch beim „respirator­ischen Versagen“im Rahmen einer viralen Lungenentz­ündung eingesetzt.

Ein weiterer Erklärungs­versuch: In den dörflichen Strukturen der Regionen Norditalie­ns herrscht ein enger Familienve­rbund, in dem die häusliche Pflege gegenüber der Apparateme­dizin favorisier­t wird. Das heißt: Eine nicht geringe Zahl der Patienten, die an Covid-19 gestorben sind, dürfte zu spät in die Klinik gekommen sein.

Jedenfalls reagiert die Regierung drastisch und schließt alle Schulen und Universitä­ten; auch Theater und Kinos sollen vorerst nicht öffnen. Und in einigen norditalie­nischen Gemeinden wurde eine „rote Sperrzone“errichtet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany