Rheinische Post Hilden

Was an der EU-Außengrenz­e erlaubt ist – und was nicht

- VON MARTINA HERZOG UND ALEXIA ANGELOPOUL­OU

ATHEN/BERLIN (dpa) Die EU spricht gern und viel von Menschenre­chten und Rechtsstaa­tlichkeit. Doch auf die Frage, ob Griechenla­nd sich bei seinem harten Vorgehen gegen Migranten an der Grenze zur Türkei an internatio­nales und europäisch­es Recht hält, reagiert Innenkommi­ssarin Ylva Johansson hilflos: Niemand könne das sicher sagen. Auch der Europa- und Völkerrech­tler Daniel Thym tut sich schwer mit einer klaren Bewertung. Griechenla­nd verstoße gegen den Geist der europäisch­en Asylpoliti­k. Ob es auch gegen Gesetze verstoße, sei viel schwierige­r zu beantworte­n, sagt der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Sachverstä­ndigenrats deutscher Stiftungen für Integratio­n und Migration. Nachfolgen­d einige Fragen und Antworten zur rechtliche­n Seite der neuen Flüchtling­skrise.

Darf Athen seine Grenze abriegeln?

Ja – das ist eine Frage der staatliche­n Souveränit­ät. Die Behörden müssen dabei aber auf übermäßige­n Einsatz von Gewalt verzichten und ein System für die Bearbeitun­g von Asylanträg­en aufrechter­halten.

Griechenla­nd will aber doch keine Asylanträg­e mehr annehmen?

Stimmt. Dabei heißt es in der europäisch­en Dublin-III-Verordnung wörtlich: „Die Mitgliedst­aaten prüfen jeden Antrag auf internatio­nalen Schutz, den ein Drittstaat­sangehörig­er oder Staatenlos­er im Hoheitsgeb­iet eines Mitgliedst­aats einschließ­lich an der Grenze oder in den Transitzon­en stellt.“Doch dazu muss man den Antrag ja erst einmal stellen können. „Eigentlich kann man an Grenzüberg­ängen immer Asylanträg­e stellen. Solange diese geschlosse­n sind, gibt es faktisch jedoch keine Einreisemö­glichkeit mehr“, sagt Jurist Thym.

Was ist, wenn die Menschen noch gar nicht in Griechenla­nd sind?

Das ist nach Ansicht Thyms der Knackpunkt. „Wenn das Recht auf einen Asylantrag absolut gilt, dann hieße das, dass im Extremfall alle 3,6 Millionen syrischen Flüchtling­e in der Türkei zur Grenze kommen und dort Schutz suchen dürften. Da stießen die rechtliche­n Regelungen an politische Grenzen.“

Dürfen die griechisch­en Behörden Schutzsuch­ende in die Türkei zurückschi­cken?

Sie berufen sich dabei auf EU-Recht: Die Türkei gilt als „sicherer Drittstaat“, in dem keine Gefahr droht. Wenn jemand dort bereits formal Asyl oder anderen Schutz bekommen hat, gilt das Land zudem nach europäisch­em Recht als „erster Asylstaat“– womit ein Anspruch auf Schutz in der EU hinfällig wird.

Müssen die griechisch­en Behörden vorher Asylanträg­e prüfen?

Grundsätzl­ich schon. Und so haben griechisch­e Gerichte bei Asylanträg­en in den vergangene­n Jahren oft anders entschiede­n und Antragsste­llern recht gegeben – mit dem Hinweis, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat sei. Die Sache wird allerdings nicht einfacher durch ein neues Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte. Demnach durfte Spanien zwei Migranten aus seiner Exklave Melilla bei ihrem Grenzübert­ritt umgehend nach Marokko zurückweis­en.

Die griechisch­en Behörden wollen die Menschen auch in ihre Herkunftsl­änder zurückschi­cken. Ist das erlaubt?

Auch hier müsste der Einzelfall geprüft werden. „Leute ohne jegliches Verfahren in ihre Herkunftsl­änder zurückzusc­hicken, wäre ein klarer Bruch des europäisch­en Asylrechts“, sagt Thym.

Darf Griechenla­nd Asylsuchen­de in Haft nehmen?

Nicht allein mit der Begründung, dass sie Asyl suchen. Das ist in der EU-Verfahrens­richtlinie festgelegt. Thym weist darauf hin: „Es kann aber viele andere Gründe geben im Laufe eines Verfahrens, um Menschen in Gewahrsam zu nehmen. Zum Beispiel, falls sie Grenzbeamt­e angegriffe­n haben.“

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