Rheinische Post Hilden

Kimmich kann’s

Bayern Münchens Profi ist vielseitig einsetzbar. Er spielt als Außenverte­idiger so wirkungsvo­ll wie in der Mittelfeld­Zentrale, und er ist ein enorm effektiver Innenverte­idiger – wie zuletzt im Pokal auf Schalke.

- VON ROBERT PETERS

MÜNCHEN Hasan Salihadmid­zic hatte große Mühe, sich wieder einzukrieg­en. „Joshua Kimmich“, sagte Bayern Münchens Sportdirek­tor, „ist einer der besten Spieler Europas.“Kurze Pause. „Der kann einfach alles. Wo man ihn hinstellt, ist er Weltklasse.“Noch mal kurze Pause. „Er ist ein echter Führungssp­ieler geworden.“Ende der Durchsage.

Verdient hatte sich Kimmich (25) diese Lobeshymne im DFB-Pokal-Viertelfin­ale auf Schalke. Zahlen bestätigen eine außergewöh­nliche Leistung. Er kam als Innenverte­idiger auf eine Passquote von 95 Prozent, er hatte 180 sogenannte Ballaktion­en, unter denen beileibe nicht nur Quer- oder Rückpässe waren, sondern eine Menge steil ins vordere Drittel gespielte Vorlagen. Nur neun landeten nicht beim Mitspieler. Und er schoss das einzige Tor des Tages. Selten war es einfacher, den Spieler des Spiels zu küren.

Kimmichs Vorstellun­g ist vor allem deshalb bemerkensw­ert, weil er wegen der langen bayerische­n Verletzten­liste kurzfristi­g in die zentrale Deckung beordert worden war. Das ist weder seine Lieblingsp­osition, noch scheint der gerade mal 1,76 Meter große Kerl dafür körperlich geeignet. Aber was ihm an Länge fehlt, macht er mit Spielintel­ligenz, Schnelligk­eit, Stellungss­piel und anspruchsv­oller Ballbehand­lung wett.

Am Sonntag gegen Augsburg wird er das vermutlich nicht in der Rolle des Innenverte­idigers tun, weil die gelernte Kraft Jerome Boateng wieder fit ist. Aber es scheint ohnehin nicht von entscheide­nder Bedeutung zu sein, wo auf dem Feld Kimmich seine Arbeit verrichtet. Er kann (siehe Salihamidz­ic) offenbar wirklich alles. Fast alles. Ins Tor würde ihn vermutlich keiner seiner Trainer gestellt haben, obwohl er auch dort im Aufwärmtra­ining schon mal eine ganz gute Figur abgegeben hat.

Geboren ist der Nationalsp­ieler für einen Platz im defensiven Mittelfeld. Diesen Job hat er in der Jugend gelernt, und er ist nur deshalb auf die rechte Abwehrseit­e umgezogen, weil bei den Bayern und im Nationalte­am die Konkurrenz in der Mitte zu groß war. In der DFB-Auswahl ist das allerdings schon lange kein Thema mehr, Bundestrai­ner Joachim Löw hat Kimmich im Bemühen um einen Neuaufbau nach der Blamage bei der Weltmeiste­rschaft in Russland vor knapp zwei Jahren auf die strategisc­h so bedeutsame Position der schon sprichwört­lichen Nummer sechs versetzt. Und auch in München ist einer der Gründe für die erfolgreic­hen Monate des neuen Trainers Hansi Flick eine taktische Ordnung, in der Benjamin Pavard den rechten Abwehrflüg­el bearbeitet, während Kimmich im Mittelfeld für Struktur sorgt.

Wie sein großer Vorgänger Philipp Lahm hat er keinerlei erkennbare Probleme damit, seine Position sogar noch während des Spiels zu verändern. Das hat er mit fröhlichem Selbstbewu­sstsein schon vor vier Jahren bei der EM in Frankreich bestätigt. „Es hilft einem sehr, dass man das Spiel aus verschiede­nen Blickwinke­l sieht“, referierte er mit 21 Jahren im abgeklärte­n Tonfall eines vielgereis­ten 30-Jährigen. Und damit es auch jeder hören konnte, sagte er noch: „Ich habe gezeigt, dass ich auf vielen Positionen spielen kann.“

So redet einer, der sich nicht unbedingt kleiner machen will, als er ist. Von übertriebe­ner Demut hält

Das ist die größte Hürde in meinem Leben und das könnte mir helfen: Ich bin ja eher ein positiver Mensch und sehe erstmal das Gute im Leben. Wenn es überhaupt eine Hürde in meinem Leben gibt, dann vielleicht die, dass ich mir wenig Zeit für Freizeit einräume. Und dann gibt es da Arbeitstag­e, nur wenige, aber es gibt sie, da hat man viel Stress, oder es ist sehr emotional, und wenn man nach Hause kommt, ist da als Single erstmal keiner, der wartet, mit dem man sich austausche­n kann. Da gibt es dann schon die Gefahr, dass man auch mal länger im Büro bleibt. Mein Geschlecht empfinde ich nicht als Hindernis. Ich würde auch keine Pfarrerin werden wollen, wenn Frauen das in der katholisch­en Kirche dürften. Ich habe aber auch Kollegen, die mich nicht in die zweite Reihe stellen, weil ich eine Frau bin. Die Bedenken anderer kann ich aber verstehen. Es ist in der heutigen Gesellscha­ft für die meisten nicht nachvollzi­ehbar, dass Männer und Frauen in den Ämtern nicht gleichbere­chtigt sind. Schließlic­h ist das in den meisten anderen Bereichen völlig normal.

Dafür hätte ich gerne mehr Zeit? Zeit für Freunde und Familie oder auch einen Mannschaft­ssport hätte

Kimmich nämlich nichts. So wie er sich in einem Spitzentea­m mit gestraffte­n Schultern und ausgewiese­nem Anspruch auf eine Leitfunkti­on seinen Platz verschafft hat, so spricht er auch. Klar, überlegt, selten in branchenüb­lichen Allgemeinp­lätzen. Es käme ihm nicht in den Sinn, nach Spielen an Kameras und Mikrofonen vorbeizudr­ibbeln.

In einem seiner vielen Zweitberuf­e neben dem Job als Außenverte­idiger und Innenverte­idiger ist Kimmich ein äußerst begabter Medienspre­cher. Wahrschein­lich ist er da schon besser als der ehemalige Bayern-Kollege Mats Hummels und lediglich nicht ganz so unterhalts­am wie der aktuelle Bayern-Kollege Thomas Müller. Bei der Nationalma­nnschaft vertritt er sie inzwischen auch in dieser Funktion herausrage­nd.

Das entspricht den Erwartunge­n des Bundestrai­ners. Löw hat ihn ich gerne mehr. Mein Beruf verlangt es, dass ich oft dann arbeite, wenn andere frei haben – zum Beispiel an den Wochenende­n. Früher habe ich Lateintanz in einer Formation getanzt. Dafür ist keine Zeit mehr. Mit Training und Turnieren an den Wochenende­n hätte ich dann noch mehr Termine. Das Problem ist aber auch, dass ich für einen Mannschaft­ssport sagen müsste, dass ich an einem bestimmten ausdrückli­ch für eine Führungsro­lle vorgesehen. Und es entspricht eben auch den Ansprüchen von Joshua Kimmich.

Mit 25 scheint er reif genug zu sein. In Russland, mit 23, hat er für übertriebe­nes Verantwort­ungsbewuss­tsein noch tüchtig Lehrgeld gezahlt. Weil er vor allem im Eröffnungs­spiel gegen Mexiko einfach alles machen wollte, vor allem im Spiel nach vorn,

Termin in der Woche abends bei er Arbeit nicht zur Verfügung stehe. Das fällt mir schwer.

Darauf bin ich in meinem Leben besonders stolz?

Darauf, dass ich in meinem Leben, das ich mir erarbeitet habe, zufrieden bin. Dass ich einen tollen Job habe, von dem ich finanziell gut leben kann und der mir Spaß macht. Ich bin unabhängig, und darauf bin ich stolz. Dass ich eine starke Unabhängig­keit habe, heißt ja nicht, dass ich isoliert von Freunden und Familie bin. Ganz im Gegenteil. Ich bin in Rees-Millingen aufgewachs­en, war dort in Vereinen und Gruppen und habe dort noch einen großen Freundeskr­eis. Es ist schön, dass ich Familie und Freunde in der Nähe habe und sie regelmäßig und auch spontan sehen kann und dafür nicht durch das halbe Land reisen muss. Und vor ziemlich genau 15 Jahren hatte ich einen schweren Autounfall. Danach musste ich mich zurück kämpfen und habe nicht aufgegeben. Das hat mir gezeigt, dass ich auch schwierige Dinge schaffen kann, wenn ich beharrlich bin. Darauf bin ich schon stolz, und es gibt mir die Sicherheit, dass ich auch heute schwierige Situatione­n bewältigen kann. ließ er Deckung Deckung sein. Dafür bedankten sich die Mexikaner mit feinen Kontern über Kimmichs Abwehrseit­e. So lieferte der Abwehrspie­ler seinen Beitrag zum 0:1 und zum Anfang vom Ende für den amtierende­n Weltmeiste­r.

Kimmich hat daraus gelernt, weil er lernfähig ist. „Ich kann mich immer verbessern, und ich will mich immer verbessern“, beteuert der Musterschü­ler (Abi-Schnitt 1,7). Das finden und fanden alle seine Trainer gut. Pep Guardiola zum Beispiel, von dem Kimmich sagt: „Er hat mir Räume gezeigt, die ich vorher nicht kannte.“Guardiola wiederum erklärte schon vier Jahren nach einem großartige­n Spitzenspi­el Dortmund – Bayern (0:0): „Ich liebe Joshua Kimmich, er bringt alles mit, um alles zu erreichen.“Gespielt hatte Kimmich in der Innenverte­idigung. Übrigens neben David Alaba – wie auf Schalke diese Woche.

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FOTO: AP/MARTIN MEISSNER Hoch das Bein: Bayerns Joshua Kimmich fühlt sich in verschiede­nsten Darbietung­sformen wohl auf dem Platz.
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