Kimmich kann’s
Bayern Münchens Profi ist vielseitig einsetzbar. Er spielt als Außenverteidiger so wirkungsvoll wie in der MittelfeldZentrale, und er ist ein enorm effektiver Innenverteidiger – wie zuletzt im Pokal auf Schalke.
MÜNCHEN Hasan Salihadmidzic hatte große Mühe, sich wieder einzukriegen. „Joshua Kimmich“, sagte Bayern Münchens Sportdirektor, „ist einer der besten Spieler Europas.“Kurze Pause. „Der kann einfach alles. Wo man ihn hinstellt, ist er Weltklasse.“Noch mal kurze Pause. „Er ist ein echter Führungsspieler geworden.“Ende der Durchsage.
Verdient hatte sich Kimmich (25) diese Lobeshymne im DFB-Pokal-Viertelfinale auf Schalke. Zahlen bestätigen eine außergewöhnliche Leistung. Er kam als Innenverteidiger auf eine Passquote von 95 Prozent, er hatte 180 sogenannte Ballaktionen, unter denen beileibe nicht nur Quer- oder Rückpässe waren, sondern eine Menge steil ins vordere Drittel gespielte Vorlagen. Nur neun landeten nicht beim Mitspieler. Und er schoss das einzige Tor des Tages. Selten war es einfacher, den Spieler des Spiels zu küren.
Kimmichs Vorstellung ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil er wegen der langen bayerischen Verletztenliste kurzfristig in die zentrale Deckung beordert worden war. Das ist weder seine Lieblingsposition, noch scheint der gerade mal 1,76 Meter große Kerl dafür körperlich geeignet. Aber was ihm an Länge fehlt, macht er mit Spielintelligenz, Schnelligkeit, Stellungsspiel und anspruchsvoller Ballbehandlung wett.
Am Sonntag gegen Augsburg wird er das vermutlich nicht in der Rolle des Innenverteidigers tun, weil die gelernte Kraft Jerome Boateng wieder fit ist. Aber es scheint ohnehin nicht von entscheidender Bedeutung zu sein, wo auf dem Feld Kimmich seine Arbeit verrichtet. Er kann (siehe Salihamidzic) offenbar wirklich alles. Fast alles. Ins Tor würde ihn vermutlich keiner seiner Trainer gestellt haben, obwohl er auch dort im Aufwärmtraining schon mal eine ganz gute Figur abgegeben hat.
Geboren ist der Nationalspieler für einen Platz im defensiven Mittelfeld. Diesen Job hat er in der Jugend gelernt, und er ist nur deshalb auf die rechte Abwehrseite umgezogen, weil bei den Bayern und im Nationalteam die Konkurrenz in der Mitte zu groß war. In der DFB-Auswahl ist das allerdings schon lange kein Thema mehr, Bundestrainer Joachim Löw hat Kimmich im Bemühen um einen Neuaufbau nach der Blamage bei der Weltmeisterschaft in Russland vor knapp zwei Jahren auf die strategisch so bedeutsame Position der schon sprichwörtlichen Nummer sechs versetzt. Und auch in München ist einer der Gründe für die erfolgreichen Monate des neuen Trainers Hansi Flick eine taktische Ordnung, in der Benjamin Pavard den rechten Abwehrflügel bearbeitet, während Kimmich im Mittelfeld für Struktur sorgt.
Wie sein großer Vorgänger Philipp Lahm hat er keinerlei erkennbare Probleme damit, seine Position sogar noch während des Spiels zu verändern. Das hat er mit fröhlichem Selbstbewusstsein schon vor vier Jahren bei der EM in Frankreich bestätigt. „Es hilft einem sehr, dass man das Spiel aus verschiedenen Blickwinkel sieht“, referierte er mit 21 Jahren im abgeklärten Tonfall eines vielgereisten 30-Jährigen. Und damit es auch jeder hören konnte, sagte er noch: „Ich habe gezeigt, dass ich auf vielen Positionen spielen kann.“
So redet einer, der sich nicht unbedingt kleiner machen will, als er ist. Von übertriebener Demut hält
Das ist die größte Hürde in meinem Leben und das könnte mir helfen: Ich bin ja eher ein positiver Mensch und sehe erstmal das Gute im Leben. Wenn es überhaupt eine Hürde in meinem Leben gibt, dann vielleicht die, dass ich mir wenig Zeit für Freizeit einräume. Und dann gibt es da Arbeitstage, nur wenige, aber es gibt sie, da hat man viel Stress, oder es ist sehr emotional, und wenn man nach Hause kommt, ist da als Single erstmal keiner, der wartet, mit dem man sich austauschen kann. Da gibt es dann schon die Gefahr, dass man auch mal länger im Büro bleibt. Mein Geschlecht empfinde ich nicht als Hindernis. Ich würde auch keine Pfarrerin werden wollen, wenn Frauen das in der katholischen Kirche dürften. Ich habe aber auch Kollegen, die mich nicht in die zweite Reihe stellen, weil ich eine Frau bin. Die Bedenken anderer kann ich aber verstehen. Es ist in der heutigen Gesellschaft für die meisten nicht nachvollziehbar, dass Männer und Frauen in den Ämtern nicht gleichberechtigt sind. Schließlich ist das in den meisten anderen Bereichen völlig normal.
Dafür hätte ich gerne mehr Zeit? Zeit für Freunde und Familie oder auch einen Mannschaftssport hätte
Kimmich nämlich nichts. So wie er sich in einem Spitzenteam mit gestrafften Schultern und ausgewiesenem Anspruch auf eine Leitfunktion seinen Platz verschafft hat, so spricht er auch. Klar, überlegt, selten in branchenüblichen Allgemeinplätzen. Es käme ihm nicht in den Sinn, nach Spielen an Kameras und Mikrofonen vorbeizudribbeln.
In einem seiner vielen Zweitberufe neben dem Job als Außenverteidiger und Innenverteidiger ist Kimmich ein äußerst begabter Mediensprecher. Wahrscheinlich ist er da schon besser als der ehemalige Bayern-Kollege Mats Hummels und lediglich nicht ganz so unterhaltsam wie der aktuelle Bayern-Kollege Thomas Müller. Bei der Nationalmannschaft vertritt er sie inzwischen auch in dieser Funktion herausragend.
Das entspricht den Erwartungen des Bundestrainers. Löw hat ihn ich gerne mehr. Mein Beruf verlangt es, dass ich oft dann arbeite, wenn andere frei haben – zum Beispiel an den Wochenenden. Früher habe ich Lateintanz in einer Formation getanzt. Dafür ist keine Zeit mehr. Mit Training und Turnieren an den Wochenenden hätte ich dann noch mehr Termine. Das Problem ist aber auch, dass ich für einen Mannschaftssport sagen müsste, dass ich an einem bestimmten ausdrücklich für eine Führungsrolle vorgesehen. Und es entspricht eben auch den Ansprüchen von Joshua Kimmich.
Mit 25 scheint er reif genug zu sein. In Russland, mit 23, hat er für übertriebenes Verantwortungsbewusstsein noch tüchtig Lehrgeld gezahlt. Weil er vor allem im Eröffnungsspiel gegen Mexiko einfach alles machen wollte, vor allem im Spiel nach vorn,
Termin in der Woche abends bei er Arbeit nicht zur Verfügung stehe. Das fällt mir schwer.
Darauf bin ich in meinem Leben besonders stolz?
Darauf, dass ich in meinem Leben, das ich mir erarbeitet habe, zufrieden bin. Dass ich einen tollen Job habe, von dem ich finanziell gut leben kann und der mir Spaß macht. Ich bin unabhängig, und darauf bin ich stolz. Dass ich eine starke Unabhängigkeit habe, heißt ja nicht, dass ich isoliert von Freunden und Familie bin. Ganz im Gegenteil. Ich bin in Rees-Millingen aufgewachsen, war dort in Vereinen und Gruppen und habe dort noch einen großen Freundeskreis. Es ist schön, dass ich Familie und Freunde in der Nähe habe und sie regelmäßig und auch spontan sehen kann und dafür nicht durch das halbe Land reisen muss. Und vor ziemlich genau 15 Jahren hatte ich einen schweren Autounfall. Danach musste ich mich zurück kämpfen und habe nicht aufgegeben. Das hat mir gezeigt, dass ich auch schwierige Dinge schaffen kann, wenn ich beharrlich bin. Darauf bin ich schon stolz, und es gibt mir die Sicherheit, dass ich auch heute schwierige Situationen bewältigen kann. ließ er Deckung Deckung sein. Dafür bedankten sich die Mexikaner mit feinen Kontern über Kimmichs Abwehrseite. So lieferte der Abwehrspieler seinen Beitrag zum 0:1 und zum Anfang vom Ende für den amtierenden Weltmeister.
Kimmich hat daraus gelernt, weil er lernfähig ist. „Ich kann mich immer verbessern, und ich will mich immer verbessern“, beteuert der Musterschüler (Abi-Schnitt 1,7). Das finden und fanden alle seine Trainer gut. Pep Guardiola zum Beispiel, von dem Kimmich sagt: „Er hat mir Räume gezeigt, die ich vorher nicht kannte.“Guardiola wiederum erklärte schon vier Jahren nach einem großartigen Spitzenspiel Dortmund – Bayern (0:0): „Ich liebe Joshua Kimmich, er bringt alles mit, um alles zu erreichen.“Gespielt hatte Kimmich in der Innenverteidigung. Übrigens neben David Alaba – wie auf Schalke diese Woche.