Von wegen Gute-Laune-Onkel
Boris Becker soll als „Head of Men‘s Tennis“die deutschen Spieler zurück in die Weltspitze führen. Seinen Job nimmt der 52-Jährige ernster, als viele es erwartet hätten. Beim Davis Cup in Düsseldorf gab es aber einen ersten Dämpfer.
DÜSSELDORF Es ist gewiss nicht immer leicht, Boris Becker zu sein. Für die allermeisten ist er für immer 17 geblieben. 1985 gewann er zum ersten Mal das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon. Jahrelang galt er als Witzfigur. An diesem Image hat er selbst hart gearbeitet. Wechselnde Liebschaften, Steuerbetrügereien und eine insgesamt bemitleidenswerte Selbstdarstellung – viele sahen ihn schon als Teilnehmer im Dschungelcamp. „Bobbele“ist für viele einfach nur noch peinlich gewesen.
Becker hat wenig von dem, was ihn auf dem Platz ausgemacht hat, ins echte Leben übertragen können. Wer ein guter Sportler ist, muss nicht automatisch auch ein Genie am Verhandlungstisch sein. Was Becker allerdings bis heute geblieben ist: sein Kämpferherz. Und so ist er aufgestanden und immer wieder aufgestanden, als er schon abgeschrieben war. Mittlerweile ist er als sogenannter Head of Men‘s Tennis für den kompletten deutschen Herrenbereich verantwortlich. Ehrenamtlich. Man glaubte zunächst nur an einen Marketinggag. Würde Becker wirklich bereit sein, die Ärmel hochzukrempeln? Bei der Davis Cup-Partie zwischen Deutschland und Weißrussland im Castello in Düsseldorf kann man sich ganz gut ein Bild davon machen, wie groß seine Bedeutung ist. Becker ist einer der ersten auf dem Trainingsplatz und einer der letzten, die die Halle wieder verlassen. „Er packt mit an“, sagt Dirk Hordorff, Vize-Präsident des Verbands. „Von wegen Gute-Laune-Onkel! Er macht einen hervorragenden Job und gibt unheimlich viele Impulse.“
Boris Becker hat sich beim DTB einen Wohlfühlbereich geschaffen. In diesem Umfeld wird er verstanden, in dieser Umgebung fühlt er sich sicher. Er beobachtet, er korrigiert, er spricht an, er verändert. Das alles macht er ohne viel Tamtam. Er hat seinen Bereich und überlässt Michael Kohlmann, dem Kapitän des Teams, seine Freiräume. „Er vermittelt den Jungs immer wieder dieses Selbstverständnis, mit dem er mit Druck umgegangen ist“, sagt Kohlmann „Sport.de“. „Er ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Teams.“
Der Deutsche Tennis-Bund hat sich lange mit Becker schwer getan. Die Funktionäre hatten nicht viel unternommen, das Aushängeschild über fast zwei Jahrzehnte angemessen in Schutz zu nehmen. Speziell in England, aber auch in vielen anderen Ländern wurde am Heldenstatus von Becker nie gekratzt. So kam es auch zum Engagement im Trainerstab
von Novak Djokovic. Bilanz der Zusammenarbeit mit dem Serben: sechs Grand- Slam-Titel. Spätestens zu dem Zeitpunkt war klar: Becker ist zurück in seinem Revier.
Düsseldorf sollte eigentlich nur das Aufwärmprogramm sein. Weißrussland ist international eine ziemlich kleine Nummer im Tennis – Spitzenspieler Egor Gerassimow ist aktuell die Nummer 68 der Welt. Für Deutschland, das zeigte sich am ersten Tag, gibt es offensichtlich keine kleinen Gegner mehr. Bei einem Sieg würde sich das DTB-Team für die
Davis-Cup-Endrunde im November in Madrid qualifizieren. Das Format steht stark in der Kritik, vom alten Flair des Wettbewerbs ist wenig bis gar nichts übriggeblieben. Und dennoch ist es eine große Chance für die Deutschen, sich als Team überhaupt einmal auf einer etwas größeren Bühne zu präsentieren.
Becker hat das alles schon erlebt. Als Strippenzieher hinter den Kulissen ist er darum bemüht, Alexander Zverev bei Laune zu halten. Der hatte für die Partie in Düsseldorf abgesagt und bereitet sich lieber bei einem zweitklassigen Turnier auf die anstehenden Aufgaben vor. Alle Seiten sind eifrig darum bemüht, die Nummer nicht unnötig aufzubauschen. Der Davis Cup hat einfach zu viel an Stellenwert verloren, um ein Druckmittel in der Hand zu haben. Man ist auf die Bereitschaft von Zverev angewiesen – und einen Becker, der vermittelt.
In Abwesenheit von Zverev übernimmt wie schon im vergangenen November in Madrid Jan-Lennard Struff die Rolle des deutschen Spitzenspielers. Der 29 Jahre alte Warsteiner hat eine erstaunliche Entwicklung genommen und auch in diesem Jahr schon mit starken Leistungen überzeugt. In diesen Tagen von Düsseldorfer hat Becker mit ihm immer wieder das Gespräch gesucht und Tipps mit auf den Weg gegeben.
Das erste Einzel gewann Struff souverän 6:4, 6:4. Routinier Philipp Kohlschreiber patzte dagegen – er musste sich 6:4, 5:7, 6:7 (3:7) gegen Gerassimow geschlagen geben. So war das natürlich nicht geplant. Aber was läuft im deutschen Tennis schon nach Plan? Die Entscheidung kann also nicht im Doppel fallen. Ab 12 Uhr (live bei sportdeutschland.tv) sind Kevin Krawietz (Coburg) und Andreas Mies (Köln) im Einsatz. Die amtierenden French-Open-Sieger treffen auf Gerassimow und Alexander Sgirowsky. Zum Abschluss folgen die Einzel zwischen Struff und Gerassimow sowie Kohlschreiber und Ilja Iwaschka.
Vielleicht hat ja Becker noch ein paar Tipps und Tricks parat.