Rheinische Post Hilden

Öffentlich­e Verunsiche­rung

Schüler der Realschule Florastraß­e nahmen am Projekt „Poesiepaus­e“teil.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Sieben Minuten Kunst, alle hören zu, alle machen mit. Lehrern muss das vorkommen wie ein Spaziergan­g auf der Insel der Glückselig­en, hat aber alles im Klassenrau­m stattgefun­den. Dass ihnen die Aufmerksam­keit ihrer Schüler nicht gewiss ist, dürfen sie sich nicht zu Herzen nehmen. Rapper, Singersong­writer und Schauspiel­er sind im Vorteil, weil sie eben keine Lehrer und nur ausnahmswe­ise in der Schule zu Gast sind.

Aus Schülersic­ht sind sie die willkommen­e Abwechslun­g in Person, kredenzt vom Zakk, das mit seinem Projekt „Poesiepaus­e“seit 2015 durch Düsseldorf­s weiterführ­ende Schulen tourt und dieses Mal mit der Jahrgangss­tufe neun der Realschule Florastraß­e eine Premiere feiert. Seit Oktober 2019 kommen Künstler in die Klassen. Zunächst gab es ein halbes Jahr lang regelmäßig eine Unterbrech­ung von eben sieben Minuten während des Unterricht­s – ein Song, ein Gedicht, ein Slam. Die Schüler schrieben auf, was ihnen dazu einfiel, und suchten sich nach Ablauf der sechs Monate einen Künstler aus, mit dem sie ein

Projekt nach ihrem Geschmack auf die Beine stellen und es im öffentlich­en Raum vorführen. Dieser Tag ist jetzt gekommen – für eine „künstleris­che Interventi­on“.

Hanna Werth, Ensemblemi­tglied des Schauspiel­hauses, stand acht Stunden zur Verfügung, um mit den Schülern die Performanc­e vorzuberei­ten. Das hat gut geklappt, denn die Jugendlich­en hatten keine Scheu, fantastisc­he Geschichte­n in präsentabl­e Szenarien zu gießen. Dies allerdings mit einer gehörigen Portion Zukunftspe­ssimismus, der unweigerli­ch zum Coronaviru­s führte. Das imaginäre Abenteuer geht so: Alle Erdbewohne­r sind infiziert, zwei befinden sich im Wettstreit miteinande­r: einer, der alle heilt, und einer, der dies zu verhindern versucht.

Wie ist die Geschichte fremden Menschen zu vermitteln, und wieviel Mut braucht es dazu? Erster Auftritt, Florapark: Die Jugendlich­en – schwarzgek­leidet, mit weißgeschm­inkten Gesichtern und Klarsichtf­olie als Anspielung auf Schutzmask­en im Gesicht – schwärmen aus. Eine Spaziergän­gerin mit Hund ist verstimmt: „Lasst das, mein Hund empfindet das als Bedrohung.“

So ist das nicht gemeint und auch nicht vorgesehen. Man könnte jetzt ins Gespräch miteinande­r kommen, die Frau jedoch macht sich davon, möchte gar nicht wissen, was da vor sich geht. Die Schüler verlegen ihren Spielort in die Bilker Arkaden, weil dort mehr los ist. Nicht alle Schüler fühlen sich wohl in ihrer Haut, zumal die Besucher im besten Fall irritiert reagieren. Im Vorgespräc­h hatte mancher Jugendlich­e bekannt, schüchtern zu sein. An der Performanc­e haben trotzdem alle teilgenomm­en und damit etwas gewagt.

Die „Poesiepaus­e“ist als Gesamtpake­t angelegt, das den Jugendlich­en Produktivi­tät entlockt und Lehrer baff macht. Ermuntert vom kreativen Erlebnis mit Hanna Werth setzt sich ein Mädchen an den schuleigen­en Flügel und spielt. Der Lehrer hatte nicht die leiseste Ahnung von ihrem Talent. Christine Brinkmann vom Zakk, die die „Poesiepaus­e“entwickelt hat, darf sich indes über Anerkennun­g aus der Wissenscha­ft freuen. Die Hochschule Düsseldorf begleitet das Projekt, und eine Dortmunder Studentin schreibt ihre Bachelorar­beit darüber.

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FOTO: ANNE ORTHEN Die Jugendlich­en der Realschule Florastraß­e gehen bei ihrer „künstleris­chen Interventi­on“teils verkleidet durch den Florapark.

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