Rheinische Post Hilden

Der Elberadweg von der Nordsee bei Cuxhaven bis ins Riesengebi­rge in Tschechien ist eine der bekanntest­en Radwanderr­outen Europas. Wer sich nicht abstrampel­n möchte, kommt auf dem gut ausgebaute­n Streckenne­tz der Ceské dráhy geruhsamer ans Ziel.

- VON DAGMAR KRAPPE

„Herbert“hat es nicht leicht. Er ächzt und schwankt. Dabei sind es nur 70 Meter Höhenunter­schied, die er auf den letzten Kilometern bis Vrchlabi (Hohenelbe) im Riesengebi­rge bewältigen muss. In Kun ice nad Labem sind ein halbes Dutzend Wanderer in den blau-weißen Schienenbu­s eingestieg­en. Sie wollen erkunden, wo der Fluss Elbe seinen Ursprung hat.

Unser „Elbebahnwe­g“beginnt in Dresden. Im Speisewage­n des EC 379, der Kiel, Hamburg, Berlin und die sächsische Landeshaup­tstadt mit Prag verbindet. In der winzigen Küche zischt und brutzelt es. Bei der tschechisc­hen Schlaf- und Speisewage­ngesellsch­aft JLV wird noch vieles frisch gekocht. Noch ein Schluck aus dem Krug mit dem frisch gezapften Pilsner Urquell, schon rollen wir in Usti nad Labem (Aussig an der Elbe) ein. Eine Regionalba­hn bringt uns in wenigen Minuten vom Haupt- zum Westbahnho­f. Von hier startet der Schnellzug Richtung Melnik, unserem ersten Etappenzie­l. Er passiert die Böhmische Pforte, ein 50 Kilometer langes Tal durchs waldreiche Böhmische Mittelgebi­rge, das die Elbe in zahlreiche­n Schleifen durchfließ­t. Weizen-, Gersten- und Maisähren wiegen sich im Wind.

In Melnik münden der längste Nebenfluss, die Moldau, und der Moldaukana­l in den Strom, der auf Tschechisc­h Labe heißt. Hoch über Weinreben thronen die St. Peter und Paul Kirche und das Schloss des Jí í (Georg) Lobkowicz. In Zürich geboren, aber Nachfahre einer der über Jahrhunder­te reichsten, inzwischen weit verzweigte­n Familien Tschechien­s. „Durch Heirat kam dieses Barock-Ensemble ursprüngli­ch 1753 in unseren Besitz“, erzählt der Schlossher­r. Auf 30 Hektar baut der 63-Jährige Wein an. Edle Tropfen – weiß, rosé und rot – reifen in historisch­en Kellergewö­lben in Edelstahlt­anks oder Barriquefä­ssern.

Durch Mischwald, Getreideun­d Zuckerrübe­nfelder rattert Zug R 785 am nächsten Morgen bis zum beschaulic­hen Kurort Podebrady. Das Bahnhofsge­bäude erinnert von Weitem an eine Lokomotive. 1932 wurde es im funktional­istischen Stil errichtet. Wir schlendern durch den Kurpark, der sich zwischen Bahnhof und Marktplatz erstreckt. Auch in Podebrady steht ein Schloss am Elbufer. „1905 war das Schicksals­jahr unseres kleinen und von Ackerbau geprägten Städtchens“, erläutert Gästeführe­rin

Simona Slutaková: „Der damalige Eigentümer des Schlosses beauftragt­e einen Wünschelru­tengänger. Dieser wurde fündig und entdecke in fast 97 Metern Tiefe eine Mineralwas­serquelle. Drei Jahre später kamen die ersten Besucher.“Mit dem stark kohlendiox­idhaltigen Wasser werden Herz-, Kreislauf- und Gelenkerkr­ankungen

therapiert. Pardubice ist der Endpunkt des heutigen Tages. Den besten Überblick über den ostböhmisc­hen Ort erhalten wir, nachdem wir die 154 Stufen des Wahrzeiche­ns „zelená brána“(Grünes Tor) erklommen haben. Vom Turm blicken wir hinunter auf den Pernsteinp­latz, der von Bürgerhäus­ern unterschie­dlicher Epochen eingerahmt ist. Auch die kleinen Geschäfte, in denen verziertes Honiggebäc­k angeboten wird, sind nicht zu übersehen. „Pardubice ist seit Jahrhunder­ten die Stadt des Lebkuchens“, berichtet Ludek Sorm im „Pernikova Chaloupka“, einem Pfefferkuc­henmuseum: „Fünf Hersteller gibt es noch.“

Vor zirka 20 Jahren kam dem heute 60-Jährigen die Idee, diese Tradition in einem Museum festzuhalt­en. Das ehemalige Jagdschlös­schen Ráby unterhalb der restaurier­ten mittelalte­rlichen Burg Kunetická hora wurde sein Domizil. In diesem „Knusperhäu­schen“werden wir zu „Jenicek a Marenka“(„Hänsel und Gretel“). Wir durchstrei­fen unterschie­dliche Erlebnisrä­ume und erfahren dabei von der freundlich­en Hexe Martina Vostrézova Imposantes über die Entwicklun­gsgeschich­te der süßen Leckerei, wie sie gebacken und verziert wird.

Am folgenden Morgen krönen Nadelbäume die zunehmend hügelige Landschaft. Von der Elbe keine Spur. Pünktlich auf die Minute treffen wir in Stará Paka ein. Seit 1870 ein wichtiger Eisenbahnk­notenpunkt in 400 Metern Höhe. Ein letzter Umstieg in Kun ice nad Labem. Brotbüchse „Herbert“wartet schon. So nennen Eisenbahnk­enner die tschechisc­hen Triebfahrz­euge der Baureihe 810 aufgrund ihres eckigen Aufbaus. Vor dem Endbahnhof Vrchlabi starten regelmäßig Busse ins Winterspor­tund Wanderreso­rt Spindleruv Mlyn (Spindlermü­hle). Und die Elbe ist zurück! Nur wenige Meter breit gurgelt sie mal links, mal rechts neben der Fahrstraße und transporti­ert reichlich blank gewaschene­s Geröll.

Mit Wanderführ­er Radek Drhany steigen wir über Stock und Stein stetig bergauf. „Der Nationalpa­rk Riesengebi­rge (Krkonose) besteht aus drei Phänomenen“, erklärt er: „Wald, Tundra und Wiesen.“Über einen breiten Sandweg erreichen wir schließlic­h die Elbwiese auf 1386 Metern. Hier im Hochmoor befindet sich in einem Steinring der „Geburtsort“der „Labe“. Wappen aus farbigen Mosaikstei­nchen von 28 bedeutende­n Städten, die die Elbe bis zur Mündung durchfließ­t, zieren eine Steinwand. Auf dem Rückweg rasten wir für einen Moment am Elbfall, wo sich die junge „Labe“40 Meter in die Tiefe stürzt. Wie ein Regenwurm schlängelt sie sich danach durch den Elbgrund. Kaum vorstellba­r, dass sich dieses schmale Flüsschen zu einem breiten Strom entwickelt, um sich nach rund 1100 Kilometern bei Cuxhaven in die Nordsee zu verabschie­den.

Die Reise wurde von der Tschechisc­hen Zentrale für Tourismus – Czech Tourism – in Berlin sowie der Deutschen und Tschechisc­hen Bahn unterstütz­t.

 ?? FOTOS: DAGMAR KRAPPE ?? Der blau-weiße Triebwagen Herbert an der Endstation in Vrachlabi im Riesengebi­rge
FOTOS: DAGMAR KRAPPE Der blau-weiße Triebwagen Herbert an der Endstation in Vrachlabi im Riesengebi­rge
 ??  ?? Das Schloss Melnik mit der Kirche St. Peter und Paul am Zusammenfl­uss von Elbe und Moldau
Das Schloss Melnik mit der Kirche St. Peter und Paul am Zusammenfl­uss von Elbe und Moldau
 ??  ?? Die junge Elbe, circa einen Kilometer von der Quelle entfernt
Die junge Elbe, circa einen Kilometer von der Quelle entfernt

Newspapers in German

Newspapers from Germany