Mehr Gewalt an Kindern erwartet
Statistisch erwiesen sind die Befürchtungen nicht. In Düsseldorf stiegen die Zahlen minimal.
DÜSSELDORF Johannes Horn hatte am Sonntag angekündigt, dass sich die Zahl der Jungen und Mädchen, die die Notbetreuung der Kindertagesstätten in Anspruch nehmen, von zuletzt etwa 1800 auf bis zu 4000 in dieser Woche erhöht. „Eine Bringberechtigung ist noch lange keine Inanspruchnahmeverpflichtung. Wenn Eltern ihre Kinder zu Hause lassen können, dann sollten sie das weiterhin tun“, sagt der Düsseldorfer Jugendamtsleiter.
Weil seit Mitte März zur Verlangsamung der Coronavirus-Ausbreitung Kitas und Schulen geschlossen sind und in diesen Tagen nur schrittweise wieder öffnen, stellen die Betreuungsangebote aber eine Entlastung für viele Familien dar. Denn die Situation ist in manchen Familien angespannt. Pädagogen und Kinderrechtsaktivisten erwarten mehr häusliche Gewalt, die Kinder entweder miterleben oder deren Opfer sie selbst werden. Auch mehr sexueller Missbrauch sei laut Experten zu befürchten. Gleichzeitig sei es für betroffene Mädchen und Jungen in der Corona-Krise schwieriger, sich an Erwachsene außerhalb des eigenen Haushalts zu wenden – an die Großeltern etwa oder an Lehrer und Sozialarbeiter.
Experten gehen also davon aus, dass Fälle häuslicher Gewalt gegen Kinder gestiegen sind, doch statistisch sichtbar wird die Vermutung derzeit nicht. Findet die Gewalt hinter verschlossenen Türen statt? Jugendamtsleiter Horn kann nur für Düsseldorf sprechen und stellt dort bislang keine Ausreißer nach oben fest. Das Jugendamt gehe wie immer Meldungen, Hinweisen und Anzeigen nach, „im Endeffekt sind es aber die gleichen, minimal veränderten Zahlen“. Auch bei der Inobhutnahme von Mädchen und Jungen bis 17 Jahren gebe es in der Corona-Krise keine besonderen Veränderungen. In der vergangenen Woche seien von insgesamt 32 Plätzen 21 belegt gewesen. Die Zahl der Inobhutnahmen bleibe laut Horn etwa gleich, sie werde derzeit aber mehr als sonst von Düsseldorfer Familien in Anspruch genommen. Es gebe während der Corona-Krise dafür weniger Fälle von auswärtigen Kindern und Jugendlichen, die die schnelle Hilfe benötigen.
Hauptsächlich ist das Jugendamt weiterhin in der Beratung tätig. Und weil in der Sozialpädagogik eigentlich der persönliche Austausch von Gesicht zu Gesicht normal ist, aber in Corona-Zeiten schwierig umsetzbar, wurden andere Wege der Kommunikation wie Videokonferenzen zum regelmäßigen Austausch gefunden. „Wir arbeiten weiter eng mit den Familien zusammen. Und dort, wo wir das Gefühl haben, dass es kritisch ist, fahren wir auch immer noch raus“, erklärt Horn. Denn natürlich gebe es Familien, die mit der momentanen Situation überfordert sind und in denen es die Eltern lieber haben, wenn Schulen und Kitas wieder öffnen. Die Zahl der Fälle mit Gefährdungspotenzial möchte der Leiter des Jugendamtes allerdings nicht nennen: „Wir haben diese Familien im Blick, das Jugendamt schaut nicht weg.“
Bei allen Problemen, die die Corona-Krise verursacht hat, gibt es für Horn aber auch einen positiven Aspekt. Die Stadt habe aus der Not heraus in der digitalen Erziehungsberatung einen großen Schritt nach vorn gemacht, die Instrumente dazu hätten „lange brach gelegen“. „Es gibt zum Beispiel einen Fall, bei dem der Vater in der Schweiz lebt und die Mutter mit den Kindern hier. Dreimal musste der Termin schon abgesagt werden, aber mit der Videokonferenz gab es jetzt kein Davonkommen mehr“, berichtet Horn.
Auch das kostenlose Online-Erziehungsprogramm für Eltern mit Kindern bis zwölf Jahren, genannt Triple P (Positive Parenting Program), das seit der Krise eingesetzt wird und aus Übungen, Videos und Arbeitsblättern besteht und wie ein Ratgeber funktioniert, werde schon von mehr als 450 Familien und damit sehr gut angenommen.