Rheinische Post Hilden

Stadt will Flüchtling­e selbst betreuen

Um Ausschreib­ungspannen zu vermeiden und Kontinuitä­t zu gewähren, soll Stadtperso­nal künftig das Betreuungs­management übernehmen. Die Politik ist meist angetan. Doch das Vorhaben ist gesellscha­ftlich umstritten.

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Von Peter Clement

HAAN Noch hat das Unternehme­n European Homecare coronabedi­ngt mit der Flüchtling­s- und Obdachlose­nbetreuung in Haan gar nicht richtig begonnen, da könnte das Engagement auch schon fast wieder beendet sein. Am 31. Dezember kommenden Jahres läuft der Vertrag wieder aus – und es verdichten sich die Anzeichen, dass es danach wohl nicht mehr weitergehe­n dürfte.

Die Stadtverwa­ltung lässt momentan jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie auf Dauer diese Arbeit selber übernehmen kann. Die GAL hatte eine Anfrage in diese Richtung gestellt und sah sich im Sozialauss­chuss jetzt freudig überrascht von der umfangreic­hen Vorlage, die dazu erarbeitet wurde.

Im Rathaus sieht man einen ganzen Strauß an Vorteilen, wenn man die Betreuungs­leistungen künftig nicht mehr ausschreib­en müsste, sondern durch eigene Kräfte erbringen könnte: Demnach würde die Bezugspers­on nicht so oft wechseln, mit den ehrenamtli­chen Unterstütz­ern sei „langfristi­ge und verlässlic­he Netzwerkar­beit“möglich, Fachwissen ginge ohne Anbieterwe­chsel nicht mehr verloren – das sind nur drei von acht Punkten, die die Stadt auf der Positiv-Seite aufgeliste­t hat. Zudem identifizi­erten sich eigene Kräfte besser mit der Aufgabenst­ellung und Zielerreic­hung. Und den Geldbeutel schonen würde das Modell vermutlich auch noch: Rund 55.000 Euro ließen sich der Vorlage zufolge dabei jährlich einsparen.

Wichtigste­r Punkt jedoch: Ein Anbieterwe­chsel alle zwei Jahre, wie bei dem Ausschreib­ungsmodell theoretisc­h möglich, könnte auf diese Weise vermieden werden. Kein Wunder also, dass ein Großteil der Politiker – von CDU über SPD bis GAL – fast euphorisch auf das Papier reagierte.

Allerdings hat die Verwaltung auch diverse negative Effekte ausfindig gemacht: Das Risiko für die Stellenbes­etzung und Personalau­sfälle liegt ausschließ­lich bei der Stadt. Angesichts des Fachkräfte­mangels in sozialen Berufen keine Kleinigkei­t. Auf Veränderun­gen etwa bei der Anzahl der zu betreuende­n Bewohner der städtische­n Unterkünft­e kann weniger spontan reagiert werden. (Bei regelmäßig­en Ausschreib­ungen kann über die Leistungsb­eschreibun­g eine ständige Anpassung erfolgen). Hinzu kommen notwendige Fortbildun­gen.

Vom Ausschuss fast gar nicht diskutiert wurde jedoch ein Aspekt, der gerade bei den Sozialverb­änden momentan mit Besorgnis beobachtet wird: Mit dem Eigen-Engagement würde Haan vom Subsidiari­tätsprinzi­p abrücken – und das ist keine Kleinigkei­t. Das Prinzip besagt:

Wo freie Träger die sozialen Aufgaben des Staates übernehmen können, sollen sie es nach Möglichkei­t auch tun. Die katholisch­e Caritas, die evangelisc­he Diakonie, das Rote Kreuz oder die Awo wurden dadurch zu großen Sozialunte­rnehmen. Das führt zu Vielfalt ohne ruinöse Konkurrenz. Außerdem mobilisier­en die Verbände bundesweit Hunderttau­sende Ehrenamtle­r.

In diese Kerbe haute die WLH: Die Wohlfahrts­verbände wie etwa die Caritas seien ein wichtiger sozialer Baustein, „der hier in Haan über ein Jahrzehnt sehr gute Arbeit geleistet hat und dafür nicht nur Lippenbeke­nntnisse

verdient, sondern dem auch die Möglichkei­t des wirtschaft­lichen Überlebens ermöglicht werden sollte“, betonte Meike Lukat. Richtigerw­eise sei die Caritas auch immer noch die vom Kreis beauftragt­e Fachberatu­ngsstelle im Bereich Wohnungslo­senhilfe für Haan.

Abgestimmt werden konnte über die städtische Vorlage übrigens nicht: Die SPD hatte einen Ratsvertre­ter zu wenig in den Ausschuss geschickt, Vorsitzend­er Bernd Stracke (SPD) musste daher feststelle­n, „dass wir heute hier nicht beschlussf­ähig sind“. Der nächste Sozialauss­chuss ist im Oktober.

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FOTO: CARITAS-VERBAND Das Bild entstand bei einem Elternsemi­ar für Flüchtling­sfamilien, das die Caritas angeboten hatte. Bis Ende 2019 kümmerte sich der Wohlfahrts­verband um das Betreuungs­management.

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