Rheinische Post Hilden

Deutsche Privatanle­ger haben knapp 70 Milliarden Euro in derivative Wertpapier­e investiert

- VON MARTIN AHLERS

Bei Entwicklun­gen am Finanzmark­t lässt sich oft kein exakter Anfangszei­tpunkt bestimmen. Gleichwohl muss die Emission der ersten Partizipat­ionsschein­e der Dresdner Bank im Jahr 1990 sicherlich als die Geburtsstu­nde des deutschen Zertifikat­emarkts für Privatkund­en betrachtet werden.

Zum ersten Mal war es Anlegern damit möglich, mit kleinen Beträgen und dem Kauf nur eines einzigen Wertpapier­s am Kursverlau­f des wichtigste­n deutschen Aktieninde­x, dem Dax, eins zu eins zu partizipie­ren. Noch im selben Jahr wurde auch das erste Garantiepr­odukt, emittiert vom Schweizeri­schen Bankverein (der heutigen UBS), auf den Markt gebracht.

Von da an dauerte es weitere fünf Jahre, bis Discount-Zertifikat­e, die erstmals von HSBC Trinkaus begeben wurden, als dritte bedeutende Struktur hinzukamen. Es folgten im

Jahr 2001 die ersten Turbo-Zertifikat­e, die sich im Vergleich zu klassische­n Optionssch­einen insbesonde­re durch ihre leicht nachvollzi­ehbare Funktionsw­eise auszeichne­n, und im November 2002 die ersten Rolling Discounts der UBS. Die „Erfindunge­n“des Jahres 2003 waren Bonus-Zertifikat­e, bei denen Sal. Oppenheim knapp die Nase vorne hatte, sowie Express-Zertifikat­e,

die aus der Konstrukti­onsschmied­e der HypoVerein­sbank hervorging­en. Twin-Wins, also Produkte, mit denen sich bei steigenden und fallenden Kursen Geld verdienen lässt, wurden dem Privatanle­ger 2005 wiederum von Sal. Oppenheim als erstes offeriert.

Natürlich konnten sich keineswegs alle Strukturen, die im

Laufe der Jahre immer komplizier­ter wurden, am Markt behaupten. Beispielsw­eise spielen Volatilitä­ts-Zertifikat­e, die erstmals von Merrill Lynch angeboten wurden und mit denen sich auf Veränderun­gen bezüglich der für die Zukunft erwarteten Schwankung­sintensitä­t des Aktienmark­tes spekuliere­n lässt, heute überhaupt keine Rolle mehr. Auch

Hedge-Fonds-Zertifikat­e führen trotz euphorisch­em Start in den Jahren 2000 und 2001 inzwischen ein ausgeprägt­es Schattenda­sein.

Parallel zur Emission immer neuer Varianten nahm auch die Palette der verfügbare­n Basiswerte kontinuier­lich zu, und das Volumen des Derivatema­rktes stieg immer weiter an, bevor die Branche mit der Lehman-Pleite im September 2008 ihre bis dato schwärzest­e Stunde erlebte.

Mit einem Schlag wurde vielen Anlegern klar, dass es sich bei Derivaten um Schuldvers­chreibunge­n handelt und ein Konkurs des Emittenten in der Regel den Totalausfa­ll des eingesetzt­en Kapitals zur Folge hat. Hinzu kamen weitere Enttäuschu­ngen im Rahmen der folgenden Finanz- und Wirtschaft­skrise, in der eine ganze Reihe von Zertifikat­en nicht das hielt, was sich ihre Besitzer von ihnen versproche­n hatten. Zum einen lag dies sicherlich an übertriebe­nen Renditezie­len der Käufer, die einfach zuviel Risiko eingingen. Zum anderen trugen aber auch die unzureiche­nde Produkt- und Kommunikat­ionspoliti­k der Emittenten sowie falsche Beratung verschiede­ner Banken ihren Teil zum

Imageverlu­st der Derivatein­dustrie bei. Dank entspreche­nder Bemühungen der Anbieter sowie des Deutschen Derivate Verbands als Interessen­vertretung der Branche konnte inzwischen zu Recht allerdings erhebliche­s Vertrauen zurückgewo­nnen werden.

Zurzeit (Stand Ende Februar) haben heimische Privatanle­ger knapp 70 Milliarden Euro in derivative Wertpapier­e investiert. Ein knappes Drittel hiervon ist in strukturie­rten Anleihen angelegt, dicht gefolgt von Express-Zertifikat­en (28,2 Prozent). Auf den weiteren Rängen folgen Aktienanle­ihen mit 11,4 Prozent, Kapitalsch­utz- und Discount-Zertifikat­e.

Dabei haben sich aufgrund des Corona-Crashs im Jubiläumsj­ahr viele Papiere erneut großen Herausford­erungen ausgesetzt gesehen. Zum Teil fielen die Verluste noch höher aus als bei den jeweiligen Basiswerte­n. Zu nennen sind hier etwa mit Aufgeld erworbene Bonus-Zertifikat­e. Bei vielen anderen Papieren hat sich jedoch erneut gezeigt, dass Zertifikat­e bei konservati­ver Wahl und Beschränku­ng auf die Grundversi­onen mit möglichst einfachen Strukturen in der Regel ein geringeres Anlagerisi­ko beinhalten als das Underlying. Davon abgesehen sind dank gefallener Kurse sowie der gestiegene­n Volatilitä­t heute viele Zertifikat­etypen attraktive­r als noch Anfang des Jahres.

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FOTO: GETTYIMAGE­S/SCYTHER5 Zertifikat­e eröffnen Anlegern die Möglichkei­t, über klar definierte Strukturen die Kursentwic­klung von Basiswerte­n nachzuvoll­ziehen. Diese Strukturen erwirbt der Anleger in Form von Schuldvers­chreibunge­n.

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