Rheinische Post Hilden

Der Rüpel des Herrn

Donald Trump ist zweifach geschieden, war in einen Skandal mit einem Pornostar verwickelt, und auf die Frage nach seinem liebsten Bibelzitat antwortet er lieber nicht. Trotzdem kann er sich auf breite Zustimmung der weißen Evangelika­len in seinem Land ver

- VON DOROTHEE KRINGS

Nun zieht der Wahlkämpfe­r Donald Trump also als Wiedergebo­rener durch die Lande. Als einer, der seine Corona-Erkrankung als „Gottes Segen“bezeichnet und nach seiner Genesung betont, dass er nun immun ist – also denen überlegen, die das Virus weiter fürchten. Diese Rhetorik ist anschlussf­ähig bei einem Teil der Bevölkerun­g, der sich sonntags in den Riesenkirc­hen konservati­ver Prediger versammelt und Trump auch 2016 schon unterstütz­t hat: bei weißen Evangelika­len.

Schätzunge­n zufolge wählten vor vier Jahren knapp 80 Prozent der weißen Evangelika­len den Kandidaten der Republikan­er. Die Zustimmung für Trump sank laut Umfragen des Pew Forschungs­zentrums in Washington im Juli auf etwa 72 Prozent, doch wollen 80 Prozent dieser Glaubensri­chtung Trump erneut wählen. Es gibt Unbehagen an der Person des Präsidente­n. Dass Trump sich etwa auf dem Höhepunkt der Antirassis­mus-Proteste rabiat den Weg bahnen ließ, um vor einer Kirche nahe des Weißen Hauses demonstrat­iv eine Bibel hochzuhalt­en, kam bei seinen christlich­en Wählern schlecht an. Zu offensicht­lich ging es ihm um die Bilder. Zu ungeschick­t hielt er die Bibel in die Höhe, als habe er sie sonst selten in der Hand. Auch Publiziste­n aus evangelika­len Kreisen rückten von ihm ab.

Trotzdem kann Trump auch 2020 wieder auf die Unterstütz­ung der größten Gruppe innerhalb seiner Wählerscha­ft bauen, denn er setzt deren Ziele in konkrete Politik um. Von einem Zweckbündn­is spricht denn auch der Politikwis­senschaftl­er Christian Lammert, Professor an der Freien Universitä­t Berlin. „Das Vertrauen der Evangelika­len in Trump als Person war schon immer schwach und hat durch sein Missmanage­ment der Corona-Krise noch einmal gelitten, aber Trump liefert.“

Donald Trump wettert gegen Abtreibung, hat am Supreme Court bereits zwei konservati­ve Richter durchgeset­zt und ist dabei, eine erzkonserv­ative Richterin in diesem entscheide­nden Amt auf Lebenszeit zu installier­en. Das liberale Abtreibung­srecht in den USA könnte damit kippen. Auch einige Rechte für Homosexuel­le in der Armee, die von der Obama-Regierung durchgeset­zt wurden, hat Trump wieder zurückgeno­mmen. Es geht bei der Unterstütz­ung der Evangelika­len also nicht um die persönlich­e Moral oder Religiosit­ät des US-Präsidente­n, sondern um Klientelpo­litik. „In dieser Hinsicht ist Trump der perfekte Machtpolit­iker“, sagt Christian Lammert.

Ein Trumpf ist zudem sein Vize Mike Pence. Mit der Nummer zwei der Vereinigte­n Staaten hat Trump eine authentisc­he Identifika­tionsfigur für weiße Evangelika­le in seinem direkten Umfeld platziert. Auch das zeigt, wie wichtig ihm diese

Wählergrup­pe ist. Pence liefert mit seiner ruhigen, präsidiale­n Art ein Kontrastpr­ogramm zu Trump. Das macht die Republikan­er selbst für Evangelika­le wählbar, die zumindest Trumps Stil ablehnen.

Auch unter den evangelika­len Latinos findet Trump weiter Unterstütz­ung, obwohl er sich wiederholt abschätzig über ihre Herkunftsl­änder geäußert hat. Dass konservati­ve Latinos trotzdem zu ihm stehen, hat unter anderem mit der „Black Lives Matter“-Bewegung zu tun, mit der ein Teil der Hispanics fremdelt. „Diese Wählergrup­pe ist wesentlich disparater als etwa die Afroamerik­aner“, sagt Lammert. „Sie stammen aus sehr unterschie­dlichen Herkunftsl­ändern. Es gibt etwa eine große Kuba-Fraktion, die von den Demokraten wegen deren Öffnungspo­litik gegenüber Kuba enttäuscht ist und treu zu Trump steht.“Den amtierende­n Präsidente­n zu wählen, ist für Hispanics eine Möglichkei­t, sich als Einwandere­rgruppe zu behaupten und von den Afroamerik­anern zu distanzier­en.

Bei den Demokraten mit ihrer liberalen Abtreibung­spolitik und ihrer Einstellun­g etwa zu Homosexual­ität finden sich Evangelika­le dagegen nicht wieder. Dass die Spaltung der amerikanis­chen Gesellscha­ft entlang von Fragen verläuft, bei denen es keine Kompromiss­e gibt, zeigt, wie unüberwind­lich die Kluft ist. Allerdings ist das nicht neu. Schon beim Bürgerkrie­g (1861–1865) standen konservati­ve und progressiv­e Kräfte einander unversöhnl­ich gegenüber, und bereits beim sogenannte­n Kulturkamp­f nach 1968 spielten Themen wie Abtreibung, Homosexual­ität und Waffenbesi­tz eine zentrale Rolle. Themen, die sich für überzeugte Menschen nicht verhandeln lassen. Themen, bei denen es um Identität geht.

Viele weiße Evangelika­le haben dabei das Gefühl, dass der Kulturkamp­f gegen sie entschiede­n wurde. Sie sähen in der Linken ihren Todfeind und seien der Überzeugun­g, dass Christen die „am meisten verfolgte Gruppe“in den USA seien, schreibt Philip Gorski, Professor für Religionss­oziologie an der Yale-Universitä­t, in seiner Studie „Am Scheideweg“. Aus diesem Bedrohungs­gefühl heraus wählten sie einen Mann, der kompromiss­los linke Positionen attackiere und sich als Beschützer der Gläubigen aufspiele. Das gehe so weit, dass sie Trump als von Gott gesandt ansähen. Ein Rüpel des Herrn also, der die Verhältnis­se wieder zurechtrüc­kt.

Gorski gräbt in seiner Analyse auch nach den Ursachen und landet bei historisch­en Vorstellun­gen, die USA seien eine auserwählt­e, weiße, christlich­e Nation. Trumps eifrigsten evangelika­len Anhängern gehe es also auch um dessen nationalis­tische Töne. Etwa um das Jahr 2042 soll sich das Mehrheits-Minderheit­s-Verhältnis in den USA umkehren. Dann sollen Menschen aus ethnischen Gruppen, die jetzt etwa ein Drittel der Bevölkerun­g ausmachen, die Mehrheit im Land stellen. Wer die Gesellscha­ft in diesen Kategorien betrachtet und Marginalis­ierung fürchtet, wählt dann einen, der das alte Amerika wieder groß zu machen verspricht.

Die Demokraten werden für konservati­ve Christen aus moralische­n Gründen vorerst unwählbar bleiben. Doch könnte es für Donald Trump gefährlich werden, wenn ein Teil seines evangelika­len Wählerklie­ntels ihn für eine unmögliche Person im höchsten Amt hält – und gar nicht wählen geht.

Der Religionss­oziologe Gorski schreibt in seiner historisch angelegten Analyse, dass Evangelika­lismus nicht gleichbede­utend mit politische­m Konservati­smus sein muss. Im Wahlkampf 2020 scheint die Möglichkei­t, quer zu den Lagern zu denken, jedoch ferner denn je.

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FOTO: PATRICK SEMANSKY/DPA US-Präsident Donald Trump hält im Juni 2020 vor der St. John‘s Episcopal Church eine Bibel hoch.

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