Mit Disziplin gegen Corona
Studentenwohnheime können zu Hotspots für das Coronavirus werden. In der ältesten niederländischen Universitätsstadt Leiden leben 14 junge Menschen in Zeiten der Pandemie in einer WG. Das Virus wirft einen Schatten auf das Bildungswesen.
LEIDEN (ap) Es ist nicht das Studentenleben, das sich Iris Raats erhofft hatte, als die Uni Leiden sie als Jurastudentin zuließ. Wegen der Corona-Pandemie sind die meisten Vorlesungen online, und die sonst so vibrierende Szene in der ältesten Universitätsstadt der Niederlande ist stark eingeschränkt. Die sozialen Kontakte der 19-Jährigen spielen sich jetzt hauptsächlich in den vier Wänden des Hauses nahe dem städtischen Hauptbahnhof ab, das sie mit 13 anderen Studenten bewohnt. „Ich bin sehr froh, dass ich ein Zimmer in Leiden gefunden habe, das Zusammenwohnen mit Studenten erleben, Partys hier in der Küche feiern kann“, sagt Raats. „Aber es ist nicht wie das wirkliche Studentenleben.“
Mit Studenten vollgepackte Häuser in niederländischen Universitätsstädten gelten als besorgniserregende Quelle für die jüngste Welle von Neuinfektionen, mit der das Land konfrontiert ist. Die Zahl der Fälle in der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen ist besonders stark gestiegen. Insgesamt haben sich in den Niederlanden bislang etwa 100.000 Menschen angesteckt, 6300 Infizierte sind gestorben.
„Es ist sehr kompliziert für Studenten, wenn 14 in einem Haus mit gemeinsamer Nutzung von Küche und Badezimmer wohnen“, sagte Bildungsministerin Ingrid van Engelshoven von der Partei Democraten 66. „Jetzt erleben wir, dass Studenten miteinander daran arbeiten, diese Häuser sicherer zu machen.“
So wie in dem Gebäude im niederländischen Leiden, in dem die Bewohner in den Gemeinschaftsräumen auf kleiner Fläche zusammengepfercht sind. Sie haben ihre eigenen Regeln festgesetzt, um das Virus fernzuhalten, sich weitgehend von der Außenwelt abgekapselt, indem sie die Zahl ihrer Besucher strikt begrenzen. Auf dem Höhepunkt des Ausbruchs im Frühjahr war den jungen Leuten in der Wohngemeinschaft gerade mal jeweils ein Gast erlaubt, was die Kontakte praktisch auf die Freundin oder den Freund beschränkte.
Bewohner mit Husten oder tropfender Nase sind gehalten, sich in ihren Zimmern zu isolieren, wobei die Studenten einräumen, dass sich das schwer durchsetzen lässt. Wenn ein Zimmer frei wird, laufen Kontakte zwischen Bewohnern und Bewerbern um den Platz in der WG weitgehend online oder im Garten des Hauses ab.
Bislang hat es für Raats und die anderen Mitglieder der Wohngemeinschaft funktioniert; niemand wurde positiv auf das Virus getestet, trotz des Lebens auf engem Raum. So ist die Küche meistens vollgepackt, Studenten kommen und gehen oder sitzen um den kleinen Tisch herum, der mit Zeitungen, Büchern, Tassen und Gläsern bedeckt ist. Raats kocht Eier, der angehende Steuerrechtler Gerard Velthuijs macht Kaffee. In einem Flur am Fuße einer steilen Treppe sind Bierkästen aufgeschichtet, Kartons mit leeren Flaschen gefüllt.
Das Fernhalten des Coronavirus aus Studentengemeinschaften ist nicht nur in den Niederlanden eine Herausforderung. So waren auch in britischen Städten wie Glasgow, Edinburgh und Manchester Tausende Studenten wegen Ausbrüchen an ihren Universitäten zeitweise in ihren Wohnheimen festgenagelt, in manchen Fällen hinderten sogar Wachleute die Bewohner daran, ihre Unterkunft zu verlassen.
Gerard Velthuijs Student in Leiden
Die strikten Regeln haben Studenten und Eltern aufgebracht: Sie werfen Regierung und Universitäten vor, sich nicht genügend auf die Krise vorbereitet zu haben. So hätte es noch frühzeitiger klarere Regeln für Sicherheitsabstände und Routinetests für Studenten geben müssen.
Aber auch striktere Regeln nützen manchmal wenig. So sind in den USA zahlreiche Universitäten zu Corona-Hotspots geworden, obwohl in Vorlesungs- und Speisesälen der nötige Abstand gehalten wurde. Das Virus breitete sich in vollgepackten Wohnheimen und durch Studentenpartys außerhalb des Universitätsgeländes aus.
In dem Haus in Leiden verbringt Physikstudent David Hintzen weit mehr Zeit in seinem Zimmer im dritten Geschoss als es ihm lieb ist. Meistens sitzt er vor seinem Laptop an einem kleinen Tisch neben seinem Bett, auch wenn er manchmal zwecks Experimenten ein Universitätslabor aufsuchen muss. „Alles, was ich tue, spielt sich praktisch hier ab“, sagt er mit Blick auf sein Zimmer. „Ich studiere zwar manchmal mit Freunden, aber das ebenfalls per Laptop.“
Freilich haben es nicht alle Studenten in Leiden geschafft, Disziplin zu üben. So hat die Polizei neulich eine nächtliche Party in einem Park ohne Sicherheitsabstände aufgelöst. „Es läuft nicht immer gut“, sagt Ministerin van Engelshoven. „Das war – und sie haben es selbst gesagt – dumm und unverantwortlich, und wir müssen sicherstellen, dass wir es verhindern.“
Immerhin geben die Restriktionen den Studenten mehr Zeit, sich ihrer Ausbildung zu widmen. „Du kannst nicht rausgehen, um Partys abzuhalten“, sagt Student Velthuijs. „Sonst haben wir ziemlich viel in der Stadt gefeiert, aber das alles hat aufgehört, und es ist auf eine Art langweilig. Aber du kannst dich jetzt auf dein Studium konzentrieren, deshalb ist das okay.“
„Man kann keine Partys feiern, aber man kann sich jetzt auf sein Studium konzentrieren. Deshalb ist das okay“