Kinderärzte: Schulen keine Infektionstreiber
Laut einer neuen Datenanalyse infizieren sich nur sehr wenige Kinder und Jugendliche mit Sars-CoV-2. Die Dunkelziffer sei minimal.
MÖNCHENGLADBACH Die Sorge, dass Schüler das Infektionsgeschehen im Land vorantreiben, ist laut einer neuen Datenerhebung eher unwahrscheinlich. „Diese Angst kann man Eltern, Lehrern und Schülern wohl nehmen“, sagt Professor Wolfgang Kölfen, Chefarzt der Kinderklinik der Städtischen Kliniken Mönchengladbach und Vorstandsmitglied im Bundesverband Leitender Kinderärzte Deutschlands. Ausgewertet wurden Routinedaten von rund 100 Kinderkliniken, die alle wegen diverser Erkrankungen aufgenommenen Kinder auf Sars-CoV-2 getestet haben. Von insgesamt 116.000 Tests, die vom Frühjahr bis zum 18. November vorgenommen wurden, fielen nur 612 positiv aus – das entspricht einer Quote von 0,53 Prozent über alle Altersgruppen hinweg. Da dieses Vorgehen einer Zufallsstichprobe gleichkomme, sei eine Dunkelziffer bei Kindern über die 0,53 Prozent hinaus sehr unwahrscheinlich. Kölfen sagt: „Die gute Botschaft für Lehrer und Schüler lautet: Das Risiko, sich im Unterricht zu infizieren, ist extrem gering.“
Angestoßen hatte die Abfrage die Süddeutsche Gesellschaft für Kinderund Jugendmedizin (SGKJ). Vorstandsmitglied Matthias Keller betonte bei der Vorstellung der Ergebnisse, dass es sich nicht um eine Studie, sondern um eine Datensammlung handle. Dies sei aber immer noch aussagefähiger als eine Modellrechnung. Die Resultate würden auch den internationalen Konsens bestätigen, dass Schulen bei der Verbreitung des Coronavirus nicht den Hauptfaktor darstellen, erklärte Professor Johannes Hübner von der Deutschen Gesellschaft
für Pädiatrische Infektiologie. So hätten sich laut den Angaben nur acht von den 612 Fällen in der Schule infiziert, rund 30 Prozent der Kinder würden sich in der Familie anstecken.
Wenn das regionale Infektionsgeschehen hoch ist, schlägt sich das aber auch auf die Infektionsraten unter den Jüngsten nieder. So liegt die Positivrate bei Kindern und Jugendlichen seit Oktober bei rund 1,3 Prozent, bei etwa 30.000 ausgewerteten Tests. Die Situation in der Umgebung werde in den Schulen gespiegelt, sagt Hübner. „Deshalb ist es entscheidend, die Pandemie flächendeckend zu bekämpfen“, so der Infektiologe. Dazu würden die üblichen Hygieneregeln gehören, in der Schule kombiniert mit weitergehenden Konzepten wie Lüften oder Antigenschnelltests, sofern vorhanden. „Wir müssen die Kontakte reduzieren – aber nicht an den Schulen“, sagt Kölfen.
Wenn Schulen schließen müssten, seien die Kollateralschäden weitaus schwerwiegender. „Schule ist ein soziales Korrektiv“, sagt der
Regensburger Kinderarzt Dominik Ewald. Schon im ersten Lockdown habe man etwa eine Zunahme häuslicher Gewalt verzeichnet. Das müsse verhindert werden. Wo es umsetzbar sei und Sinn mache, auch etwa durch die Aufteilung von Klassen.
In NRW nahmen in der vergangenen Woche (Stichtag Donnerstag) 95,4 Prozent der Schüler am Präsenzunterricht teil, in etwa so viele wie in der Vorwoche mit 95,2 Prozent. „Präsenzunterricht funktioniert nach wie vor“, kommentierte NRW-Schulministerin Yvonne
Gebauer (FDP) die Entwicklung. Gleichzeitig stieg aber die Zahl der infizierten Schüler von 5137 auf 5203. Unter den Lehrern waren 721 der landesweit über 200.000 Pädagogen an Covid-19 erkrankt, 14 weniger als in der Vorwoche. In der Kultusministerkonferenz am Freitag seien sich alle Bildungsminister der Länder darin einig gewesen, so lange wie möglich den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten und nur im Notfall auf Wechselmodelle umzuschwenken. Gut voran komme man auch bei der Ausstattung der Schulen mit digitalen Endgeräten.
In den Kitas hingegen nehmen die Infektionsfälle zurzeit sprunghaft zu – im ersten Drittel des Monats November war bereits die Infektionszahl des Vormonats erreicht. Entsprechend wurden auch mehr Kita-Kinder in Quarantäne geschickt.
Die SPD-Opposition im Landtag forderte daher am Montag in einem Eilantrag, Eltern die Gebühren für Kitas und OGS zu erlassen, wenn Kinder wegen behördlich angeordneter Corona-Quarantäne nicht in die Kita gehen können. Zudem solle das Land den Kommunen die ausbleibenden Mittel erstatten, heißt es in dem Antrag. Die SPD will erreichen, dass am Mittwoch im Landtag über den Eilantrag diskutiert wird. Dazu sagte Stamp: „In NRW wird die Entscheidung über die Elternbeiträge auf kommunaler Ebene getroffen und es gibt aktuell keine Überlegungen, landesseitig hierzu eine andere Regelung zu treffen.“Im Übrigen seien seit dem laufenden Kindergartenjahr die letzten zwei Kindergartenjahre beitragsfrei. Die Situation in den Kitas beobachte die Landesregierung sehr genau: Aktuell würden den Kita-Beschäftigten noch einmal zwei Millionen FFP2-Masken zur Verfügung gestellt.