Auslaufmodell Lebensversicherung
Schwindende Garantien, hohe Kosten, zu wenig Flexibilität: Die Attraktivität der Vorsorgeform schwindet zusehends.
DÜSSELDORF Wenn es allein nach der Entwicklung der Beitragseinnahmen ginge, könnte man meinen, dass die Lebensversicherung immer noch ein Renner sei: Im vergangenen Jahr sind die Beitragseinnahmen noch einmal um elf Prozent auf fast 100 Milliarden Euro gestiegen. Doch das ist natürlich nur ein Teil der Wahrheit. Denn das Geschäft mit den klassischen Lebensversicherungen profitiert noch in großem Ausmaß von den Altverträgen, deren Sparanteil in der Vergangenheit mit bis zu vier Prozent garantiert verzinst wurde. Als Geldanlage für Kunden waren und sind sie ein rentables Investment. Der Sparanteil ist der Teil, den der Versicherer nach Abzug von Abschluss- und Verwaltungskosten sowie dem Beitrag für einen Todesfallschutz anlegt.
Bei neuen Verträgen sieht die Sache mit der Rendite ganz anders aus. Der Garantiezins – also der Zinssatz, den Lebensversicherer ihren Kunden maximal versprechen dürfen – liegt seit drei Jahren bei nur noch 0,9 Prozent. Und die Deutsche Aktuarvereinigung (Vertretung der als Aktuare in Deutschland tätigen Versicherungs-, Bauspar- und Finanzmathematiker) hat schon im vergangenen Jahr angeregt, den sogenannten Höchstrechnungszins auf 0,5 Prozent zu verringern.
Damit könnten beispielsweise Rentenversicherungen mit relativ kleinen Versicherungssummen gänzlich unattraktiv werden. Wer eine private Rentenversicherung über weniger als 20.000 Euro abschließe, dürfte mit dem neuen Garantiezins ein jährliches Minus von durchschnittlich 0,35 Prozent erwirtschaften. Bei größeren Summen gäbe es ein Minus von 0,30 Prozent, hat jüngst das Unternehmen Partner in Life errechnet, das Kunden deren Versicherungen abkauft. Das Problem: Je kleiner die Versicherungssumme, umso stärker
Stephanie Heise Verbraucherzentrale NRW
wirken sich die Vertragskosten aus, und desto geringer ist der Zinseszins-Effekt.
Nun ist das mit der Rendite in der Nullzinsphase ohnehin so eine Sache. Bei anderen Geldanlagen, die sicher sind, fällt sie ja auch weg. In immer mehr Fällen muss der Kunde auf Tagesgeldkonten sogar noch Strafzinsen zahlen. Solange diese
Investments noch vier bis fünf Prozent abwarfen, hatten die Policen-Verkäufer abseits der Risikoabsicherung nur wenig Argumente für den Verkauf von Lebensversicherungen. Jetzt lautet ihre einfache Weisheit: keine Verzinsung auf den Sparanteil ist auch nicht schlechter als keine Verzinsung bei anderen klassischen risikoarmen Geldanlagen.
Auch deshalb mag die Bereitschaft, Lebensversicherungen zu kündigen, gesunken sein. Denn man kann den Verlust aus dem Verkauf nicht mehr durch den Ertrag aus anderen Investments ausgleichen. Es sei denn, man geht ins Risiko, kauft Aktien und profitiert von einem Börsenhoch.
Aber die Rendite ist ohnehin nicht das allein ausschlaggebende Argument. Bei den Lebensversicherungen gibt es noch andere Gründe, die dagegen sprechen, sie zu kündigen. Sinn machen kann auf jeden
Fall eine Risikolebensversicherung, die deshalb auch von vielen Experten empfohlen wird. Mit ihr sind im Todesfall die Hinterbliebenen versorgt, Die Faustregel von Stephanie Heise, Bereichsleiterin Verbraucherfinanzen bei der Verbraucherzentrale NRW: „Bei einer Familie mit kleinen Kindern sollte das vierfache Jahresnettoeinkommen abgesichert sein, bei einer mit älteren Kindern, das dreifache, bei einem kinderlosen Paar zumindest ein Jahreseinkommen. Es lohnt sich, mehrere Angebote einzuholen.“
Die Kapitallebensversicherung kommt dagegen in den Augen vieler Fachleute noch schlechter weg, als dies in der jüngeren Vergangenheit ohnehin der Fall war: „Das Produkt lohnt sich immer weniger, da die Überschussbeteiligungen weiter sinken. Die Kosten bleiben hoch. Zudem bieten ab 2021 große Versicherer keine Policen mit 100-prozentiger Beitragsgarantie mehr an.
Kunden, denen Sicherheit wichtig ist, gehen damit höhere Risiken ein“, so Heise. Ein Beispiel für schwindende Beitragsgarantien ist der Marktführer Allianz. Wer ab dem kommenden Jahr bei den Münchnern einen Altersvorsorge-Vertrag abschließen will, dem garantiert die Allianz maximal 90 Prozent der Beiträge.Bei anderen Angeboten müssen die Kunden zwischen einer Garantie von 90, 80 und 60 Prozent wählen. Eine Vollgarantie für die eingezahlten Beiträge gibt es dann nur noch bei der staatlich geförderten Riester-Rente und bei der betrieblichen Altersversorgung. Dort ist die Garantie vorgeschrieben.
Neben dem Garantieverlust sprechen auch oft zu hohe Kosten und die in vielen Fällen immer noch intransparente Darstellung der Verträge aus Expertensicht gegen eine Kapital-Lebensvesicherung. Und: Die Laufzeit ist extrem lang (manchmal Jahrzehnte), was die Flexibilität stark einschränkt. Wer sich heute zum Beispiel für zehn oder zwanzig Jahre an eine Garantieverzinsung von 0,9 Prozent kette, verpasse womöglich rentablere Anlagen, wenn die Zinsen wieder steigen. Dann steigen zwar auch die Anlagemöglichkeiten für die Versicherer wieder, trotzdem könnten Alternativprodukte dann mehr abwerfen.
Natürlich kann man den Vertrag auch kündigen, aber dabei verliert man fast immer Geld. „Bestehende ältere Verträge sollte man nicht vorschnell kündigen, sondern auf Steuerfreiheit und hohen Garantiezins prüfen. Man kann sie auch beitragsfrei stellen“, gibt Verbraucherschützerin Heise zu bedenken. Ist der Vertrag schon älter, ist er womöglich gut verzinst. Und steuerfrei ist die Auszahlung dann, wenn der Lebensversicherungsvertrag vor 2005 abgeschlossen wurde.
Für die private Rentenversicherung, eine Variante der Lebensversicherung, gilt das Gleiche. Mit der wollen viele das Langlebigkeitsrisiko absichern, also eine Rentenzahlung über zehn oder mehr Jahre, mitunter auch bis zum Tod, festschreiben. Doch auch hier schrumpfen die Garantien der Anbieter immer weiter. Dafür versuchen Versicherer, ihren Kunden in Modellrechnungen die Policen mit höheren Ertragschancen schmackhaft zu machen. Wann es die gibt, weiß jedoch keiner.
Was also tun, wenn man jetzt handeln muss? Verbraucherschützerin heise empfiehlt: „ETF-Sparpläne machen für die Altersvorsorge Sinn. Aber man sollte dafür mindestens zehn Jahre Zeit haben.“Die „Exchanged Traded Funds“(ETFs, also börsengehandelte Indexfonds) haben drei Vorteile: Die Kosten sind niedrig, sie sind deutlich flexibler als eine Lebensversicherung, und über die Jahre hinweg lassen sich Wertschwankungen am Aktienmarkt in der Regel ausgleichen.
Natürlich sehen die Versicherer das anders. Sie loben stets die Absicherung für den Kunden und die mögliche Kombination mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die Angehörige absichert, falls der Versicherte nicht mehr arbeiten kann. Wer sich davon überzeugen lässt und sich für eine Kapitallebensoder Rentenversicherung entscheidet, sollte Folgendes wissen: Die Anbieter müssen ihren Kunden einmal im Jahr eine Standmitteilung schicken. In dieser Nachricht muss explizit stehen, wie sich die Kunden-Ansprüche einschließlich Überschussbeteiligung erhöht haben, außerdem ist die Gesamtleistung im Todesfall ein Muss. Außerdem muss dem Kunden die Ablaufleistung in jedem Falle genannt werden. Das ist die Summe, die der Kunde bei Ablauf erhalten würde, wenn die vereinbarten Einzahlungen bei stabiler Verzinsung bis Vertragsende erfolgen würden.
„Bestehende ältere Verträge sollte man nicht vorschnell kündigen“
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