Wann die Impfung Gefahren birgt
Die ersten Nachrichten über allergische Schockreaktionen nach der Impfung mit dem Biontech-Impfstoff gab es Ende des vergangenen Jahres zunächst aus Großbritannien, dann auch aus den USA und Kanada. Dort riet man den Menschen mit einer Nahrungsmitteloder Medikamentenallergie zunächst, sich nicht impfen zu lassen. Nun sind auch in Deutschland sechs Verdachtsfälle allergischer Schockreaktionen gemeldet worden, wie das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut) auf Basis der Meldungen bis einschließlich 13. Januar bekannt gab.
Weltweit sorgen sich die Experten, dass solche Berichte über allergische Reaktionen manchen davon abhalten könnten, sich impfen zu lassen. Denn rund 24 Millionen Menschen in Deutschland sind Allergiker. Viele von ihnen tragen sich mit der Sorge, sich mit einer Impfung mehr zu schaden als zu nützen. Auch Ludger Klimek, Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, erlebt das so. „Für viele unserer Allergie-Patienten ist das der Hauptgrund, sich nicht impfen zu lassen“, sagt er.
Das Problem: Trotz klinischer Studien lassen sich solche Reaktionen nicht vor der Einführung einer Impfung vorhersagen. Der Grund: Sie träten zu selten auf und würden bei einer Zahl von 40.000 Studienteilnehmern nicht als Signal sichtbar, sagt Brigitte Kellermann-Stanislawski, Abteilungsleiterin für die Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten am Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Statistisch betrachtet komme es hierzulande bei einer Million Impfungen in 9,8 Fällen zu einem solchen Vorfall. In den klinischen Studien vor der Zulassung der Impfstoffe zeigte sich das bei rund 40.000 Teilnehmern nicht.
Die Impfexperten sprechen sich auch bei Allergikern für den Impfschutz aus, da die allergische Schockreaktion als Nebenwirkung derart selten auftritt, dass sie in keinem Verhältnis zu den Risiken stehe, an Covid-19 zu erkranken oder sogar einen schweren Verlauf zu haben. Wie das PEI und die Europäische Arzneimittelbehörde Ema sieht auch Klimek keine grundsätzliche Kontraindikation für Allergiker: „Der Großteil der Bevölkerung wie auch der größte Teil der Allergiker wird sich problemfrei impfen lassen können.“Der als erster zugelassene Biontech-Impfstoff enthalte nicht einmal Konservierungsmittel, vor denen auch viele Menschen Angst hätten. Dennoch ist es laut Keller-Stanislawski wichtig, Phänomene wie mögliche anaphylaktische Reaktionen weiterhin zu untersuchen. Das PEI hält darum einen ausführlichen Fragebogen vor, den jeder Meldende allergischer Schockreaktionen zugeschickt bekommt.
Ein anaphylaktischer Schock kann sich in milder Ausprägung mit Hautreaktionen, Juckreiz, Übelkeit und Erbrechen zeigen. Im schlimmsten Fall jedoch ist er lebensbedrohlich: Atemnot, Herzrasen, Kreislaufzusammenbruch und Bewusstlosigkeit sind typische schwere Symptome. Solche traten auch bei einem der in Deutschland gemeldeten Betroffenen auf.
Wie das Paul-Ehrlich-Institut mitteilt, handelt es sich um einen 60-Jährigen mit verschiedenen schweren Vorerkrankungen wie einer Herzmuskelschädigung und einer fortgeschrittenen Erkrankung der Lunge. Der Mann musste nach dem anaphylaktischen Schock intensivmedizinisch betreut werden. Neben diesem Schwerstfall erfasste das PEI vier mittelschwere und einen leichten Fall.
Ähnliches beobachteten Impfstoffexperten auch nach dem Auftreten
erster allergischer Schocks nach der Corona-Impfung in den USA. „Dabei haben die Menschen ein höheres Risiko, sich bei der Fahrt zur Impfung in die Klinik zu verletzen, als durch die Impfung selbst“, sagt Paul A. Offit, Mitglied eines externen Impfstoffbeirats der amerikanischen Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration gegenüber der Tageszeitung „Washington Post“. Das Risiko von Nebenwirkungen sei gering.
Nach bisherigem Wissensstand geht das Paul-Ehrlich-Institut bei den beobachteten Fällen allergischer Reaktionen nicht von klassischen IgE-vermittelten, sondern von pseudoallergischen Reaktionen aus. Von diesen spricht man, wenn es zwar zu Symptomen wie bei einer Allergie kommt, im Blut der Betroffenen jedoch keine Allergie-spezifischen Antikörper (IgE) nachgewiesen werden. Einige Lebensmittelzusatzstoffe wie zum Beispiel Konservierungsstoffe, Stabilisatoren, Emulgatoren oder Antioxidantien rufen solch pseudoallergische Reaktionen hervor. Laut dem Ärzteverband Deutscher Allergologen ist die Reaktion darauf jedoch sehr selten. Nur rund ein bis drei Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen.
Impfstoffbestandteile, von denen bekannt ist, dass sie allergische Reaktionen hervorrufen können, sind laut einer Stellungnahme verschiedener allergologischer Gesellschaften zum Beispiel ebenfalls Konservierungsmittel, Stabilisatoren und Hilfsstoffe neben der aktiven Komponente des Impfstoffs (dem eigentlichen Antigen), die die Immunantwort auslösen. Daneben können zudem Reste von tierischen Proteinen und antimikrobielle Wirkstoffe allergische Reaktionen auf verschiedene Impfstoffe – also nicht nur auf die RNA-Impfstoffe gegen Covid-19 – hervorrufen. Zu den einzelnen Impfstoffbestandteilen, die mit der Verursachung von Impfstoff-Anaphylaxie in Verbindung gebracht werden, gehören Hühnereiprotein, Gelatine, Kuhmilchproteine und andere Zusatzstoffe und Spurenverbindungen, die beim Herstellungsprozess zurückbleiben, zudem auch Latex-Bestandteile aus den Verschlussstopfen bei Mehrfach-Impfstoffampullen.
Grundsätzlich gilt: Nicht jeder, der eine Tierhaar- oder Heuschnupfenallergie hat, muss sich Sorgen machen. Ein besonderes Risiko für Schockreaktionen haben laut Klimek vor allem Menschen, die unter mehreren Allergien leiden, die auf Medikamente, Infusionsmittel oder Narkosemittel allergisch reagieren oder in der Vergangenheit bereits einen anaphylaktischen Schock erlitten haben. So zeigt sich auch in den vom PEI erhobenen Daten: Drei der betroffenen Personen litten unter verschiedenen Medikamentenallergien.
Statt sich aus Angst nicht impfen zu lassen, rät Klimek der Risikogruppe, sich in einem allergologischen Zentrum auf die wesentlichen Inhaltsstoffe der bereits zugelassenen Impfstoffe testen zu lassen und so sein persönliches Risiko auszuschließen. Für den Impfstoff des Herstellers Astrazeneca sei die Testung komplizierter, doch werde auch daran bereits gearbeitet.
Ein weiterer Tipp für Allergiker: Da allergische Reaktionen in der Hälfte der Fälle innerhalb von 15 Minuten, grundsätzlich aber bis zu 30 Minuten nach der Impfung auftraten, empfehlen Impfexperten den Impflingen, 15 bis 30 Minuten nach der Impfung unter ärztlicher Beobachtung zu bleiben. Menschen mit Allergie-Vorgeschichte sollten zudem das Personal im Impfzentrum vorab informieren. So ist man dort nach Klimeks Einschätzung auf den Ernstfall vorbereitet und kann schneller reagieren.