Experten warnen vor Lockerungen
Sieben-Tage-Inzidenzwerte um die 50 sind im Februar erreichbar, schätzen Fachleute. Doch um die Eindämmungsmaßnahmen zurückzufahren, reicht das womöglich nicht.
DÜSSELDORF Die Infektionszahlen in Deutschland sinken allmählich. Dadurch rückt auch die von Bund und Ländern angepeilte Obergrenze von wöchentlich 50 Neuinfizierten je 100.000 Einwohner näher. Allerdings bremsen Experten die Erwartung, dass dies auch zu den erhofften Lockerungen der Corona-Schutzverordung führen könnte.
„Wenn sich der Trend nicht ändert, nehme ich an, dass wir in der zweiten Hälfte des Februars unter 50 Fällen landen“, sagt Sebastian Binder, Mathematiker am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Allerdings sei noch schwer einzuschätzen, wie sich die neuen Varianten des Coronavirus auf das weitere Infektionsgeschehen auswirkten. Auch Kai Nagel, Professor an der TU Berlin, stimmen die Mutationen skeptisch: „Es ist noch zu früh, wegen der sinkenden Inzidenz Entwarnung zu geben“, sagt Nagel, der die Ministerpräsidentenkonferenz vor der vergangenen Videoschalte
erstmals beraten hatte. „Es wird eher nicht möglich sein, schon Mitte Februar unter den Wert von 50 zu kommen. Wir sehen in unseren Simulationen erste Auswirkungen der neuen Mutation.“Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) deutete sogar die Möglichkeit eines Lockdowns bis Anfang April an.
In NRW gab es laut des hiesigen Gesundheitsministeriums am Freitag rund 50 bestätigte Fälle der britischen Virusmutation B.1.1.7. sowie 600 Verdachtsfälle. Die südafrikanische Mutation B.1.351 wurde elfmal per bestätigt. Hinzu kommen rund 90 Verdachtsfälle. Die neuen Virusvarianten sind ansteckender, sie könnten dem Infektionsgeschehen also eine neue Dynamik geben.
Die Landesregierung hält sich auch bedeckt bei der Frage, ob ein Inzidenzwert von 50 bis Mitte Februar in NRW zu erreichen sei. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums von Karl-Josef Laumann (CDU) sagte, es sei festzustellen, dass die Maßnahmen wirkten und die Inzidenzen in den Kommunen sinken. Allerdings befänden sich bisher erst drei Kommunen unter einer Inzidenz von 50. Die Hoffnung sei, dass das auch andere bald erreichten.
Bund und Länder werden am Mittwoch erneut über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten. Bisher galt der Inzidenzwert von 50 als Zielmarke für Lockerungen. Mit Blick auf die Gefahren durch die Virusvarianten halten viele Experten diesen Wert aber inzwischen für zu hoch. „Sollte es jetzt wieder zu einer starken Zunahme von Kontakten kommen, steigt die Fallzahl schnell an und die Mutante setzt sich rasch durch, was die Entwicklung dann noch weiter beschleunigt“, sagt Binder. Steile Anstiege seien aber aufzuhalten, wenn es gelänge, die Fallzahl insgesamt auf ein niedriges Niveau zu senken.
Umstritten ist auch, wie dann gelockert werden sollte. Kai Nagel sagt, die Stufenpläne der Bundesländer lockerten an den falschen Stellen. Eine vollständige Öffnung der Schulen etwa wäre das falsche Signal. Stattdessen sollten die Länder auf streng überwachten Wechselunterricht setzen – samt Maskenpflicht auch im Unterricht. Da in Kneipen mit Masken nicht verzehrt werden kann, hielte er eine Öffnung von Innengastronomie für verheerend. „Dagegen kann man Museen, Freiluftveranstaltungen und den Einzelhandel mit entsprechendem Hygienekonzept in Teilen und bis zu einer Obergrenze freigeben“, sagt Nagel. An entsprechenden Konzepten wird in den Kultusministerien der Länder bereits gearbeitet.