Wer hat noch nicht, wer will nochmal?
Auf dem unaufhaltsamen Weg in die 2. Liga muss auf Schalke mal wieder der Trainer gehen. Auch Sportchef Schneider ist nun endgültig weg. Der finanziell und sportlich angeschlagene Tabellenletzte reagiert mit einer Interimslösung.
GELSENKIRCHEN (dpa) Der FC Schalke 04 hat bald mehr Trainer als Punkte in einer Saison und gibt beim Sturzflug in die 2. Liga ein Bild des Grauens ab. Auf das desaströse 1:5 (1:3) beim VfB Stuttgart und eine angebliche Revolte der nicht bundesligatauglichen Spieler vor der Partie reagierte der abgeschlagene Tabellenletzte am Sonntag radikal: Cheftrainer Christian Gross, Sportvorstand Jochen Schneider, Teammanager Sascha Riether und Fitnesscoach Werner Leuthard müssen gehen.
„Die getroffenen Entscheidungen sind nach den enttäuschenden Auftritten gegen Dortmund und Stuttgart unausweichlich geworden“, sagte Aufsichtsratschef Jens Buchta am Sonntagmittag und leitete endgültig die Planungen für den vierten Bundesliga-Abstieg ein. „Wir brauchen nicht Drumherum zu reden: Die sportliche Situation ist eindeutig, deshalb müssen wir bei jeder noch zu treffenden Personalentscheidung auch über die Saison hinausdenken.“
Übergangsweise soll der frühere Manager des Hamburger SV und bisherige Leiter des Schalker Nachwuchsleistungszentrums, Peter Knäbel, Schneiders Nachfolge antreten. Zunächst bis zum Saisonende springt Ex-Profi Gerald Asamoah als Teammanager ein. Wer das taumelnde Team hingegen auf das Spiel gegen den FSV Mainz 05 am Freitag vorbereitet, ist noch unklar. Wenn ein fünfter Trainer in einer Saison auf der Bank säße, wäre dies Rekord in der Bundesliga-Geschichte.
Zuvor hatte der mit 240 Millionen Euro verschuldete Revierklub unter David Wagner, Manuel Baum, Huub Stevens und zuletzt Gross in 23 Spielen gerade einmal neun Pünktchen erreicht. Seit 55 Jahren stand kein Bundesligateam zu diesem Zeitpunkt schlechter da als der einstige Champions-League-Dauergast, der 2018 noch Vizemeister war.
Die Trennung vom glücklosen Schneider spätestens zum Saisonende hatte zuvor bereits festgestanden.
Buchta dankte ausdrücklich ihm für dessen „unermüdlichen“Einsatz. Der 50-Jährige war im März 2019 nach Gelsenkirchen gekommen und hatte aufgrund einiger Fehler in der Zeit vor ihm von Beginn an einen schweren Stand. Der von ihm verpflichtete Wagner schien zunächst ein Glücksgriff, doch nach einer überragenden Hinserie 2019/2020 folgte seit Januar 2020 ein beispielloser Absturz, der bis dato anhält.
Seit jenem Zeitpunkt gelangen ganze zwei Siege in der Bundesliga. Die Trennung von Wagner folgte bereits nach dem zweiten Spieltag dieser Saison. Mit seinen weiteren Trainer-Entscheidungen lag Schneider dann komplett daneben.
Baum musste ohne einen einzigen Sieg im Dezember gehen. Es folgte kurz vor dem Jahreswechsel der 66 Jahre alte Gross, den Schneider aus gemeinsamen Stuttgarter
Zeiten kannte. Auch unter dem Schweizer gab es indes keine Wende. Im Gegenteil: Nach der 0:4-Klatsche im Derby gegen Dortmund vor einer Woche sollen laut Medienberichten Führungsspieler bei Schneider vorgesprochen haben und die Trennung von Gross gefordert haben, was aber abgelehnt worden sei.
Laut „Bild“handelte es sich dabei um die erst im Winter verpflichteten Sead Kolasinac, Shkodran Mustafi
und den dauer-verletzten Klaas-Jan Huntelaar. Ein Klubsprecher hatte entsprechenden Berichte vor dem Spiel gegen Stuttgart entschieden zurückgewiesen. Riether ließ die genauen Inhalte von Gesprächen mit Spielern, die es diese Woche gegeben hatte, offen.
Beim VfB folgte dann erneut eine unterirdische Leistung der Spieler. Sinnbildlich dafür stand der geradezu grotesk verschossene Elfmeter von Nabil Bentaleb (72. Minute), durch den die Königsblauen noch einmal auf 2:3 hätten herankommen können. Der als schwierig geltende 26-Jährige war auf Schalke schon sechsmal suspendiert und immer wieder begnadigt worden. Zuletzt hatte es der Klub noch einmal mit dem technisch versierten Offensivspieler versucht, obwohl zuvor eine erneute Rückkehr Bentalebs kategorisch ausgeschlossen worden war.
Erschreckend war zudem auch das Bild, das einige Spieler abseits des Feldes abgaben. Angesprochen darauf, ob er tatsächlich die Trennung von Gross gefordert habe, wich Mustafi bei Sky aus: „Mein Job ist, auf den Platz zu gehen und zu helfen“, sagte der Weltmeister von 2014.
Gross zeigte sich zudem enttäuscht von den im Raum stehenden Vorwürfen einiger Spieler, er habe falsch trainiert und immer wieder Spielernamen verwechselt. „Ich denke, wenn Konflikte da sind, dass man sie selbstverständlich ansprechen muss, aber auf die richtige Art“, sagte Gross. Am Sonntag kam er mit einer Sporttasche über der Schulter und in Schalker Trainingshose auf das Vereinsgelände – wenig später gab der Klub die radikalen Trennungen bekannt.
Abgrund ist in seiner Bedeutung eigentlich ein definitives Wort. Es gibt im Deutschen keine Steigerung von Abgrund. Bis jetzt. Schalke 04 arbeitet an jedem Spieltag nach Leibeskräften daran, den jeweiligen Abgrund der Vorwoche noch abgründiger erscheinen zu lassen. Was das Abgründigste ist, das Schalke vollführen kann – dazu will kaum jemand mehr einen verlässlichen Tipp abgeben. Doch nach der angeblichen Spielerrevolte, dem 1:5 in Stuttgart und dem vierten Trainerwechsel in dieser Saison muss klar sein: Es gibt keine Garantie dafür, dass der Abgrund nah ist und es nach einem Abstieg wieder zwangsläufig besser werden muss.
Der 1. FC Kaiserslautern lässt grüßen. Die Pfälzer dienen als mahnendes Beispiel für alle Königsblauen. Auch der FCK galt und gilt als Traditionsverein, also als „too big to fail“, systemrelevant und „wichtig für eine ganze Region“(x-fach gehört). Aber die Lauterer verlegten ihren Abgrund trotz allem immer weiter in untere Ligen, im Moment droht der Abstieg in die Regionalliga. Finanzielle Altlasten, das Thema Insolvenz, Landeshilfen – die Roten Teufel sind schon lange nicht mehr so systemrelevant, wie man in der Pfalz meinte. Sie waren es nie.
Bei Schalke ist es ähnlich. Ja, auch ein so populärer Klub mit der Geschichte, mit der Infrastruktur, „wichtig für die Region“, ist nicht davor gefeit, den Bach runterzugehen. Der Fußball in seiner kapitalistischen Reinform schert sich wenig um Tradition. Er schert sich um Geld und Erfolg. Wo beides fehlt, ist niemand „too big to fail“. Auch ein FC Schalke 04 nicht.
Der Gang in die 2. Liga scheint unabwendbar. Bitter genug. Und genau deshalb muss der wichtigste Gedanke der wieder mal neuen Verantwortlichen sein: Auch von dort führt ein Fahrstuhl weiter runter. Es geht nicht automatisch wieder hoch. Auch das Unterhaus kann als Abgrund relativ sein. So viel Realismus muss Schalke sich zwingend verordnen. Sofort. Sonst wird es zappenduster im Revier.