Borussias bittere neue Realität
Nach dem 2:3 in Leipzig heißt es für Gladbach: Vierkampf um Platz sieben statt Vierkampf um Platz zwei bis fünf.
LEIPZIG Marco Rose kommt gern zurück in seine Heimatstadt Leipzig. Doch dürfte der aktuellste Besuch dort Borussia Mönchengladbachs Trainer wenig Freude bereitet haben. 2:3 verlor seine Mannschaft beim Fußball-Projekt namens Rasenballsport in letzter Minute nach einer 2:0-Führung und verdient, weil Gladbach am Ende zu wenig dafür getan hatte, sich gegen Leipzigs Siegeswillen zu behaupten.
Mit diesem Sieg hat das Team von Trainer Julian Nagelsmann nachgewiesen, dass es die Ambition, dem FC Bayern einen realen Titelkampf zu liefern, konkret umsetzen kann. Was Roses Borussen angeht, ist es mit den klar formulierten Saisonzielen und der Realität so eine Sache. Da gibt es eine Schieflage. Rose hatte vorab klargestellt, dass man nicht weniger wolle als Rang vier, vielleicht sogar mehr. Heißt: mitspielen um die Königsklasse. „Wir müssen gerade nicht über Champions-League-Plätze in Zusammenhang mit Borussia Mönchengladbach reden“, sagte Rose nun aber in Leipzig.
Für einen wie Rose, der immer mehr will, ist das ein bemerkenswert defensiver Satz, nicht kämpferisch, sondern rein faktenbasiert und somit eine realistische Einschätzung der bitteren neuen Realität: In der Liga rangeln die Borussen nicht wie erhofft um die Platz drei oder vier, sondern müssen aufpassen, den letzten Zipfel Europa-Ambition auf dem Liga-Weg, den siebten Rang, nicht aus den Augen zu verlieren.
Es wäre nicht einmal allzu großer Fatalismus, ein Szenario zu denken, in dem die Gladbacher am Ende der Ära Rose, das aufgrund seines Wechsels zu Borussia Dortmund im Sommer zwangsläufig immer näher rückt, sogar erstmals seit 2011 einen zweistelligen Tabellenplatz belegen. Dem ist Gladbach in diesen Tagen näher als den Rängen, die in die Europa
League führen.
Stand jetzt bleiben Rose noch 13 Spiele als Gladbach-Trainer, elf in der Bundesliga, das zweite Achtelfinale in der Champions League und das Viertelfinale im DFB-Pokal. Und ja, noch ist Europa möglich. Theoretisch auch das Weiterkommen in der Champions League. Und sogar der Pokalsieg zum Rose-Abschied. Dienstag ist das Viertelfinale gegen Borussia Dortmund im eigenen Stadion. „Das ist eine Möglichkeit, weit zu kommen, vielleicht sogar in Berlin um den Titel zu spielen“, sagte Rose.
Es wird gerade nicht viele Gladbach-Fans geben, die sich solchen Träumen hingeben. Denn es ist etwas verloren gegangen in dieser Saison:
Die Unbedingtheit im Glauben an das eigene Spiel und die Chance, immer gewinnen zu können, Aspekte, die Borussia in der Saison 2019/20 auszeichneten. Nicht nur das Top-Team von RB siegte in der Schlussphase gegen Gladbach, sondern auch die Sorgenkinder Hoffenheim oder Mainz. Nun in Leipzig wirkte Borussia am Ende physisch und mental müde. Für die entscheidende Saisonphase ist das kein guter Zustand. Nun kommen der BVB im Pokal und Bayer Leverkusen in der Liga. „Wir brauchen wieder ein Erfolgserlebnis, damit wir Überzeugung gewinnen“, sagte Rose.
In den nächsten Wochen geht es auch darum, wie Roses Zeit als Borussen-Trainer abschließend zu bewerten ist. Er hat 2019 von Dieter Hecking einen stabilen Europa-League-Teilnehmer übernommen und den Fans Entertainment und Leidenschaft versprochen, beides geht dem Borussen-Spiel aktuell ab. In seiner ersten Saison hat Rose die Mannschaft in die Champions League geführt und dort ins Achtelfinale. Das Team nun im Bundesliga-Mittelmaß seinem Nachfolger, den Manager Max Eberl noch sucht, zu übergeben, würde nicht dem Anspruchsdenken Roses entsprechen. Die Gefahr besteht aber.
Noch ist Zeit, entgegenzusteuern. „Wir machen weiter und wollen ins Halbfinale einziehen. In der Liga müssen wir danach zusehen, dass wir nicht den Anschluss an die internationalen Plätze verlieren“, sagte Nationalspieler Jonas Hofmann. Voraussetzung wäre, dass Borussia ihre Realität wieder mehr mit dem eigenen Anspruch zusammenbringt.