Gladbach zwischen Chance und Gefahr
Nur ein Sieg im Pokal-Viertelfinale gegen Dortmund könnte den Funken auf die Fans noch mal überspringen lassen. Trainer Marco Rose versucht, die dramaturgisch brisante Konstellation gegen seinen künftigen Klub zu ignorieren.
Vielleicht wird er auch am Dienstag im leeren Stadion laufen, der Klassiker der Gladbacher Fan-Band B.O. aus dem Jahr 2000: „Es gibt nur eine Borussia“. Wer diesen Slogan bei Google eingibt, stößt in den Suchergebnissen erst nach dem gleichnamigen Lied auf ein Buch, das sich allerdings nicht der Borussia aus Gladbach widmet, sondern der aus Dortmund – immerhin 1:0 für Gladbach bei der Suchmaschinenoptimierung. Was nicht bei Google steht und sich auch nicht anhand der Stimmungslage im Stadion belegen lässt, ist die Tatsache, dass es momentan nicht nur eine, nicht nur zwei, sondern gleich drei Borussias zu geben scheint: eine aus Westfalen und zwei vom Niederrhein.
In Mönchengladbach saß Marco Rose am Tag vor dem Duell seines aktuellen und seines baldigen Arbeitgebers im DFB-Pokal-Viertelfinale in der virtuellen Pressekonferenz. Manager Max Eberl ließ sich entschuldigen, es sprach also allein der Mann, der spätestens Ende Mai sein letztes Spiel als Trainer des Vereins coachen wird. In ein paar Tagen jährt sich das letzte Gladbach-Spiel in einem vollen Stadion, es war das 1:2 gegen den BVB am 7. März 2020. Seitdem bewegt sich der Profifußball gezwungenermaßen in einer Blase, die die kurzzeitige Rückkehr einiger Tausend Zuschauer im vergangenen Frühherbst nicht kaputtpieksen konnte.
„Ich kümmere mich momentan vor allem darum, mit den Jungs zu arbeiten. Ich bekomme wenig mit, das tut mir sicher auch gut“, sagte Rose. Es ist ihm nicht zu verdenken, dass er seine Abende auf der Couch nicht in Vereinsforen oder auf Borussias Facebookseite verbringt. Vermutlich wäre es auch nicht förderlich für die Vorbereitung auf das Pokalspiel gegen den BVB, die vierte Partie seit Roses Abschieds-Ankündigung vor zwei Wochen. Ein 1:2 gegen Mainz 05, ein 0:2 gegen Manchester
City und ein 2:3 gegen RB Leipzig sorgten dafür, dass er erstmals als Erstliga-Trainer drei Niederlagen in Folge erlitten hat.
Die zweite Borussia von Niederrhein sind die Fans, die zum Teil seit einem Jahr nicht im Stadion waren. Es ist kein Fatalismus nötig, um eine explosive Stimmung unter den Anhängern zu diagnostizieren. Der allergrößte Teil der Verlautbarungen im Internet zeugt genau wie fast ausnahmslos jedes persönliche Gespräch von einer Mischung aus Enttäuschung, Wut, Zynismus, Galgenhumor oder – und das ist vielleicht der gefährlichste Teil – Gleichgültigkeit.
„Die Saison ist gelaufen“, schreibt exemplarisch ein Fan im Forum. Am Montag wurde dazu ein Blog-Artikel fleißig geteilt. Überschrift: „Saisonabschluss im Februar“. Zur Erinnerung:
Am 2. März bestreitet Gladbach ein Pokal-Viertelfinale gegen Dortmund. Zum vierten Mal in den vergangenen zehn Jahren steht der Verein in der Runde der letzten Acht, für Europa hat sich Borussia in der Zeit häufiger qualifiziert. Und dennoch ist wenig zu spüren vom großen Titeltraum, der seit 1995 unerfüllt ist, seit dem letzten Gewinn es DFB-Pokals.
Er habe „keine großen Erinnerungen“an damals, sagte Rose, „wir reden auch noch nicht über das Finale, sondern über die Chance, sich fürs Halbfinale zu qualifizieren. Da ist alles andere drum herum egal.“Die Fragen zur dramaturgisch brisanten Konstellation, auf seinen künftigen Klub zu treffen, beantwortete Rose erst freundlich, dann genervt, dann gar nicht mehr. „Es war nicht mein Ansinnen, für Unruhe zu sorgen“, sagte Rose. „Vor allem der mediale Druck ist so groß geworden, dass wir damit an die Öffentlichkeit gegangen sind. Deshalb kann man mir keinen Strick daraus drehen.“
Borussias Briefkopf wäre es egal, unter welchen Umständen der Verein den elften großen Titel holen würde. Zudem ist ein Sieg gegen Dortmund die wohl letzte realistische Möglichkeit, in dieser Saison doch noch einen Funken aus der Blase auf die Fans überspringen zu lassen. Der Einzug ins Champions-League-Achtelfinale war so ein Beispiel, wie der Klub seine Fans auch aus der Distanz positiv emotionalisieren kann.
Eine Niederlage gegen Dortmund würde die Stimmung unwiderruflich kippen lassen. Mit einem Sieg könnte Rose zumindest die, zugegeben hanebüchenen, Vorwürfe entkräften, Gladbach bewusst zu schwächen. Für den Verein, die Fans und den Trainer hängt einiges an diesem Borussen-Duell. Es gibt viel zu gewinnen und ebenso viel zu verlieren.