Strafrecht kann für Unternehmen teuer werden
Für Vergehen einzelner Mitarbeiter sollen künftig auch ihre Firmen haften. Experten kritisieren das Verbandsstrafrecht.
DÜSSELDORF Schmiergelder bei Siemens, Dieselgate bei VW, Milliardenbetrug bei Wirecard – die Liste der Wirtschaftsskandale ist lang. Anders als in anderen Ländern können in Deutschland bislang nur Personen, nicht aber die Unternehmen strafrechtlich belangt werden. Das soll sich ändern: „Mit dem neuen Verbandssanktionengesetz will die Bundesregierung ein völlig neues, verschärftes System der Sanktionierung von Unternehmen für unternehmensbezogene Straftaten schaffen – ein Unternehmensstrafrecht“, sagt Dirk Uwer, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller. „Die Absicht, die Integrität in der Wirtschaft zu stärken, wird durch die im Gesetz angelegten Umsetzungsprobleme infrage gestellt.“Der Gesetzentwurf treffe Unternehmen fast jeder
Größe und Branche, wenn ihre Leitungspersonen Straftaten begangen haben oder deren Begehung durch angemessene Vorkehrungen hätten verhindern können.
Sven-Joachim Otto, Partner des Beratungsunternehmens EY, nennt Beispiele: Der Chefbuchhalter unterschlägt Geld, oder ein Chemieingenieur ordnet an, dass Arbeiter giftige Stoffe in den Rhein entsorgen. Künftig will der Staat nicht nur die straffälligen Angestellten, sondern auch das Unternehmen belangen. Bis zu zehn Prozent des Konzernumsatzes können als Strafe festgesetzt werden. Um sich vor Vergehen und Zahlungen zu schützen, werden auch Mittelständler nun ein Compliance-Management aufbauen müssen, erwarten Experten. Denn nur, wenn sie zeigen, dass sie alles getan haben, um Straftaten zu verhindern, können Firmen straffrei ausgehen. „So ist es derzeit auch schon beim Steuerrecht: Hier hilft ein Tax Compliance Management System, im Falle der Aufdeckung von Steuerstraftaten die strafrechtliche Verurteilung des Managements zu vermeiden“, sagt Otto.
2020 hat das Bundesjustizministerium das „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“vorgestellt, jetzt wird es im Bundestag behandelt. Nun debattieren die Experten über Sinn und Unsinn. „Durch das geplante Gesetz würden mittelbar Arbeitnehmer und Gesellschafter ohne eigenes Verschulden für das Fehlverhalten Einzelner bestraft“, warnt Uwer. Er bezweifelt, dass ein Unternehmensstrafrecht überhaupt nötig ist. „Schon das bestehende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht hält genug Möglichkeiten zur Reaktion auf Rechtsverstöße bereit.“Zudem würden Staatsanwaltschaften
gezwungen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung der Straftat ein Sanktionsverfahren einzuleiten. „Die dadurch gebundenen Ressourcen fehlen an anderer Stelle“, so der Jurist.
Sein Kollege Otto ergänzt: „Es liegt allerdings im Eigeninteresse der Unternehmen, ein gutes Compliance-System aufzubauen, um sich vor Straftaten einzelner Mitarbeiter – sei es beim Umgang mit dem Firmenvermögen oder beim Umweltschutz – zu schützen.“
Auch von anderer Seite werden die Unternehmen herausgefordert – die Förderung von Frauen wird ebenfalls formalisiert. Der Staat hat für Aufsichtsräte eine Quote festgelegt, wonach mindestens 30 Prozent der Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen weiblich sein müssen. Zudem ist geplant, künftig auch für Vorstände eine verbindliche Frauenquote einzuführen. Die Regelung betrifft fast ein Drittel der 100 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Uwer betont: „Jenseits dessen kommt kaum ein Unternehmen mit internationalen Geschäftsbeziehungen ohne effektive Maßnahmen zur Förderung von Diversity aus – und Diversity ist weit mehr als klassische Frauenförderung.“Kunden und Mandanten verlangen immer häufiger, dass sich auch ihre Vertragspartner und Berater zu Diversity bekennen.
Info Beide Themen sind Gegenstand des „Düsseldorfer Dialogs zur Rechtspolitik 2021“, den die Rheinische Post am 16. April ab 14 Uhr mitveranstaltet. Vertreter von Kanzleien und Unternehmen können auf folgender Website virtuell mitdiskutieren:
www.rp-forum.de/ wirtschaftskanzleien