Das Landgericht wird digitaler
Die deutsche Justiz stellt auf elektronische Akten um – so auch das Landgericht Düsseldorf. Rund 11.000 Zivil-Verfahren laufen hier derzeit, viele davon inzwischen mit einer Software. Wie funktioniert das System und was sagen die Richter?
DÜSSELDORF Das Düsseldorfer Landgericht ist im Jahr 2021 angekommen: Seit einigen Wochen arbeiten die Richterinnen und Richter, die Zivil- und Handelssachen betreuen, bei neu eingehenden Streitigkeiten nur noch mit elektronischen Akten. „Die Papierakte hat ausgedient – endlich“, sagt Elisabeth Stöve, Vorsitzende Richterin und Sprecherin des Landgerichts. Stöves Kammer nahm schon im vergangenen Jahr die Arbeit mit der eigens für die Gerichtsbarkeit programmierten Software auf, seit Mitte Juni wird sie nun in allen 45 Zivilkammern eingesetzt. Bei Strafsachen hingegen wird die Umstellung noch etwas dauern. Das liegt laut Stöve unter anderem daran, dass dafür mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet wird, wo die Software noch nicht genutzt wird.
Die E-Akte wird sukzessive in der gesamten Justizverwaltung in Nordrhein-Westfalen eingeführt. Damit setzt das Land eine Vorgabe des Bundes um: Spätestens ab dem 1. Januar 2026 müssen Akten in Rechtssachen elektronisch geführt werden. Am Landgericht Düsseldorf ist man früher dran – Elisabeth Stöve freut’s: „Das alte System war wirklich vorsintflutlich.“Nach kleineren Startschwierigkeiten laufe inzwischen alles weitgehend flüssig.
Auf ihrem Schreibtisch hat die Expertin für Markenrecht zwei große Bildschirme stehen, auf denen sie gut mit dem Programm arbeiten kann. Im Regal dahinter türmten sich bis vor Kurzem noch Papierberge, jetzt sind die Fächer leer. Eine Akte hat Stöve aber noch da – zu Vorführungszwecken. Hunderte Seiten Schriftwechsel zwischen Richterin und Anwälten oder Eingaben der Geschäftsstelle sind darin gebündelt. Stoffbänder halten die Akte zusammen, mit Lesezeichen – im Gerichtsjargon „Schnibbel“genannt – wird angezeigt, wo es etwas zu bearbeiten gab.
Diese „Schnibbel“gibt es immer noch, inzwischen aber eben digital. Das gilt auch für die Stempel, mit denen Stöve oder die Geschäftsstelle markieren, wann etwas bearbeitet wurde. Die Vermerke werden jetzt virtuell angefertigt – und auch unterschrieben. Damit dies auch sicher ist, hat Stöve für ihre digitale Signatur ein kleines Gerät – ähnlich einem Tan-Generator – auf ihrem Schreibtisch stehen. Per Pin-Eingabe wird sie zweifelsfrei identifiziert und kann so zum Beispiel auch Urteile anfertigen und unterzeichnen. Über die elektronische Akte sind zudem sämtliche Schriftsätze und die Zuständigkeiten abrufbar.
Am grundsätzlichen Umgang mit den Akten während eines Verfahrens hat sich durch die Umstellung allerdings wenig geändert. In Zivilsachen ist die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet, erklärt Stöve, vielmehr kommunizieren die Richter direkt mit den Anwälten von Kläger und Beklagtem. Auch diese müssen ab dem 1. Januar 2022 sämtliche Eingaben elektronisch machen. Schon jetzt nutzen diese Möglichkeit – beA für besonderes elektronisches Anwaltspostfach – viele Kanzleien. „Und kommt doch noch einmal ein
Schriftsatz auf Papier, wird dieser von der Wachtmeisterei gescannt und in die Software eingepflegt“, sagt Stöve. Die E-Akten werden genauso wie vorher die Papierakten von der Geschäftsstelle verwaltet. „Am Laufen halten“nennt sie das – wurden die Akten vorher mit einem Wägelchen über die Flure des Gerichts zu den Büros der Richter geschoben, werden sie jetzt digital aktualisiert und mit Vermerken versehen. Zudem können in der Software mehrere Personen – Richter, Geschäftsstelle, Kostenstelle und Rechtspfleger – gleichzeitig auf eine Akte zugreifen und damit arbeiten.
Rund 11.000 Zivilsachen werden derzeit am Landgericht verhandelt, pro Richter sind das bis zu 100 Verfahren. Die E-Akte bedeutet für sie vor allem eine große Arbeitserleichterung. „Die Zusammenarbeit in der Kammer wird durch die gleichzeitige Zugriffsmöglichkeit aller Richter erleichtert , sagt Richterin Nina
Weitzel. Zudem könnten Schriftsätze auch von Rechtsanwälten schneller bearbeitet werden, sofern diese schon das digitale Postfach beA nutzten.
Auch die Arbeit im Homeoffice – das in der Corona-Pandemie auch am Landgericht ein Thema war – wird dadurch vereinfacht. Die Digitalisierung wirkt sich zudem noch an anderer Stelle aus: Die Durchführung von Verhandlungen ist inzwischen auch per Videoschalte möglich. Die Richter sitzen dann im Saal, andere Beteiligte können sich per Video dazuschalten lassen. Die Entscheidung darüber liegt beim Richter, sagt Stöve, erst kürzlich habe sie eine Anfrage abgelehnt. „Manchmal ist die Verbindung nicht gut und gerade bei komplizierten Verfahren kommt es wirklich auf jedes Wort an.“
Anders als die E-Akte wird die Video-Verhandlung also nicht zur Pflicht werden. Doch verändern wird sich die Arbeit am Gericht so oder so, sagt Elisabeth Stöve. „Durch die Arbeit mit der elektronischen Akte werden sich die Verfahren deutlich beschleunigen.“