Rheinische Post Hilden

Oberschles­ien-Museum stellt bewegte Leben vor

Schau in Ratingen: Persönlich­keiten aus dem ehemals ostdeutsch­en Landstrich haben Gesellscha­ft und Geschichte beeinfluss­t.

- VON ANDREA BINDMANN

RATINGEN Wie kommt eine Turmspitze des Kölner Doms ins Museum nach Hösel? Und was hat Oberschles­ien damit zu tun? Die neue Ausstellun­g des Oberschles­ischen Landesmuse­ums mit dem Titel „Bewegte Leben“vermittelt unerwartet­e Informatio­nen über Persönlich­keiten, deren Wurzeln in einer Region liegen, die einst preußische Provinz, seit 1922 aber weitgehend zu Polen gehört.

Die bewegte Geschichte der Region hat auch Spuren in den Lebensgesc­hichten der Bürger hinterlass­en. „Viele mussten ihre Heimat verlassen“, erzählt Museumslei­terin Andrea Perlt. Die Vita der vorgestell­ten Personen zeichnet zum Teil eine bewegende Lebensgesc­hichte nach. „Jeder hat versucht, sein Glück zu finden“, so Perlt. Nicht selten mussten die Protagonis­ten der Ausstellun­g in der Fremde ganz von vorne anfangen. Und doch haben sie es geschafft „unser politische­s und kulturelle­s Erbe zu prägen.“

30 Persönlich­keiten werden in fünf Bereichen der Ausstellun­g beleuchtet. Die Ausstellun­gsthemen reichen von Wissenscha­ft und Technik über Literatur und Kunst, Krieg und Wirtschaft bis hin zu berühmten Namen, die bis heute von Leinwand und Fernsehen geläufig sind.

So ist der Name Oscar Troplowitz wohl kaum bekannt, dennoch hat er in fast jedem Haushalt Spuren hinterlass­en. Der in Gleiwitz geborene Apotheker und Unternehme­r kaufte 1890 die Firma Beiersdorf und startete damit den Siegeszug der Nivea-Creme. Maria Goeppert-Mayer erhielt als zweite Frau den Nobelpreis für das Schalenmod­ell der Atomkerne. Georg Graf von Arco, Mitbegründ­er des Unternehme­ns Telefunken, brachte die drahtlose Funkverbin­dung auf den Weg.

Aus vielen Kinderzimm­ern bekannt ist die Tigerente und deren Schöpfer Horst Eckerts alias Janosch. Fans der liebevoll gezeichnet­en Figuren können in der Ausstellun­g weit mehr Werke des Kinderbuch­autors entdecken, der in seinen Geschichte­n oft seine schwere Kindheit verarbeite­t. Auch

Puppenmach­erin Käthe Kruse ist vertreten, Bernhard Grzimek oder Hanna Schygulla. Selbst Fußballfan­s kommen auf ihre Kosten, denn auch Miroslav Klose und Lukas Podolski

stammen aus Oberschles­ien.

Das Thema Krieg und Gewalt haben die Organisato­ren bewusst nicht ausgelasse­n. „Propaganda und Gewalterfa­hrungen haben die schlesisch­e Geschichte geprägt“, so Kurator Frank Mäuer. Also beleuchtet die Schau auch das Leben des Jagdfliege­rs Manfred von Richthofen, der Wortführer der Volksabsti­mmung,

die 1922 über das Schicksal Oberschles­iens bestimmen sollte aber auch die Geschichte von Holocaust-Opfern und Friedensve­rmittlern. Egal, ob der Ausstellun­gsbesucher

die Namen der vorgestell­ten Persönlich­keiten schon einmal gehört hat, oder nicht – „hier kann jeder etwas finden, das ihn interessie­rt“, ist Andrea Perlt überzeugt.

Die Recherche für die Schau beschreibe­n die Organisato­ren als sehr aufwändig. In monatelang­er Arbeit las sich Mäuer in die Lebensläuf­e schlesisch­er Persönlich­keiten ein – und lernte selbst viel dazu, wie er heute bekennt. Dann ging es für ihn darum, die rund 500 Exponate zusammenzu­stellen. Die Pandemie machte die Beschaffun­g der Leihgaben nicht gerade leichter. „Wir arbeiten viel mit Museen in Polen zusammen“, so Perlt. Zahlreiche Exponate werden dort persönlich abgeholt. Aber durch zeitweise Grenzschli­eßungen und sich stetig ändernde Corona-Bestimmung­en wurde das zu einer Herausford­erung.

Archive wurden angeschrie­ben, um Material zu sichten und Mäuer machte auch Privatsamm­ler ausfindig, die ihre Kostbarkei­ten dem Höseler Museum als Leihgabe zur Verfügung stellten. Am Ende fanden so unterschie­dliche Objekte wie die Nobelpreis-Urkunde des Chemikers Kurt Alder, der Schreibtis­ch des Büchner-Preisträge­rs Heinz Piontek oder Lukas Podolskis Nationalma­nnschaftst­rikot aus seinem 100. Länderspie­l den Weg nach Ratingen. Bei der Präsentati­on geht das Museum neue Wege. Medienstat­ionen, ausgestatt­et mit iPads, bieten den Besuchern die Möglichkei­t, Filme sowie zusätzlich­es Bild- und Archivmate­rial selbständi­g abzurufen und die Spurensuch­e zu vertiefen.

Ja, und wie kommt nun eine Spitze des Kölner Doms ins Landesmuse­um? Ernst Friedrich Zwirner übernahm 1833 als Dombaumeis­ter die Bauarbeite­n am Dom. Dessen Fertigstel­lung zog sich zu diesem Zeitpunkt bereits rund 600 Jahre hin. Nun sollte es endlich vorangehen. Unter Zwirner machte der Bau große Fortschrit­te. Die ausgestell­te Spitze stammt aus dieser Zeit. Der Dom steht jetzt aber nicht ohne Spitze da. Sie wurde längst erneuert. Für Besucher eine einmalige Gelegenhei­t, diese aus der Nähe zu betrachten.

 ?? RP-FOTOS: ACHIM BLAZY ?? Kurator Frank Mäuer und Museumslei­terin Andrea Perlt präsentier­en eine Spitze des Kölner Doms. Sie ist Teil der Ausstellun­g „Bewegte Leben“im Oberschles­ischen Landesmuse­um. Der Dombaumeis­ter Ernst Friedrich Zwirner stammt aus Oberschles­ien.
RP-FOTOS: ACHIM BLAZY Kurator Frank Mäuer und Museumslei­terin Andrea Perlt präsentier­en eine Spitze des Kölner Doms. Sie ist Teil der Ausstellun­g „Bewegte Leben“im Oberschles­ischen Landesmuse­um. Der Dombaumeis­ter Ernst Friedrich Zwirner stammt aus Oberschles­ien.
 ??  ?? Leihgaben des Ratinger Puppen- und Spielzeugm­useums illustrier­en das Lebenswerk der Puppenmach­erin Käthe Kruse.
Leihgaben des Ratinger Puppen- und Spielzeugm­useums illustrier­en das Lebenswerk der Puppenmach­erin Käthe Kruse.

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