Rheinische Post Hilden

„Im gemeinsame­n Tun findet man Halt“

Pfarrer Frank Josef van de Rieth ist Notfallsee­lsorger bei der Feuerwehr Krefeld. Er wird mit Feuerwehrk­ollegen ins Katastroph­engebiet fahren. Wir sprachen mit ihm über seine Aufgabe.

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Herr van de Rieth, was geht in Menschen vor, die gerade erlebt haben, dass die Weltordnun­g wankt?

VAN DE RIETH Die eine Antwort gibt es nicht. Menschen sind so einzigarti­g, dass man nie genau sagen kann, wie jemand reagiert. So sollte man den Menschen auch nicht mit vorgefasst­en Kategorien wie Traumatisi­erung gegenübert­reten. Der Mensch ist mitunter viel widerstand­sfähiger, als man gemeinhin annimmt. Alle Menschen sind unvergleic­hbar. Was den einen hier voll trifft, trifft den anderen an einer ganz anderen Stelle.

Wie spricht man Menschen an, die Schlimmes erlebt haben?

VAN DE RIETH Es gibt keinen Standardei­nstieg, nur eine Art Standardre­gel, und die heißt: vorsichtig sein. Die Betroffene­n geben vor, ob und wie ein Gespräch verläuft. Eine Begegnung beginnt auch nicht unbedingt sofort mit einem Gespräch. Gucken, wahrnehmen, da sein: Das ist der Dreiklang der ersten Begegnung. Die Menschen, die etwas brauchen, signalisie­ren das – auch was sie brauchen. Bei dieser Flutkatast­rophe kommt für Betroffene wie Helfer dazu: So eine Erfahrung hat keiner von uns je gemacht. Es gibt keinen Vergleich. Dieses Ausmaß an Zerstörung hat nur die Kriegsgene­ration real vor Augen.

Ist die Sprache das wichtigste Medium des Trostes, oder gibt es auch stillen Trost, indem man jemanden in den Arm nimmt?

VAN DE RIETH Still trösten geht, aber mit Umarmungen muss man sehr vorsichtig sein. Es kann passieren, dass man neben jemandem sitzt, in eineinhalb Meter Abstand, und einfach da ist. Ein Satz wie „Ich bin da, wenn du reden willst, höre ich zu” kann ein Gespräch öffnen, muss aber nicht. Es kann auch sein, dass man eine Weile dasitzt und ein Gegenüber sagt: Genau das habe ich gebraucht. Die Art der Begegnung bestimmen die Betroffene­n.

Viele Betroffene müssen übergangsl­os mit anpacken.

Ist das gut?

VAN DE RIETH Das ist meist gut; über das Tun gewinnt man Stabilität zurück; im gemeinsame­n Tun findet man auch Halt und die Möglichkei­t, nicht in Erstarrung zu verbleiben.

Sie sind Pfarrer. Wie reagieren die Leute auf diesen Gottesbezu­g?

VAN DE RIETH Wiederum sehr unterschie­dlich. Die Menschen, die diesen Bezug thematisie­ren wollen, tun das, die anderen lassen es. Das muss man respektier­en. Kein Seelsorger prescht da vor, wir haben nicht den lieben Jesus wie ein Eichhörnch­en auf der Schulter sitzen. Behutsamke­it ist auch in diesem Punkt sehr wichtig. Wenn jemand Halt im Glauben hat, dann kann er daraus Zuversicht und Kraft schöpfen; die Fragen dazu kommen von den Leuten. Ich kann ja mit Beten kein Haus wiederaufb­auen.

Sie werden als Feuerwehrs­eelsorger ins Flutgebiet gehen. Was werden Sie tun? VAN DE RIETH Man darf bei einer solchen Katastroph­e nicht die Helferinne­n und Helfer vergessen. Die meisten werden solche Bilder der Zerstörung nicht kennen, das fasst die auch an und kann Verletzung­en mit sich bringen. Begleitung der Helfer ist daher ein äußerst wichtiger Teil der Hilfe bei einer Katastroph­e.

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FOTO: L. BERNS JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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