Für einen Moment wieder zu Hause
Eine Woche nach der Flut dürfen die Anwohner Blessems zurück in ihre Häuser. Manche nur, um das Wichtigste zu holen. Um die Abbruchkante gibt es eine Sicherheitszone.
ERFTSTADT „Grausam!“Einfach nur grausam sehe es in Blessem aus, sagt Marianne Kaus. Gerade ist sie aus dem Örtchen zurückgekehrt, in das sie kurz hinein durfte, um nach ihrem Haus zu schauen und ein paar Habseligkeiten einzupacken. Mit Rollkoffer, Sporttasche und Plastiktüte steht die 64-Jährige am Donnerstag völlig erschöpft am Ortsrand.
Nach einer Woche sind Anwohner wieder in den Ortsteil von Erftstadt gelassen worden, der so furchtbar von der Flutkatastrophe betroffen ist. Zwar ist dort niemand ums Leben gekommen, aber ein Teil Blessems ist weggebrochen. Dort, wo einst Häuser gestanden haben, klafft nun ein riesiger Krater. Es gibt eine Sicherheitszone. Näher als 100 Meter darf niemand an die Abbruchkante heran. Es besteht Lebensgefahr; es könnte noch mehr abbrechen. Fachleute des geologischen Dienstes haben die Standfestigkeit der Gebäude überprüft. Wer kein Haus in diesem Bereich hat, darf auch nicht zurück ins Dorf. Die anderen aber, rund 1500 Menschen, dürfen auf eigenes Risiko in ihren Häusern schlafen. Ein Sicherheitsdienst patrouilliert auf den Straßen. Landrat Frank Rock sagt, dass er niemanden verbieten könne, dort zu bleiben. „Ich würde aber raten, reinzugehen, Sachen rauszuholen und die Nacht woanders zu verbringen. Am nächsten Tag kann man dann ja wiederkommen.“
Jeannine Heinrich gehört zu denen, die nicht zurückgelassen werden. Ihr Haus ist zur Hälfte weggerissen worden; der verbliebene Teil steht direkt am Abgrund. „Unser Haus ist quasi offen, da fehlt die Wand, der Garten ist weg“, sagt die 51-Jährige. Als das Wasser in der Nacht von
Mittwoch auf Donnerstag kommt, klingelt sie ihre Nachbarn aus dem Bett. Um halb vier morgens bringt die Feuerwehr sie aus der Gefahrenzone. „Da stand mein Haus noch“sagt sie. Ihr Lebensgefährte gehört zur Erbengemeinschaft der Burg Blessem, die am Rand des Kraters steht. „So wie es aussieht, hat der historische Teil der Burg so gut wie nichts abbekommen an Schäden. Nur neue Anbauten sind betroffen“, sagt Burgherr Alexander Engels.
An der Einlassstelle in den Ort sieht man vormittags zunächst unzufriedene Gesichter; zeitweise herrscht Chaos, weil die Anwohner von allen Seiten heranströmen. Seit acht Uhr morgens dürfen sie zunächst zu Fuß zurück in ihre Wohnungen und Häuser; später dürfen auch Autos reinfahren. Doch nur wer einen Ausweis vorzeigen kann und an bestimmten Straßen wohnt, wird durch die Absperrungen gelassen. Helfer der Anwohner dürfen anfangs nicht mit.
Die Zufahrtswege nach Blessem sind verstopft, es gibt einen kilometerweiten Rückstau; alles ist zugeparkt. Und dann gibt es sogar einen kompletten Einlassstopp. Der geologische Dienst, teilt eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes mit, müsse noch etwas untersuchen. „Wir wollen keine Menschenleben gefährden“, ruft ein Polizist in die Menge, die über den Einlassstopp teils mit wütenden Rufen und Beschimpfungen reagiert. „Das ist eine Sauerei! Ich habe gerade meine 79-jährige herzkranke Frau reingebracht. Ich wollte nur schnell was holen, und jetzt darf ich nicht mehr zurück. Meine Frau ist jetzt allein dort“, sagt Erwin Gardemann, der mit Schaufel, Besen und Hochdruckreiniger vor der Absperrung steht. Dann beruhigen sich die Gemüter wieder.
Erftstadts Bürgermeisterin Carolin Weitzel ist durch den Ort gegangen und hat sich die Schäden angeschaut. „Die Menschen haben große Sorge um ihr Hab und Gut, um ihre Existenz“, sagt sie. Bei manchen habe sie auch eine gewisse Erleichterung festgestellt, weil die Schäden an ihren Häusern nicht so schwer seien wie befürchtet: „Ich bin insgesamt zutiefst betroffen. Blessem macht deutlich, wie schnell die Flut der Wassermassen vernichten kann, was von Menschen ein Leben lang aufgebaut worden ist.“1,6 Millionen Euro Spendengelder seien eingegangen, der Kreis will eine halbe Million Euro dazugeben. Der Aufbau wird vermutlich Jahre dauern. An normales Wohnen sei in Blessem erstmal nicht mehr zu denken. Es gebe keinen Strom, sagt die Bürgermeisterin. Für wie lange, kann keiner sagen.
Marianne Kaus ist erleichtert, dass ihr Haus noch steht. „Ich habe ja noch ein Dach über dem Kopf. Die anderen sind viel schlimmer dran, bei denen steht ja nichts mehr, da ist nichts mehr, wohin sie zurückkönnen“, sagt sie. Die 61-Jährige hat die wichtigsten Sachen mitgenommen: Ausweise, Dokumente, ein paar Kleidungsstücke. „Gleich kommt der Aufräumdienst in mein Haus, um zu gucken, ob es einsturzgefährdet ist“, sagt sie: „Ich bin froh, dass ich noch lebe. Alles andere lässt sich ersetzen.“