China nimmt wirtschaftliche Schäden in Kauf
Die Konjunktur schwächelt, doch die Regierung stellt die Politik bewusst über die Ökonomie. Das trifft auch ausländische Unternehmen.
FRANKFURT Im dritten Quartal ist die Wirtschaft in der Volksrepublik im Vergleich zum Vorjahr nur noch um 4,9 Prozent gewachsen – nach einem Plus von 18,3 Prozent im ersten und 7,9 Prozent im zweiten Quartal. Insgesamt belief sich das Wachstum zwischen Januar und Ende September auf 9,8 Prozent. War die kräftige Dynamik zu Jahresbeginn der Erholung nach der Pandemie geschuldet, so machen sich Ökonomen inzwischen Sorgen über neue Belastungen für die chinesische Wirtschaft.
So wird Energie knapper: Im Land gehen immer mal wieder die Lichter aus. Das trifft dann nicht nur die Bürger des Landes, sondern auch Industrieunternehmen. Sie mussten in den vergangenen Wochen deshalb ihre Produktion drosseln. Das spüren auch europäische Firmen in China, und das dürfte auch während der Heizperiode – also bis mindestens März – anhalten, warnt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China: „Wir stecken in einem Marathon, nicht in einem Sprint“, sagte er.
Die dortigen Zustände beschreiben Unternehmen aus der Europäischen Union als chaotisch, oft werde ihnen lediglich kurzfristig mitgeteilt, dass der Strom abgestellt werde. Dass die Lichter immer wieder ausgehen, das habe auch politische Gründe, meint Holger Bahr, Leiter Volkswirtschaft bei der Deka-Bank. Denn China hat die wichtigen Kohleimporte aus Australien wegen des U-BootStreits gestoppt (siehe Infokasten). Doch genau diese Kohle fehlt nun zur Energieerzeugung. Das aber nehme die Politik hin, meint Bahr, der auch in anderen Bereichen Eingriffe der Regierung in Peking in die Wirtschaft beobachtet.
So seien Immobilienfinanzierer wie Evergrande in Schwierigkeiten geraten, weil die Regierung die Kreditvergabe an die Unternehmen herunterfahre und diese zur Entschuldung zwingen wolle. „Zum ersten Mal seit vielen Jahren zeigt sich in China die Dominanz der Politik über die Wirtschaft“, beobachtet auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Damit nehme die Regierung bewusst hin, dass sie der Wirtschaft schade, glaubt auch Michael Heise, Chefvolkswirt von HQ Trust. Eingriffe in den Technologiesektor hatte es schon zuvor gegeben, hier geht es aber vor allem um die Kontrolle der Daten, die diese sammeln.
Das alles trifft auch vor allem exportorientierte deutsche Unternehmen, die Autobranche etwa, für die
China inzwischen als Absatzmarkt sehr große Bedeutung hat. Volkswagen etwa produziert schon seit Jahren vor Ort. Daimler baut sein Engagement in den vergangenen Jahren kontinuierlich aus. Mit den Mercedes-Benz-Modellen erzielten die Stuttgarter 36 Prozent ihrer Umsätze in China, mehr als in jedem anderen Land. Und im Export machen die deutschen Unternehmen inzwischen fast so viel Umsatz mit China wie mit den USA.
Auch für die Chemieindustrie ist der riesige Markt verlockend. So ist auch die Ludwigshafener BASF seit Jahrzehnten in China aktiv – und bleibt es: Im nächsten Jahr soll etwa der neue Verbundstandort Zhanjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong mit der Produktion beginnen. Bis 2030 soll er einen Umsatz von vier bis fünf Milliarden
Euro beisteuern, beim Betriebsgewinn rechnet Vorstandschef Martin Brudermüller mit mindestens einer Milliarde Euro. Aber nicht nur die Großkonzerne, auch viele mittelständische Betriebe produzieren in China. Für sie dürfte es besonders schwierig sein, sich auf die zunehmende Regulierung der Regierung einzustellen, sagt CommerzbankChefvolkswirt Krämer.
Er verweist auf die Folge der Abkühlung in China für die dortigen Verbraucher: Die Umsätze im Einzelhandel lägen im September zwar noch um 4,4 Prozent über denen des Vorjahres – aber deutlich unter dem Vorkrisenniveau: „Das zeigt, wie verunsichert die chinesischen Konsumenten sind“, so Krämer. Das wiederum bedeutet auch, dass sie nicht mehr so schnell deutsche Produkte wie eine Luxuslimousine kaufen.