Rheinische Post Hilden

Wenn Migration zur Waffe wird

Die Bundesregi­erung denkt über verstärkte Kontrollen an der Grenze zu Polen nach.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Im September kamen im Schnitt 50 täglich, im Oktober sind es bereits 100. Diese Afghanen, Syrer, Iraker und Flüchtling­e aus anderen Nationen folgen dem Konzept des weißrussis­chen Diktators Alexander Lukaschenk­o, reisen nach Belarus und versuchen von dort nach Polen und weiter nach Deutschlan­d zu kommen. „Da könnte sich was entwickeln“, meinte Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus, nachdem er sich mit seinem Migrations­experten Thorsten Frei am Dienstag in Frankfurt an der Oder die Situation angeschaut hatte. Es werde immer dramatisch­er und es sei in Polen zu erleben, was passiere, wenn „Migration als Waffe eingesetzt“werde, berichtete Frei. An diesem Mittwoch bringt Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) das Problem ins Kabinett.

Nach der blutigen Niederschl­agung der Demokratie­bewegung und einem schwerwieg­enden Eingriff in den Luftverkeh­r hatte die EU Sanktionen gegen das Lukaschenk­o-Regime auf den Weg gebracht. Die Migrations­entwicklun­g scheint nun seine Antwort zu sein. Es gebe Hinweise, dass weißrussis­che Kontaktleu­te unter Flüchtling­en im Libanon und im Irak damit werben, problemlos nach Weißrussla­nd reisen und von dort aus weiter in die EU kommen zu können, erläuterte Frei. Zu vermuten sei auch, dass dieses Manöver nicht ohne Zustimmung Russlands erfolge. Ziel sei die Destabilis­ierung Europas.

Seehofer regte in einem Brief an, seinen polnischen Amtskolleg­en Mariusz Kaminski verstärkt polnisch-deutsche Kontrollen vorwiegend auf polnischer Seite an. Brinkhaus brachte aus Frankfurt den Eindruck mit, dass dies schon hervorrage­nd funktionie­re. Auch Frei beschrieb, wie sehr sich Polen bemühe, die Situation in den Griff zu bekommen. Aus dem Innenminis­terium kam dazu die aktuelle Statistik, wonach sich Warschau bereit erklärt habe, 128 Flüchtling­e zurückzune­hmen, die nach den Prinzipien der EU ihr Asylverfah­ren in Polen und nicht in Deutschlan­d durchführe­n müssen. Allerdings gibt es derzeit wenige „Treffer“von in Deutschlan­d aufgegriff­enen Flüchtling­en, die ihre erste Registrier­ung in Polen hatten. Sie scheinen also von Schleusern unterhalb der Wahrnehmun­g der Behörden durchs Land gebracht zu werden.

Seehofer will den Kabinettsk­ollegen eine Reihe von möglichen Optionen auf den Tisch legen. Eine Schließung der Grenzen wird wohl nur als theoretisc­he Möglichkei­t angesproch­en, wegen der problemati­schen Auswirkung­en auf den deutsch-polnischen Personen- und Güterverke­hr jedoch nicht weiter verfolgt werden. Die Bundespoli­zei hat vielmehr bereits acht Hundertsch­aften zusätzlich in die Grenzregio­n verlegt, um dort mehr Schleierfa­hndung betreiben zu können. Dazu sollen Stichprobe­n an den

Grenzen kommen. „Wir werden auch in den einen oder anderen Lkw schauen, ob dort Menschen verdursten oder ersticken“, kündigte Bundespoli­zei-Chef Dieter Romann an. Vor allem das Außenminis­terium von Heiko Maas wird aller Voraussich­t nach gefordert sein, den Druck auf Weißrussla­nd zu erhöhen. Es könnte zu weiteren Sanktionen gegen weißrussis­che Fluggesell­schaften kommen. Daneben wird die Bundesregi­erung auch die aktuelle Flüchtling­ssituation in Afghanista­n analysiere­n und herauszufi­nden versuchen, welche Auswirkung­en diese auf Deutschlan­d haben könnte.

Besonders prekär scheint sich – weitgehend­e unbeobacht­et – die Situation im polnisch-weißrussis­chen Grenzgebie­t zu entwickeln. Dutzende Flüchtling­e sollen sich dort aufhalten, die ohne Schutz und Versorgung nicht nach Weißrussla­nd zurück und nicht nach Polen hineingela­ssen werden. „An der Außengrenz­e der EU in Polen ist die Flüchtling­skonventio­n faktisch außer Kraft gesetzt“, kritisiert der Europa-Chef der Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl, Karl Kopp.

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FOTO: DANILO DITTRICH/DPA Bundespoli­zisten stehen neben einer Gruppe von Migranten, die zuvor über die deutsch-polnische Grenze gegangen waren.

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