Rheinische Post Hilden

Einem Staat droht der Untergang

Der Klimawande­l ist für die Marshallin­seln im Pazifik eine große Gefahr. Der steigende Meeresspie­gel bedroht viele der tiefliegen­den Atolle. Die Folgen könnten katastroph­al sein.

- VON BARBARA BARKHAUSEN

SYDNEY Die Marshallin­seln entsenden gleich fünf Delegierte ins schottisch­e Glasgow. Dort soll das Quintett seine knapp 60.000 Mitbürger beim UN-Klimagipfe­l in zwei Wochen vertreten. Dabei soll das globale Rampenlich­t auf die Konsequenz­en des Klimawande­ls in der Region gelenkt werden. Vor allem geht es aber darum, die „Klimaambit­ionen“zu steigern, wie Clarence Samuel vom Direktorat für Klimawande­l auf den Marshallin­seln dem neuseeländ­ischen Radiosende­r RNZ erklärte.

Schon lange ist bekannt, dass die Marshallin­seln eine der am stärksten gefährdete­n Nationen der Erde sind. Die Inselnatio­n, die etwa auf halbem Weg zwischen Hawaii und Australien im Nordpazifi­k liegt, hat eine Landfläche von 180 Quadratkil­ometern. Einige der Atolle liegen nur zwei Meter über dem Meeresspie­gel. Weil die Meere immer wärmer werden, die Gletscher und polaren Eiskappen schmelzen, könnte der Meeresspie­gel bis zum Ende dieses Jahrhunder­ts jedoch um mehr als das steigen. Schon eine Studie der US Geological Survey aus dem Jahr 2018 kam zu dem Schluss, dass viele tief liegende Atolle bis Mitte dieses Jahrhunder­ts unbewohnba­r sein könnten.

Nun warnt ein Bericht der Weltbank, an dem ein Team zwei Jahre lang gearbeitet hat, dass bereits die nahe Zukunft der Nation düster aussieht. Der Bericht mit dem Titel „Mapping the Marshall Islands“, der vor seiner Veröffentl­ichung dem britischen „Guardian“vorlag, prognostiz­iert ein wahres Weltunterg­angsszenar­io für den pazifische­n Inselstaat. So rechnen die Forscher damit, dass der Meeresspie­gel so weit steigen könnte, dass Gebäude in Majuro, der Hauptstadt der Marshallin­seln, dauerhaft überflutet und Inseln verschwind­en werden. Dies würde den Status der Marshallin­seln als eigenständ­ige Nation gefährden.

Artessa Saldivar-Sali, eine Expertin für Katastroph­enrisikoma­nagement der Weltbank, die die Arbeit an dem Bericht leitete, sagte dem „Guardian“, dass die Marshallin­seln wichtige Teile ihres Landes und ihrer Infrastruk­tur verlieren könnten. Bereits bei einem Anstieg des Meeresspie­gels um einen Meter würden etwa 40 Prozent der Gebäude in der Hauptstadt Majuro dauerhaft überschwem­mt, erklärte sie. „Das ist also eine ziemlich große Auswirkung.“Bis zu 96 Prozent der rund 20.000 Einwohner wären zudem häufig von Überschwem­mungen betroffen.

Die Modellieru­ng, die dem Bericht zugrunde liegt, berücksich­tigt verschiede­ne Szenarien für den Anstieg des Meeresspie­gels und für Überschwem­mungen und kombiniert diese mit der Geografie des Landes, Vermögensw­erten, Gebäuden und anderer Infrastruk­tur. Auf diese Weise können die tatsächlic­hen Auswirkung­en auf die Inselnatio­n realistisc­h dargestell­t werden. Ein Visualisie­rungstool zeigt eine Gebäude-für-Gebäude-Aufschlüss­elung dessen, was verschiede­ne Meeresspie­gelanstieg­e für die Atollnatio­n bedeuten würden, wie es im „Guardian“heißt. Laut Saldivar-Sali ist die Modellieru­ng so spezifisch, dass sie zeigt, wo Küsteneros­ion Häuser ins Meer stürzen lassen wird, wo es zu erhebliche­m Landverlus­t kommen und wo Salzwasser in Süßwasserq­uellen eindringen wird. Letzteres kann nicht nur die Wasservers­orgung gefährden, sondern auch die landwirtsc­haftlichen Erträge. Der Bericht zeigt damit aber auch, wo sich das Land anpassen könnte oder muss – wo Baustellen verschoben, Gebäude umgesiedel­t, Land aufgeschüt­tet oder Fußbodenle­vel erhöht werden müssten – Optionen,

die größtentei­ls mit hohen Kosten verbunden sind.

Kathy Jetñil-Kijiner, Dichterin und Klimabotsc­hafterin der Marshallin­seln, schilderte dem „Guardian“, wie schockiert sie von dem Bericht war. Ihr sei bewusst gewesen, dass ihr Land „eine düstere Zukunft“habe, aber jetzt sei diese „eindeutige­r“geworden. Zudem musste sie mit

Schrecken feststelle­n, dass die Insel, von der ihre Familie stammt, dem

Untergang geweiht ist. „Eine der Inseln, die zu 100 Prozent unter

Wasser stehen und vollständi­g bedeckt sein werden, ist Jaluit“, sagte sie. „Es ist das Land, nach dem meine Tochter benannt ist.“Als sie ihrer Familie gesagt habe, wie bald dies wohl passieren werde, habe das alle „wirklich hart getroffen“.

Mit den Komplikati­onen des täglichen Lebens oder Überlebens gehen auch rechtliche Probleme einher. So könnten die Marshallin­seln sogar ihren Status als Nation verlieren, wenn die Stabilität, die Abgrenzung des Territoriu­ms und die Bevölkerun­g verloren gingen. Unter Umständen könnten so die großräumig­e exklusive Meereszone und damit der Zugang zu wichtigen Fischereig­ebieten verloren gehen, eine Problemati­k, die auch die Staats- und Regierungs­chefs der Region im Pacific Islands Forum im August besprochen haben.

Eine weitere Gefahr, die der steigende Meeresspie­gel mit sich bringt, entsteht durch den Atommüll, den die USA in einem Betonbunke­r auf dem zu den Marshallin­seln gehörenden Runit Island eingeschlo­ssen haben. Dieser stammt noch aus der

Zeit des Kalten Krieges, als die USA im Pazifik Atomwaffen testeten. Seit Ende der 1970er lagern auf der Insel 85.000 Kubikmeter nuklearer Abfall, darunter Plutonium-239, eine der giftigsten Substanzen der Erde. Der Müll sitzt dabei direkt auf dem Boden der Insel, abgedeckt mit einem 50 Zentimeter dicken Betondecke­l. Seitdem der Meeresspie­gel steigt, droht die Kuppel auseinande­rzubrechen. Dringt das Plutonium ins Meer, könnte es große Teile des Pazifiks verseuchen.

Auch andere Inselstaat­en im Pazifik leiden schon durch den Klimawande­l. Fünf unbewohnte Inseln der Salomonen verschwand­en 2016 durch den steigenden Meeresspie­gel völlig von der Bildfläche, ein Dorf auf Kiribati musste umgesiedel­t werden. Auf Kiribati haben Überschwem­mungen und Sturmflute­n in den vergangene­n Jahren bereits viel Land unbrauchba­r gemacht: Süßwasserb­runnen sind versalzt, Ernten zerstört worden.

In einigen Medienberi­chten heißt es, Kiribati könnte – ähnlich wie die Marshallin­seln – schon in wenigen Jahren unbewohnba­r sein. Rund 100.000 Menschen müssten umgesiedel­t werden. Ursprüngli­ch hatte der Inselstaat in Land in Fidschi investiert, um für seine Bürger vorzusorge­n und Menschen notfalls umziehen zu lassen. Derzeit wird das Land jedoch laut Medienberi­chten von Anfang des Jahres mit „technische­r Hilfe“aus China in eine kommerziel­le Farm umgewandel­t, die Nahrungsmi­ttel für den Pazifiksta­at produziere­n soll. Außerdem wurden Pläne für eine künstliche Insel diskutiert, auf der rund 30.000 Menschen leben könnten.

 ?? FOTO: DPA ?? Das Kwajalein-Atoll der Marshallin­seln im August 2015.
FOTO: DPA Das Kwajalein-Atoll der Marshallin­seln im August 2015.

Newspapers in German

Newspapers from Germany