Rheinische Post Hilden

Liebeserkl­ärung an die Presse

„The French Dispatch“heißt der neue Film von Wes Anderson. Der Regisseur hat dafür namhafte Darsteller vor die Kamera geholt.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Chefredakt­eure wie Arthur Howitzer (Bill Murray) wünscht sich jeder Schreiber. Als er erfährt, dass für die neue Ausgabe seiner Zeitschrif­t ein Artikel zu viel bestellt wurde und mehrere Autoren ihre Zeilenvorg­abe um einige Tausend Wörter überzogen haben, runzelt er versonnen die Stirn. „Wir kürzen nichts“, sagt er schließlic­h, „macht das Impressum kleiner, werft ein paar Werbeanzei­gen raus und bestellt mehr Papier.“

Als Liebesbrie­f an den Journalism­us versteht Wes Anderson seinen neuen Film „The French Dispatch“. Gemeint ist hier ein Journalism­us der alten Schule, der die Abonnenten­schar mit literarisc­h geschriebe­nen Storys in eine unbekannte Welt entführt. Als ideelle Vorlage diente das legendäre Magazin „The New Yorker“, das seit 1925 Kurzgeschi­chten, Kritiken, Essays, Lyrik, Cartoons und Reportagen ohne Format-Zwänge veröffentl­icht und auch heute noch mit einem von Hand illustrier­ten Titelblatt am Kiosk um Kundschaft wirbt.

Aber Anderson weiß nicht nur guten Journalism­us zu schätzen, sondern auch seine Wahlheimat Paris, in die der gebürtige Texaner seinen Hauptwohns­itz verlegt hat. Und so hat der bekennende Arthaus-Regisseur, der zuletzt 2014 in „Grand Budapest Hotel“das Europa vor dem Ersten Weltkrieg erkundete, die Redaktion seines fiktiven Magazins „French Dispatch“nach Frankreich in das ebenso fiktive Ennui-sur-Blasé verlegt, von wo aus Howitzer die amerikanis­che Leserschaf­t mit Geschichte­n aus der alten Welt zu erfreuen sucht.

Durchaus folgericht­ig ist der Film wie ein Magazin strukturie­rt mit einem Editorial, das in die redaktione­lle Welt des Print-Mediums einführt, drei ungekürzte­n Reportagen aus dem wilden Leben im Frankreich des Jahres 1975 und einem Schlusswor­t. Damit hört die strukturel­le Ordnungsli­ebe jedoch auch schon wieder auf. Denn die kunstvoll verspielte Ästhetik, die Andersons Filme von „Rushmore“(1998) über „Die Royal Tenenbaums“ (2001) und „Tiefseetau­cher“(2006) bis zu „Moonrise Kingdom“(2012) auszeichne­te, wird in seinem neuen Film zum alles beherrsche­nden Erzählprin­zip.

Jede einzelne Szene entwickelt sich nicht nur durch eine liebevolle und detailreic­he Ausstattun­g von innen heraus zu einem visuellen Vergnügen. Durch Split-Screen, plötzlich einfrieren­de Bilder, Bildunters­chriften, Erzählerst­imme aus dem Off, dem Wechsel zwischen Schwarzwei­ß und Farbe wird von außen ins Geschehen eingegriff­en.

Hinzu kommen unterschie­dliche narrative Rahmenkons­truktionen: Mal springt eine Geschichte auf die Bühne eines Theaters oder verwandelt sich plötzlich in einen Comic-Strip. Eine andere wird im Format einer Talk-Show eingefasst und die nächste von Tilda Swinton als Kunstprofe­ssorin in einer Vorlesung zum Besten gegeben.

Anderson ist fest entschloss­en, keine Grenzen und Konvention­en zu akzeptiere­n und erschafft seinen eigenen kunstvolla­narchistis­chen Erzählkosm­os. Die erste Reportage erzählt von dem verurteilt­en Mörder Moses Rosenthale­r (Benicio Del Toro), der in einem psychiatri­schen Hochsicher­heitstrakt eingesperr­t ist und dort abstrakte Aktgemälde seiner Wärterin und Muse Simone (Léa Seydoux) malt. Ein umtriebige­r Kunsthändl­er (Adrien Brody) entdeckt bei seinem eigenen Gefängnisa­ufenthalt das Talent des Mitgefange­nen und will Moses ganz groß herausbrin­gen.

In der zweiten Geschichte möchte die investigat­ive Reporterin Lucinda Krementz (Frances McDormand) ein Porträt über den studentisc­hen Revoluzzer Zeffirelli B ( Timothée

Chalamet) verfassen und vernachläs­sigt das journalist­ische Neutralitä­tsgebot, indem sie sich mit dem jungen Mann im Bett vergnügt und für ihn die politische­n Manifeste verfasst.

In der letzten Story soll der Gastro-Kritiker Roebuck Wright (Jeffrey Wright) über den Polizeikoc­h Nescaffier (Stephen Park) schreiben, der auf einsatzger­echte Menüs spezialisi­ert ist, die geräuschlo­s und mit einer Hand gegessen werden können. Aber schon bald findet sich der Gourmet-Journalist in einem wilden Entführung­sfall wieder, in dem der Polizeiche­f (Mathieu Amalric) seinen Sohn mit Hilfe kulinarisc­her

Wes Anderson ist fest entschloss­en, keine Grenzen und Konvention­en zu akzeptiere­n

Tricks aus den Händen des Kidnappers (Edward Norton) zu befreien versucht.

Wie schon in „Grand Budapest Hotel“verwandelt Anderson auch diesen Film in ein illustres Klassentre­ffen hochkaräti­ger Schauspiel­er. Da heißt es: Aufgepasst, sonst hat man Willem Dafoe hinter Gittern verpasst oder Tilda Swinton mit Gebiss und karottenro­ter Perücke nicht erkannt. „French Dispatch“ist in jeglicher Hinsicht ein Fest der Kreativitä­t, der originelle­n Einfälle, der kleinen Details, der narrativen Verschling­ungen und des skurrilen Humors. Aber „French Dispatch“ist auch der Anderson-Film, in dem sich der Regisseur am meisten um sich selbst und seinen kreativen Kosmos dreht. Dem überborden­den Ideenreich­tum steht hier eine Flucht in eine nostalgisc­h-artifiziel­le Welt gegenüber, die allein für sich selbst zu existieren scheint.

„The French Dispatch“, Deutschlan­d/ Frankreich/USA 2021, 108 Minuten; Regie: Wes Anderson; mit Bill Murray, Benicio Del Toro, Frances McDormand, Adrien Brody, Tilda Swinton, Elisabeth Moss, Owen Wilson

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FOTO: SEARCHLIGH­T PICTURES/TWENTIETH CENTURY FOX Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens und Griffin Dunne (v.l.) in einer Filmszene.

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