„Die Gebühren für die Bürger werden steigen“
Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds in NRW über die Belastungen durch die Pandemie und die Folgen für die Kommunen.
Die Kommunen sind inmitten der vierten Welle. Beschreiben Sie doch mal die Herausforderungen. RUTHEMEYER In Soest haben wir noch im November die Allerheiligenkirmes mit 3G gefeiert. Wir wähnten uns auf dem Weg in eine neue Normalität. Die Wucht der vierten Welle und der Maßnahmen hat uns deshalb besonders getroffen. Das waren und sind kommunikative Herausforderungen.
Würden ein Lockdown und Kontaktbeschränkungen für Genesene und Geimpfte die Impfkampagne gefährden?
RUTHEMEYER Nein. Es gibt das weitverbreitete Einsehen, dass das Impfen der Schlüssel zur Rückkehr in die Normalität ist. Die Impfzahlen sind doch gut in NRW. Wir sind da auf dem richtigen Weg.
Wie stark beunruhigt sind Sie mit Blick auf das Böllerverbot und untersagte Silvesterpartys? RUTHEMEYER Wir haben ja Erfahrung aus dem Vorjahr. Man wird das nicht zu 100 Prozent durchsetzen können, aber die Vernunft und die Verantwortungsbereitschaft ist überwältigend da. Das bestärkt mich in meinem Optimismus auch für dieses Jahr.
Der Städtetag hat einen CoronaSchuldenschnitt für die NRW-Kommunen gefordert. Würden Sie sich dem anschließen?
RUTHEMEYER Es war ja gerade Weihnachten, und da darf man durchaus Wünsche äußern. Natürlich wären echte Barmittel für uns die 1A-Lösung gewesen, anstatt Corona-Schäden über einen Buchungstrick auszulagern und die Schulden über viele Jahre abzustottern. Wir müssen jetzt schon sehen, wo wir im kommenden Jahr stehen und wie hart die Einnahmeausfälle zu Buche schlagen. Es wird harte Diskussionen im neuen Jahr geben, was wir uns leisten wollen und können.
Reden wir hier über großflächige Leistungskürzungen und Gebührenerhöhungen, die da auf die Bürger zurollen?
RUTHEMEYER Jetzt kommunale Aufgaben zu streichen, wäre das völlig falsche Signal. Bei den Gebühren ist das etwas Anderes, denn dabei werden Kosten umgelegt: Wir haben Tarifsteigerungen von drei oder vier Prozent und die müssen Sie als Kommune erst einmal wieder reinbekommen. Wir haben sprunghafte Anstiege bei Energie- und Gaspreisen.
Natürlich wird das für den Bürger spürbar. Aber damit sanieren wir nicht die Haushalte. Und da haben wir ja noch gar nicht über die gewaltigen Zukunftsaufgaben gesprochen, die vor uns liegen. Klimaanpassung, Verkehrswende, die digitale Schule – für all das brauchen wir zusätzliche Ressourcen. Wir müssen über den Finanzausgleich mehr eigene Mittel bekommen, um unsere Aufgaben abarbeiten zu können. Darum werden wir auch mit der neuen Regierung ringen müssen. Der Schuh drückt insbesondere bei der Schulfinanzierung. Wir leben da immer noch in der Kreidezeit.
Moment. Es gibt ja vom Bund Mittel über den Digitalpakt Schule. RUTHEMEYER Ja, aber das ist nur eine Anschubfinanzierung via Förderprogramm, die die Folgekosten nicht mit abdeckt. Die Haltbarkeit der Geräte beträgt schätzungsweise drei Jahre. Und dann? Wer beschafft die nächste Generation? Wer kümmert sich um Administration und Wartung der IT-Infrastruktur, die wir mit großem Aufwand aufgebaut haben? All das muss betreut werden. Dafür benötigen wir Personal. Der Qualitätssprung muss bezahlt werden. Es fehlt allerdings der Wille, das auch zu tun. Da werden wir deutlich hörbar an die Türen des Landtags klopfen.
Über welche Kosten reden wir hier jährlich?
RUTHEMEYER Allein für die Digitalisierung und die Folgen des Rechtsanspruchs auf Ganztag müssen wir uns auf jährliche Betriebskosten von zwei Milliarden
Euro einstellen. Der zusätzliche Aufwand für Schulbau, Inklusion, Schulsozialarbeit oder Integration
ist in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Land und Kommunen stößt bei derart gravierenden Veränderungen an ihre Grenzen. Ohnehin müssen Bund und Land ihre Förderpolitik grundsätzlich hinterfragen. Viele Förderprogramme binden bei uns personelle Ressourcen und verursachen einen enormen bürokratischen Aufwand. Das ist vor allem für die kleineren Städte eine riesige Herausforderung. Das Land sollte weniger auf Förderprogramme und mehr auf Mittelzuweisungen setzen. Das würde Kräfte freisetzen, so dass wir Probleme vor Ort direkt anpacken können.