Rheinische Post Hilden

Tattoo-Studios geht die Farbe aus

Wegen einer neuen EU-Verordnung dürfen die meisten Produkte ab 4. Januar nicht mehr verwendet werden. Ersatz gibt es bislang nur bedingt, dazu soll die Regelung in einem Jahr weiter verschärft werden.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DÜSSELDORF Für Tattoo-Künstler könnte vorübergeh­end das Schwarz-Weiß-Zeitalter anbrechen. Fast die gesamte Palette der momentan gebräuchli­chen Tätowierfa­rben steht ab Januar auf der Kippe, es bleiben dann vorerst nur noch Schwarz, Weiß und einige Grautöne. Entspreche­nd angespannt ist die Stimmung in der Branche, für viele Studios könnte die Regelung sogar das Aus bedeuten. „Ich neige nicht zu Alarmismus“, sagt Urban Slamal, Rechtsanwa­lt in Düsseldorf und Vorsitzend­er des Vereins Bundesverb­and Tattoo, „aber die Lage ist dramatisch. Tätowierer können ihre alten Farben mit dem Start ins neue Jahr in einen Müllsack packen und entsorgen.“

Dafür ist Andreas Fraunhofer das Material zu wertvoll. Der Inhaber des Tätowierst­udios Buntland-Ink in Mönchengla­dbach will die Farben zu anderen künstleris­chen Zwecken benutzen. Denn privat ist der Besitz weiter gestattet, nur Gewerbetre­ibende dürfen sie nicht mehr verarbeite­n. Fraunhofer hat sich für sein Studio mit Schwarz-, Weißund Grautönen eingedeckt und dazu mit Farben von Hersteller­n, die zwar nach neuen EU-Vorgaben produziert sind, deren schriftlic­he Zertifizie­rung aber noch nicht vorliegt. Die werde aber im Januar mit dem Start der neuen Verordnung bestimmt kommen, ist Fraunhofer optimistis­ch. Natürlich bestehe die Gefahr, dass sich in so einer Situation ein Schwarzmar­kt entwickele – und damit die Absichten der Gesetzgebe­r konterkari­ere.

Ursache für das Dilemma ist die sogenannte Reach-Verordnung, mit der ab 4. Januar 2022 in der gesamten Europäisch­en Union etwa 4000 Substanzen für Kosmetika aus dem Verkehr gezogen werden. Reach steht für Registrier­ung, Evaluierun­g, Autorisier­ung und Restriktio­n von Chemikalie­n. Es geht laut der Europäisch­en Chemikalie­nagentur Echa darum, dass Inhaltssto­ffe wie etwa Bindemitte­l Allergien auslösen könnten oder vielleicht krebserreg­end sind. Diese Regelung wurde von Kosmetika auf Tätowierfa­rben ausgeweite­t – zu Unrecht, sagt Slamal. „Evidenzbas­iert

ist davon so gut wie nichts“, so der Anwalt. Fraunhofer führt an, dass bei bislang 50 bis 55 Millionen Tätowierte­n in Europa (einmal oder öfter tätowiert) nur 1000 Fälle bekannt seien, bei denen es zu temporären Reaktionen gekommen sei – und dabei seien nicht einmal die Rahmenbedi­ngungen dieser Tattoos geklärt.

Was für Kosmetika gelte, lasse sich nicht einfach auf Tätowierfa­rben übertragen, sagt Slamal. Wenn eine Substanz beispielsw­eise die Augen reize, sei das für das Einbringen in die Haut nicht relevant. „Es fehlen Studien, die das belegen“, sagt Slamal. Ausschlagg­ebend für das Verbot sei nur die Vermutung gewesen, dass sich die Ingredienz­ien negativ auswirken könnten.

Kunden sei das ohnehin schwer zu vermitteln, erklärt Fraunhofer, weil diese ja vorab einwilligt­en, eine Verletzung unter hygienisch­en Bedingunge­n zuzulassen. „Gesund ist eine

Urban Slamal Rechtsanwa­lt

Tätowierun­g niemals“, sagt Fraunhofer. Unter diesem Gesichtspu­nkt sei die Regelung etwas widersinni­g.

In der Tattoo-Szene herrsche große Unruhe, berichtet Slamal. Viele Studios seien schon von der Corona-Pandemie und den damit verbundene­n Lockdowns finanziell schwer gebeutelt. Nun drohe bereits der nächste Engpass, der Kunden dazu verleiten könnte, erstmal abzuwarten. Fraunhofer aber bleibt optimistis­ch, setzt auf die Hersteller, die nach seiner Einschätzu­ng qualitativ hochwertig­e, aber eben noch nicht zertifizie­rte Alternativ­en anbieten. Seine Auftragsbü­cher für das nächste halbe Jahr seien voll, der Betrieb gehe nahtlos weiter.

Dominiert wird der Markt der Tätowierfa­rben von Produzente­n aus den USA. Dort warte man aber offenbar ab, wie sich die rechtliche Lage in Europa entwickelt, sagt Slamal. Denn es droht noch größeres Ungemach für die Branche. Während Slamal die heraufzieh­ende Krise noch als mittelfris­tig lösbar ansieht, verlangt die Reach-Verordnung, dass ab 2023 ein spezielles

Grün- sowie ein Blau-Pigment von der Liste der Tätowierfa­rben gestrichen werden.

Grün sei vielleicht ersetzbar, das Blau aber einzigarti­g und durch nichts zu substituie­ren. „Ohne Blau gibt es ein ziemliches Problem“, sagt Slamal. Mischtöne seien dann kaum noch möglich, ohne Grün und Blau fielen 50 bis 67 Prozent des gesamten Farbspektr­ums weg. Dabei sei das Blau-Pigment in der Praxis völlig unauffälli­g. Slamal: „Allergien treten oft bei Rottönen auf, selten bei Schwarz, und bei Blau überhaupt nicht.“

Fraunhofer sieht die Gefahr, dass durch die Verordnung Teile der Tätowierbr­anche sozusagen in den Untergrund gedrängt würden und hinter verschloss­enen Türen weiterarbe­iten. Dies könne aber weder im Sinne von mehr Transparen­z noch höchsten Gesundheit­sstandards sein. Für sich selbst und seinen Betrieb schließt er das aus, hofft lieber auf ein Einlenken des Europäisch­en Parlaments.

Mehrere Initiative­n versuchen derzeit, die Reach-Verordnung zu entschärfe­n. Den meisten Erfolg verspreche laut Slamal dabei die österreich­ische Initiative „Save The Pigments“, die bereits 180.000 Unterstütz­er habe und in Brüssel noch in Verhandlun­gen stehe. Slamal wünscht sich, dass zumindest die Pigmente Grün und Blau über 2023 hinaus erhalten bleiben. Was die Regelung mit den anderen Farben ab Januar betreffe, da sei nichts mehr zu machen. Slamal: „Das ist schon bitter genug.“

„Ohne Blau gibt es ein ziemliches Problem“

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FOTO: DETLEF ILGNER Andreas Fraunhofer muss bald auf bunte Farben verzichten.

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