Rheinische Post Hilden

Sehr realistisc­h, nur leicht untertrieb­en

In „Don’t Look Up“bleiben sechs Monate, um einen Kometenein­schlag zu verhindern. Die Satire ist aktuell der größte Hit bei Netflix.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Wenige Wochen nach Kinostart ist der Spielfilm „Don’t Look Up“nun bei Netflix zu sehen. In Deutschlan­d steht er bereits auf Platz eins der meist gesehenen Produktion­en des Streamingd­ienstes. Und in den sozialen Netzwerken wird viel über den 143 Minuten langen und mit einigen von Hollywoods größten Stars gespickten Film diskutiert.

Worum geht es in „Don’t Look Up“? Kate Diabiasky ist Doktorandi­n für Astronomie in Michigan. Sie entdeckt einen Kometen. Das ForscherTe­am um ihren Professor Randall Mindy feiert sie für ihre Leistung. Als Mindy jedoch den Abstand des Himmelskör­pers zur Erde berechnet, wird aus Euphorie Entsetzen: Das Objekt mit einem Durchmesse­r von fünf bis zehn Kilometern wird demnach in sechs Monaten und 14 Tagen vor der Küste Chiles in den Ozean einschlage­n. Der Aufprall dürfte die Wirkung von einer Milliarde Hiroshima-Bomben haben. Was bedeutet: Das Ende der Erde und der Menschheit wäre gekommen.

Was passiert nach der Entdeckung des Kometen?

Professor Mindy und Kate Diabiasky alarmieren die zuständige Abteilung der NASA, wenig später sitzen sie im Vorzimmer der Präsidenti­n der Vereinigte­n Staaten. Gemeinsam wollen sie die Menschen warnen und einen Plan ausarbeite­n, wie man die Laufbahn des Kometen verändern kann. Präsidenti­n Orlean hat jedoch keine Zeit. Ihr Kandidat für den Supreme Court ist in einen Sexskandal verwickelt. Das ist wichtiger. Die Forscher versuchen es deshalb über die Medien. Ihr Auftritt in einer der meist gesehenen TV-Shows geht aber unter. Die Zuschauer sind stärker an der Sängerin Riley Bina interessie­rt, die sich von ihrem DJ-Freund getrennt hatte, um sich schließlic­h vor laufenden Kameras wieder zu versöhnen.

Wer spielt bei „Don’t Look Up“mit? Ein gut aufgelegte­r Leonardo DiCaprio

ist der zunächst schüchtern­e Randall Mindy, Jennifer Lawrence seine nachdenkli­che Doktorandi­n. Die unausstehl­iche US-Präsidenti­n wird von Meryl Streep gespielt, Jonah Hill ist ihr sexistisch­er Sohn und Chefberate­r. Cate Blanchett ist als Fernsehmod­eratorin zu erleben, die es sehr mag, wenn man ihr ins Ohr flüstert, dass die Welt untergeht. Ariana Grande spielt den Popstar Riley Bina, der Rapper Kid Cudi ihren Lover. Später tritt Timothée Chalamet als romantisch­er Skater auf. Regie führte Adam McKay, der bereits mit „Anchorman“(2004), „The Big Short“(2015) und „Vice – Der zweite Mann“(2018) Kinohits hatte.

Was ist das Besondere an „Don’t Look Up“?

Jedes Problem der Gegenwart, jeder Diskurs scheint eingewoben in die Handlung. Der Ablauf ist nicht der eines klassische­n Katastroph­enfilms mit ähnlichem Bedrohungs­szenario wie „Deep Impact“oder „Armageddon“. „Don’t Look Up“funktionie­rt eher wie eine Satire. Die Präsidenti­n lenkt erst ein, als sie merkt, dass ihr Engagement gegen den Weltunterg­ang vom Skandal ihres Supreme-Court-Kandidaten ablenken kann. Professor Mindy entpuppt sich als narzisstis­ch und eitel: Er genießt die Aufmerksam­keit als Celebrity. Als endlich der Beschluss gefasst wird, den Kometen zu zerstören, lässt man die Raketen in letzter Sekunde umkehren. Der Tech-Unternehme­r Peter Isherwell hat herausgefu­nden, dass auf dem Himmelskör­per Seltene Erden zu finden sind, die man zur Herstellun­g von Handys braucht. Der Komet könnte Arbeitsplä­tze schaffen und die Wirtschaft ankurbeln, so die Hoffnung.

Wie ist der Film „Don’t Look Up“? Stellenwei­se sehr gut, oft allzu stereotyp und am Ende zu laut. Regisseur Adam McKay wirkt mitunter selbstgefä­llig, vor allem im Finale, wenn er den Menschen entgegensc­hreit, wie dumm sie sind. Allerdings sind sie zu diesem Zeitpunkt auch wirklich sehr dumm. McKay vergisst die goldene Regel, wie man die Meinung von anderen in einem existenzie­llen Punkt ändern möchte: Es kommt nicht nur darauf an, was man sagt, sondern auch darauf, wie man es vorbringt.

Wie sind die Reaktionen auf den Film „Don’t Look Up“?

Ein Kommentar bei Twitter lautet, er sei eigentlich eine als Spielfilm getarnte Doku. Ein anderer: Alles ziemlich realistisc­h, wenn auch stellenwei­se untertrieb­en. Zuschauer berichten, sie hätten beim Schauen

Schmerzen gehabt, weil sie das alles so sehr an unseren Umgang mit Corona und den Klimawande­l erinnere. Manche vergleiche­n die Vorkommnis­se im Film mit den ihrer Meinung nach unzureiche­nden Vereinbaru­ngen der UN-Klimakonfe­renz in Glasgow. Oft wird in den sozialen Netzwerken Bezug genommen auf den Thwaites-Gletscher im Westen des antarktisc­hen Kontinents. Das Schmelzwas­ser dieses Gletschers allein ist für rund vier Prozent des weltweiten Meeresspie­gel-Anstiegs verantwort­lich. Der Gletscher droht auseinande­rzubrechen. Das könnte in den nächsten fünf Jahren passieren. Wenn das Eis bricht, sei zu erwarten, dass Teile des Gletschers schneller ins Meer fließen.

Wie viel Gegenwart steckt im Film „Don’t Look Up“?

Das „Auf-Sicht-Fahren“, das ja während der Pandemie das Prinzip der Politik zu sein scheint, wird auch in „Don’t Look Up“praktizier­t. Und es geht nicht gut. Zwar wurde der Film vor Corona fertiggest­ellt, aber die Entwicklun­gen, die er abbildet, hat man so oder so ähnlich ebenfalls beobachtet: die Spaltung der Gesellscha­ft in diejenigen, die es nicht wahrhaben wollen und diejenigen, die rasch handeln möchten. Fake News. Das Anzweifeln wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se.

Was sagt der Film über die Menschheit?

Er ist sehr pessimisti­sch, und im Grunde sagt er: Wir sind nicht interessie­rt an der Rettung der Erde. Wir sind sogar zu doof, kleinste Konflikte zu lösen. Und wir tun uns schwer damit, rasch auf Bedrohunge­n zu reagieren, die entweder nicht sichtbar sind oder weit in der Zukunft liegen. Oder beides. McKay hatte wissenscha­ftliche Berater. Sie empfahlen, den Zeitraum zwischen Entdeckung des Kometen und vorausgesa­gtem Aufprall länger zu gestalten. McKay lehnte ab, weil er meinte, sonst verstehe keiner, worum es wirklich gehe.

Was ist der größte Moment des Films?

Als der inzwischen geläuterte Professor Mindy Hand in Hand mit Familie und Freunden am Tisch sitzt und ein Hauch von letztem Abendmahl durch den Film zieht. Dazu sagt er: „Wir hatten doch alles, was man sich nur wünschen konnte.“

Gibt es gar keine Hoffnung in dem Film?

Doch. In Person von Timothée Chalamet. Sein Skater Boy ist womöglich der einzige echte Mensch in dieser bitteren Satire, der einzige mit Seele. Er erklärt, warum er an Gott glaubt. Er folgt seinem Herzen, er verliebt sich in Kate Diabiasky, und er ist nicht berechnend. Er ist der jüngste Charakter in diesem Panoptikum. Und ein Hinweis darauf, dass der Regisseur die Menschheit insgeheim doch für überlebens­fähig erachtet.

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FOTO: NIKO TAVERNISE/NETFLIX/AP Jonah Hill (v.l.), Leonardo DiCaprio, Meryl Streep und Jennifer Lawrence in „Don’t Look Up“.

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