Der Spätherbst der Liebe
Der Klassiker des Regisseurs Ingmar Bergman „Szenen einer Ehe“wurde für die Gegenwart adaptiert.
Warum sollte man Ingmar Bergmans Klassiker „Szenen einer Ehe“neu verfilmen? Seine Vorlage von 1973 ist so zeitlos und allgemeingültig, wie es nur geht, und von Liv Ullman und Erland Josephson zudem glänzend gespielt. Als Sechsteiler ist die Fassung des schwedischen Regiemeisters zurzeit in der Arte-Mediathek zu sehen.
Gleichzeitig bietet Sky nun eine neue, fünfteilige HBO-Version der Mini-Serie. Jessica Chastain und Oscar Isaac verkörpern darin das Paar, das sich trennt, sich liebt, dann wieder hasst und nicht voneinander lassen kann, absolut bravourös. Beide sind verdient für einen Golden
Globe nominiert. Gerade die Unterschiede zwischen den Versionen sagen viel über unsere heutige Zeit aus und über die Unsicherheit, komplexer werdender Rollenerwartungen als Ehefrau/Ehemann, Mutter und Vater entsprechen zu können.
Regisseur Hagai Levi ist als Spezialist für komplexe Beziehungsstrukturen mit der Serie „The Affair“(Idee, Drehbuch) bekannt geworden. Der Israeli nutzt nun Bergmans pointiert geschriebene Dialoge, verändert aber die Handlung an entscheidenden Stellen. Wie in der Originalfassung sieht man zwei Menschen dabei zu, wie sie ihre Erwartungen, Bedürfnisse und Ängste verhandeln. Sie lieben und sie streiten sich, versöhnen sich, nur um sich im nächsten Moment wieder weh zu tun. Vergangenheit und Zukunft, Nähe und Distanz und die Möglichkeiten von Intimität im Alltag loten sie immer wieder neu aus.
Während Bergmans Kammerspiel für heutige Sehgewohnheiten etwas steif und theaterhaft wirkt, zieht Levi den Zuschauer mit der Kamera, die ganz nah bei den Figuren ist, und mit seiner atmosphärischen Inszenierung tief hinein in diesen emotionalen Strudel. Das Hin und Her aus Anziehung und Abstoßen mitanzusehen ist spannend wie ein Krimi, besonders weil einem die Figuren unglaublich nah kommen, man beide verstehen kann.
Wie bei Bergman beginnen die Szenen mit einem Interview der
Eheleute, die Auskunft geben über ihre Beziehung. Während Jonathan (Isaac) ganz bei sich wirkt, merkt man Mira (Chastain) bereits eine Unsicherheit an. Hinter der Fassade des Ikea-Musterhäuschens scheint etwas im Argen zu liegen. Die klassischen Rollen sind hier vertauscht: Die Ehefrau ernährt mit ihrem Manager-Job die Familie, er arbeitet dagegen als Philosophiedozent zu Hause und kümmert sich um die gemeinsame Tochter.
Während bei Bergman der Ehemann schon bald eine Affäre mit einer Studentin gesteht, dreht Levi in seiner Fassung die Umstände herum: Mira liebt einen anderen und verlässt Jonathan knallhart von einen Tag auf den anderen. Jonathan hilft ihr sogar noch beim Kofferpacken, wie in Bergmans Fassung die Ehefrau, eine kaum auszuhaltende Geste. Die Rollen sind zwar vertauscht, die Muster aber bleiben dieselben – oder eben nicht.
Angenehm, wie der Regisseur hier alles im Fluss hält und dem Zuschauer überraschende Wendungen auf der emotionalen Achterbahnfahrt bietet. Die bleibt packend bis zum Schluss – trotz fast schon Brecht‘scher Desillusionierung zu Beginn jeder Episode: Dann folgt man einem der beiden Darsteller ans Set, wo ein Team mit Corona-Masken bereits wartet. Dass man danach trotzdem so hineingezogen wird, mit den Figuren weint und lacht, ist die große Kraft dieser herausragenden Serie. Sie ist über Sky Atlantic vollständig abrufbar.