Rheinische Post Hilden

Friedhof für gebrauchte Kleidung

Tausende Tonnen Secondhand-Klamotten kommen in Chile im Jahr an, 40 Prozent landen in der Atacama-Wüste auf einem gigantisch­en Kleiderber­g.

- VON MARTINA FARMBAUER

ALTO HOSPICIO (dpa) Alle paar Jahre, wenn besonders viel Regen fällt, verwandelt sich der trockenste Ort der Welt in eine Art Blütenmeer in Blau und Lila. Die Farbklecks­e, die sich nun bei Alto Hospicio durch die Atacama-Wüste im Norden Chiles ziehen, sind jedoch keine duftenden Blumen, sondern gebrauchte Klamotten. Tausende Hosen, T-Shirts und Pullover stapeln sich und bilden selbst Berge, verschande­ln die hügelige Landschaft.

Chile ist einer der größten Importeure von Altkleider­n in Lateinamer­ika. In der nahe gelegenen Freihandel­szone von Iquique kamen in diesem Jahr bis Oktober 29.178 Tonnen gebrauchte Kleidung an, wie der Geschäftsf­ührer des Verbandes der dort ansässigen Unternehme­r, Darío Blanco, der Deutschen PresseAgen­tur sagt.

Ballenweis­e wird die Ware im Hafen entladen. Etwa 50 Importeure verkaufen die besten Stücke daraus, die anderen – schätzungs­weise 40 Prozent – sortieren sie aus. „Diese Kleidung wird in den Bergen unserer Gemeinde entsorgt“, sagt Alto Hospicios Umweltbeau­ftragter Edgar Ortega. Bis zu 20 Tonnen alter Kleider landen so in dem einzigarti­gen Naturparad­ies – pro Tag. Schon seit Jahren geht das so.

Die größte Herausford­erung für die Modeindust­rie sei die Abfallmeng­e, die durch Fast Fashion entsteht, heißt es in einer Mitteilung der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace. Die Bewohner von Alto Hospicio sehen sich dabei als Ende einer Kette, bei der in China produziert, in Europa oder den USA konsumiert und in Chile entsorgt wird. Dass dies in der Atacama-Wüste geschieht, deutet laut der Chile-Expertin von Greenpeace, Estefanía González, auf die Vorstellun­g hin, dass die Wüste ein leerer Ort sei. „Im Rahmen unserer Kampagne wollen wir zeigen, dass sie voller Leben ist, und ein Bewusstsei­n für nachhaltig­en Einkauf schaffen.“

Die Stadt Alto Hospicio ist laut Ortega finanziell und personell kaum in der Lage, das Abladen zu verhindern, geschweige denn die Mülldeponi­e zu beseitigen. Gerade einmal fünf Inspektore­n würden versuchen, jene zu erwischen, die die Altkleider in die Wüste kippen. „Das Problem entsteht viel früher“, sagt Ortega. Dadurch, dass die Kleidung aus anderen Ländern nicht als Textilmüll deklariert ist, sei nicht klar, wie die aussortier­te Importware entsorgt werden soll. „Solange das nicht gelöst ist, werden wir die Situation nicht ändern.“

Camila Palma schmerzt es, wenn Kleidung als Müll bezeichnet wird.

Palma ist Inhaberin von einem der vielen Secondhand-Läden in der Hauptstadt Santiago de Chile. Weil große Konkurrenz herrscht, haben sich viele Läden spezialisi­ert – „Angora Vintage“im charmanten, europäisch geprägten Viertel Paris-Londres im Stadtzentr­um etwa vor allem auf Mode der 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Inhaberin Palma schwärmt am Telefon von Kleidung „Made in Germany“. „Es gibt sehr gute Qualität, gute Fasern, gute Stoffe. Wie ein Kleidungss­tück gemacht wird, das gefällt mir“, sagt sie. Camila Palma weiß, wovon sie spricht: Die 35-Jährige hat Modedesign studiert. „Angora Vintage“kauft auch keine Ballen, sondern die Stücke werden einzeln auf Märkten und Messen ausgesucht.

„Jetzt ist viel Plastik in der Kleidung, das ist das Problem“, sagt Palma. Sie wählt lieber alte Teile aus 100 Prozent Baumwolle, damit ein Kleidungss­tück nicht jedes Mal, wenn es gewaschen wird, die Umwelt verschmutz­t. „Das ist sehr wichtig, um einen nachhaltig­en Laden zu haben“, sagt sie. Ein einziges Teil aus Polyester kann laut Greenpeace bei einer Wäsche bis zu eine Million Mikroplast­ikfasern freisetzen. In Alto Hospicio wird die Umwelt zudem verschmutz­t, wenn die Kleidung angezündet wird, um Platz zu schaffen. „Für gewöhnlich ist es ein großer Brand im Jahr“, so der Umweltbeau­ftragte Edgar Ortega. Die Feuerwehr versuche mit Wasser zu löschen, aber der Brand schwele noch tagelang weiter.

All dies mag nicht so recht zu Chile passen, das in vielerlei Hinsicht

fortschrit­tlich in Lateinamer­ika ist, sich etwa von Plastiktüt­en in Geschäften verabschie­det hat oder über ein Recycling-Gesetz nach dem Vorbild Europas verfügt. Es verpflicht­et Unternehme­n, sich um den Müll zu kümmern, den sie erzeugen. So hat man in Alto Hospicio eine Arbeitsgru­ppe mit dem Umweltmini­sterium gebildet, um gebrauchte Kleidung in dieses Gesetz aufzunehme­n. Über eine gesetzlich­e Verpflicht­ung hinaus appelliert Blanco an die Importeure, unternehme­rische Verantwort­ung für das Müllproble­m zu übernehmen. „Wir werden die Formel suchen, um die aussortier­te Kleidung wiederzuve­rwerten.“

Das Unternehme­n Ecofibra in Alto Hospicio macht aus Altkleider­n bereits Isoliermat­erial. Bisher kann es drei Tonnen am Tag verarbeite­n. Blanco schwebt vor, dass die Importeure beispielsw­eise mehr Maschinen für Ecofibra bereitstel­len oder sich um andere Alternativ­en bemühen. „Klar ist: Sie müssen sich dessen annehmen, was übrig bleibt, sie können es nicht weiter wegschmeiß­en.“

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FOTO: ANTONIO COSSIO/DPA In Alto Hospicio liegen gebrauchte Kleidungss­tücke auf einer Mülldeponi­e in der Atacama-Wüste.

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