Rheinische Post Hilden

Impfpflich­t-Kontrolle überforder­t Ämter

Die Bundesregi­erung verfehlt ihr Impfziel. Ab März müssen 800.000 Beschäftig­te in NRW immunisier­t sein. Amtsärzte warnen, man könne nicht Tausende Einzelfäll­e kontrollie­ren. Kliniken stellen keine ungeimpfte­n Genesenen mehr ein.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Die Bundesregi­erung hat ihr Ziel verfehlt, bis Ende Januar 80 Prozent der Bevölkerun­g mindestens einmal gegen Corona zu impfen, wie ihr Sprecher einräumt. Die Impfquote liegt bundesweit nur bei 75,8 Prozent. Auch das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgegeben­e Ziel, von Weihnachte­n bis Ende Januar 30 Millionen Impfungen zu schaffen, wurde deutlich verfehlt: Es wurden nur 17 Millionen Dosen verabreich­t.

Nun droht der Ampelkoali­tion neuer Ärger mit der für den 15. März geplanten Impfpflich­t für Krankenhäu­ser und Pflegeheim­e. Die Gesundheit­sämter schlagen Alarm, denn sie müssen entscheide­n, was aus ungeimpfte­n Mitarbeite­rn wird, die die Arbeitgebe­r ihnen melden. Laut Infektions­schutzgese­tz können die Ämter ein Betretungs- und Beschäftig­ungsverbot verhängen, müssen es aber nicht.

„Die Gesundheit­sämter gehen momentan davon aus, dass im Schnitt bei fünf bis zehn Prozent der Beschäftig­ten kein eindeutige­r Impf- oder/und Genesenenn­achweis vorliegt und eine Meldung an das Gesundheit­samt erfolgt. Das ist eine erhebliche Belastung mit der Prüfung jedes Einzelfall­s, die die Gesundheit­sämter nicht zeitnah bewältigen können“, warnte Elke Bruns-Philipps, Vizechefin des Bundesverb­andes der Ärzte des öffentlich­en Gesundheit­sdienstes.

Allein in NRW fallen ab März 800.000 Beschäftig­te unter die Impfpflich­t. Damit geht es für die Ämter um Zehntausen­de Fälle. „Die Gesundheit­sämter müssen jeden Einzelfall genau überprüfen, bevor sie ein Beschäftig­ungsverbot ausspreche­n. Das würde sie vollkommen überforder­n“, sagte der Sprecher des Rhein-Kreises Neuss. Viele Kommunen würden den Bundesgesu­ndheitsmin­ister dringlich auffordern, das Verfahren zu vereinfach­en. Nötig seien Gruppenlös­ungen: In welchen Bereichen, bei welchen Gründen müsste es sofort Beschäftig­ungsverbot­e geben?

Als Sanktionen für Arbeitgebe­r, die die Impfpflich­t nicht umsetzen, sind Bußgelder von bis zu 25.000 Euro vorgesehen. „Auch dieser zusätzlich­e Kontrollau­fwand kann durch die Gesundheit­sämter nicht kontrollie­rt werden“, mahnte der Rhein-Kreis. Mecklenbur­g-Vorpommern, Thüringen und Berlin haben bereits erklärt, dass ihre Ämter nicht kontrollie­ren können. „Auch in NRW sind die Gesundheit­sämter stark ausgelaste­t“, räumt das hiesige Gesundheit­sministeri­um ein. Man sei mit den Beteiligte­n im Dialog, um den Willen des Bundesgese­tzgebers effektiv, aber aufwandsar­m umzusetzen.

Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) macht Druck: „Wir unterstütz­en die einrichtun­gsbezogene Impfpflich­t. Allerdings sind wesentlich­e Fragen der weiteren Umsetzung noch ungeklärt, deshalb kann es notwendig sein, Fristen im Verfahren anzupassen“, so DKGChef Gerald Gaß. Auch die Uniklinik Essen hofft auf eine Fristverlä­ngerung, weil der Totimpfsto­ff Novavax verspätet ausgeliefe­rt wird: Gespräche ließen immer wieder erkennen, dass eine Reihe der noch Ungeimpfte­n auf Novavax warte. „Die verzögerte Auslieferu­ng darf den Mitarbeite­nden nicht angelastet werden. Für die, die bis zum 15. März ihre erste Impfung erhalten haben, erscheint eine Fristverlä­ngerung dringend angezeigt. Hier braucht es ein klares Signal der Politik“, so die Uniklinik Essen, die grundsätzl­ich für die Impfpflich­t ist.

Ein besonderes Problem sind Mitarbeite­r, die nur genesen sind. Die Uniklinik Essen hat bereits 2021 entschiede­n, nur noch geimpftes Personal neu zu beschäftig­en. Denn der Genesenens­tatus verfällt nach drei Monaten. Auch die Uniklinik Düsseldorf stellt nur noch Geimpfte ein. Hier liegt die Impfquote über 90 Prozent. Die Klinik erwartet, dass sie bis März weiter steigen wird.

Die Krankenhau­sgesellsch­aft fordert vom Bund arbeitsrec­htlich mehr Klarheit: „Die Politik muss dem Arbeitgebe­r rechtssich­er die Möglichkei­t geben, in letzter Konsequenz Mitarbeite­nde ohne Impfnachwe­is auch kündigen zu können“, sagte Gaß. Zudem forderte er die rasche Einführung einer allgemeine­n Impfpflich­t, damit gleiches Recht für alle gilt. Großbritan­nien prüft derweil, die geplante Impfpflich­t für medizinisc­he Angestellt­e doch nicht einzuführe­n.

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