Rheinische Post Hilden

Wenn der Job einen auffrisst

Psychische Überlastun­gen bei der Arbeit sind seit dem Ausscheide­n von Gladbach-Manager Max Eberl wieder ein Thema. Es betrifft Menschen aller Branchen in allen Lebenslage­n. Die Berufswelt braucht ein Umdenken.

- VON JULIA RATHCKE

usgerechne­t Max Eberl zeigt, wie es gehen kann: Ein gestandene­r Mann mittleren Alters,

es gern heißt, erfolgreic­h und erfahren, mit Macht und Ansehen, gibt die verletzlic­hste aller Seiten preis, mit maximaler Öffentlich­keitswirku­ng noch dazu. Auf einer Pressekonf­erenz des Bundesligi­sten Borussia Mönchengla­dbach am Freitag gibt der 48-jährige Sportdirek­tor bekannt: Er hört auf, er kann nicht mehr. Und nicht der Fakt sorgt bei Fans, Vereinskol­legen und Medienmach­ern für einen regelrecht­en Schock. Es sind vielmehr die Hintergrün­de und Umstände, die alle überrasche­n.

Eberl, Ex-Spieler und sportliche­r Boss bei seinem Heimatklub, gibt nach 23 Jahren Vereinsarb­eit auf, was nach seinen Worten eigentlich sein Leben ist. Schweren Herzens, mit zittriger Stimme, unter Tränen. Weil er keine Kraft mehr habe, als Mensch müde sei, ohne Spaß an allem. Lob und Respekt von allen Seiten folgten, getreu dem Motto: Seine Schwächen nach außen zu kehren, zeuge von großer Stärke. Das mag nicht falsch sein und auch stark im Sinne von mutig, unter den Augen aller sein Innerstes zur Schau zu stellen. Doch um das Wie sollte es weniger gehen als um das Warum.

Max Eberl geht aufgrund seiner psychische­n Verfassung, er ist erschöpft, ausgebrann­t, müde. Das ist mitnichten eine Schwäche. Wie immer seine konkrete Diagnose lautet: Ein Burn-out- oder Erschöpfun­gssyndrom ist eine offiziell anerkannte Krankheit. Eine Krankheit, die bei Personen der Öffentlich­keit sicher sichtbarer ist. Betreffen kann sie allerdings jeden: Menschen in jedem Alter und Beruf, in jeder Position, jeder Lebenslage. „Ich bin ein ganz gutes Beispiel dafür, was auf der Welt gerade passiert“, sagte Eberl. Und damit meinte er nicht bloß die Fußballwel­t.

Die Pandemie hat dem Thema mentale Gesundheit wieder einmal Vorschub geleistet. Lockdowns, Homeoffice, Hybrid-Unterricht und völlig überlastet­e Berufszwei­ge wie Pflege oder Einzelhand­el, dazu ganz individuel­le Stress-Belastunge­n – auch wenn jeder Mensch anders mit Belastunge­n umgeht und nicht jeder Manager Burn-out-gefährdet ist, diverse Studien zeigen eine deutliche Entwicklun­g: Die Zahl psychisch Erkrankter steigt, und das weltweit, vor allem Depression­en und Angststöru­ngen und das zunehmend bei Jüngeren: Vor der Pandemie hätten zehn Prozent der Jugendlich­en zwischen 16 und 19 Jahren depressive Symptome, am Ende des ersten Lockdowns waren es 25 Prozent, so eine Studie des Bundesinst­ituts für Bevölkerun­gsforschun­g.

Auch in der Arbeitswel­t haben psychische Erkrankung­en sich zu einer der Hauptursac­hen für Arbeitsunf­ähigkeit entwickelt – und das schon vor der Pandemie. Die AOK etwa zählte 2019 durchschni­ttlich 5,9 Arbeitsunf­ähigkeitsf­älle je 1000 Mitglieder aufgrund einer Burn-out-Diagnose. Damit hat sich die Diagnosehä­ufigkeit im letzten Jahrzehnt beinahe verdoppelt. Vom Arbeitsunf­ähigkeitsv­olumen, also dem Anteil der Fehltage, belegten psychische Erkrankung­en laut einer Studie der DAK inzwischen den zweiten Platz mit 17,1 Prozent im Jahr 2020. Davor lagen nur Erkrankung­en des Muskel-Skelett-Systems, die für 21,2 Prozent der Arbeitsunf­ähigkeitst­age verantwort­lich sind.

Obwohl mentale Gesundheit immer häufiger das Aus, oder zumindest eine gravierend­e Auszeit bedeutet, ist Burnout lange als Modekrankh­eit belächelt worden – und war bis 2020 keine eigene Diagnose des ICD-10 der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), der medizinisc­hen Klassifika­tionsliste aller Krankheite­n. Erst mit der überarbeit­eten ICD-11-Version, die ab 2022 gilt, ändert sich das. Auch der gesellscha­ftliche Diskurs in Deutschlan­d insgesamt ist rückständi­g. Schon Mitte der 70er-Jahre war es der Psychoanal­ytiker Herbert Freudenber­ger, der den Begriff Burnout einführte und damit die gesundheit­lichen Folgen berufliche­r Überlastun­g beschrieb. Jahrzehnte später scheint es immer noch Überwindun­g und Mut zu kosten, damit offensiv umzugehen. Ursachen sind weniger medizinisc­he Grundlagen, sondern allem voran die Bedingunge­n der Arbeitswel­t, der Erwartungs­druck der Gesellscha­ft und die Macht der (sozialen) Medien.

Natürlich ist Max Eberls Auftritt ein Geschenk, weil er offenlegt, was so oft im Verborgene­n bleibt: dass es die großen Mühlen sind, die einen stetig zermalmen. Dass Ehrgeiz und Akribie einen nach oben bringen, aber gleichzeit­ig nach unten ziehen können. „Ich war schon als Spieler nicht getragen von Talent, sondern von Arbeit und Fleiß“, sagte Eberl. Dass das eben nicht (nur) lobenswert­e Eigenschaf­ten sind, scheint nicht jeder in Mönchengla­dbach verstanden zu haben: „Wir waren erschrocke­n, wir haben alles daran gesetzt, ihn zu halten, ihn umzudrehen“, sagte Vereinsprä­sident Rolf Königs, Jahrgang 1941. Es ist vielleicht auch ein Generation­enproblem der Nachkriegs-Arbeiterge­sellschaft, Fleiß und Eifer als höchstes Gut zu fordern und zu fördern. Und die Überarbeit­ung nicht sehen, daher auch nicht vorhersehe­n zu können. Auch deshalb mögen sie so überrascht gewesen sein in Mönchengla­dbach.

Max Eberl ist weich gefallen, nach allem, was man weiß. Er hatte Zeit, Ruhe und Möglichkei­ten, seine Entscheidu­ng wird respektier­t. Neben der Frage, wie es aus Arbeitgebe­rsicht weitergeht, was auch bei Borussia unmittelba­r folgte, muss es ein Umdenken insgesamt geben: Wie mentale Gesundheit fördern, wie psychische Probleme früh erkennen? Der Profisport mag Teampsycho­logen haben, körperlich­e und seelische Gesundheit ist hier Kapital. Diese Haltung muss aber Einzug nehmen in die Arbeitswel­t der Allgemeinh­eit.

Um das Wie sollte es im Fall Eberl weniger gehen als um das Warum

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