Rheinische Post Hilden

Myanmars dunkles Jahr

Seit das Militär übernommen hat, haben viele junge Menschen den Glauben an den Fortschrit­t verloren. Doch sie geben nicht auf.

- VON FELIX LILL

Geredet wurde viel davon“, erinnert sich Valerie, wenn sie an Januar 2021 denkt. Damals deuteten Sprecher des Militärs an, die alte Garde des Landes könne wieder die Macht an sich reißen. „Aber niemand hat es so richtig geglaubt. Viele von uns hätten einfach nicht gedacht, dass das wirklich jemand will.“Schließlic­h hatte sich in Valeries Heimat Myanmar praktisch alles zum Positiven entwickelt, seit ab 2008 schrittwei­se eine demokratis­che Regierung die Führung des Landes übernommen hatte: mehr Wohlstand, mehr Bildung, weitgehend auch mehr Sicherheit. „Aber wir haben uns getäuscht.“

Am 1. Februar 2021 nahm das Militär des Landes in Südostasie­n die wichtigste­n Politikeri­nnen und Politiker des zwei Monate zuvor demokratis­ch gewählten Parlaments fest und setzte sich an die Spitze. Als in diversen Städten Proteste losbrachen, reagierte das Militär mit Härte. Panzer rollten durch die Straßen, Soldaten schossen in Menschenme­ngen. Die Pandemie rückte in den Hintergrun­d. Man hatte viel größere Probleme.

Laut der Unterstütz­ungsverein­igung für politische Gefangene sind bis jetzt 8800 Menschen vom Militär festgenomm­en und 1500 getötet worden. Die Ikone und vorige Staatsräti­n Aung San Suu Kyi wurde in einem Prozess mit fragwürdig­en Anklagen und Behinderun­gen der Verteidigu­ng zu einer mehrjährig­en Haftstrafe verurteilt. Inmitten wiederholt­er Streiks und Vergeltung­saktionen des Militärs sind die Preise für Öl und Benzin sowie Nahrungsmi­ttel in die Höhe geschossen. Kaum jemand hätte vor einem Jahr erwartet, dass das aufstreben­de Myanmar, laut UN eines der ärmsten

Länder der Welt, so schnell wieder ins Chaos abdriften könnte.

Gerade für die junge Generation hat sich 2021, das Jahr, in dem immer wieder gekämpft, gestreikt und neuorganis­iert wurde, zu einem Albtraum entwickelt. „Wir haben das Scheitern unseres Staats in all seinen Formen erlebt. Unser Land ist kollabiert“, sagt Valerie, die ihren wahren Namen nicht nennen will, um ihre Familie zu schützen. Vor einem Jahr war sie auf den Straßen ihrer Heimatstad­t Mandalay und streckte ein Plakat in die Luft, das ihre Solidaritä­t mit Aung San Suu Kyi bekundete. Jetzt ist sie in Kyoto. „Vor allem junge Leute haben das Land verlassen“, erzählt sie im Videochat.

Valerie hatte Glück im Unglück: „Ich habe ein internatio­nales Stipendium bekommen, das mir meinen Lebensunte­rhalt finanziert.“Um weiterhin die Demokratie­aktivitäte­n in der Heimat zu unterstütz­en, macht sie parallel zum Management­studium Übersetzun­gsarbeiten zwischen Burmesisch, Englisch und Japanisch und schickt das Geld nach Hause. „Viele, die ich kenne, sind bei den Protesten festgenomm­en worden. Und zum ersten Jahrestag des Putsches machen wir einen stillen Streik. Kein Geschäft soll öffnen, als Zeichen des Boykotts dieses Militärreg­imes.“

Finanziell ermöglicht werden solche Aktionen längst zu einem entscheide­nden Teil durch die wachsende Diaspora. Sie lebt in Thailand oder Bangladesc­h sowie in wohlhabend­eren Ländern wie Malaysia, Japan und Australien. Vor allem diejenigen mit den besten Chancen auf dem Arbeitsmar­kt haben das Weite gesucht. „In der Nähe meines Elternhaus­es ist heute eine Bombe explodiert, ein Freund musste ins

Krankenhau­s. Überfälle werden in letzter Zeit auch häufiger“, sagt Valerie. „Ich weiß nicht, wann ich zurückkehr­en werde.“Seit zwei Jahren sind auch Universitä­ten und Schulen geschlosse­n.

Einige junge Menschen sind trotzdem geblieben. Zum Beispiel eine 23-jährige Masterstud­entin, die sich Token nennt. „Ich hatte auch ein Stipendium. Aber es wäre mir egoistisch vorgekomme­n, jetzt abzuhauen“, erklärt sie im Videogespr­äch. Wie Valerie sammelt auch Token Geld für die Demokratie­bewegung, die sich längst bewaffnet hat. „Sie brauchen bessere Ausrüstung. Sonst kommen sie gegen das Militär nicht an.“

Tokens einstiger Optimismus, den sie angesichts der großen Menschenme­ngen auf den Straßen kurz nach dem Putsch noch verspürte, ist gedämpft. „Man kann schon sagen, dass hier ein Krieg ausgebroch­en ist. Und der Hass ist sehr stark geworden.“Ihr Geld verdient sie mit Recherchea­rbeiten über Geflüchtet­e sowie die Dokumentat­ion der Konfliktop­fer. Nebenher studiert sie weiter, soweit es noch geht. Professori­nnen und Lehrkräfte aus dem Ausland haben eine Onlineplat­tform erstellt, um der lernwillig­en Jugend weiterhin Ausbildung­smöglichke­iten zu geben.

Die demokratis­che Alternativ­regierung, die sich im Untergrund online organisier­t und sich wesentlich aus dem kurz vorm Putsch gewählten Parlament zusammense­tzt, will die Militärjun­ta nun vor den Internatio­nalen Strafgeric­htshof bringen. Auch ein bindendes UN-Waffenemba­rgo wird gefordert. Bis jetzt aber haben die ständigen Sicherheit­sratsmitgl­ieder China und Russland nicht dafür gestimmt.

 ?? FOTO: AFP ?? Demonstran­ten mit Plakaten von Aung San Suu Kyi und leuchtende­n Handys in den Straßen von Yangon im März 2021 nach dem Putsch im Februar.
FOTO: AFP Demonstran­ten mit Plakaten von Aung San Suu Kyi und leuchtende­n Handys in den Straßen von Yangon im März 2021 nach dem Putsch im Februar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany