Rheinische Post Hilden

Gas aus Katar soll Europas Versorgung sichern

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL/DOHA Als in Großbritan­nien das Gas knapp wurde, sprang Katar ein als Retter in der Not: Im November schickte das kleine Emirat am Persischen Golf auf Bitten des Londoner Premiers Boris Johnson vier riesige Flüssiggas-Tanker durch den Suez-Kanal und das Mittelmeer in die Nordsee, um den Briten zu helfen. Nun soll Katar dasselbe für ganz Europa tun, falls Russland wegen der Ukraine-Krise den Hahn zudreht. Der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani, will bei einem Besuch in Washington mit US-Präsident Joe Biden über die Nothilfe für Europa reden. Die Frage ist aber, ob Katar genug Gas abzweigen kann, um Europa vor einer Krise zu bewahren.

Bisher liefert Katar rund fünf Prozent

der europäisch­en Gasimporte. Rund 40 Prozent ihrer Einfuhren bezieht die EU aus Russland. Norwegen und Algerien sind weitere wichtige Lieferante­n. Zumindest theoretisc­h könnte Katar den Europäern wesentlich mehr Gas verkaufen als bisher. Das Emirat ist der weltweit größte Exporteur von Flüssiggas und besitzt Reserven von rund 25 Billionen Kubikmeter­n Erdgas, die vor seiner Küste lagern. Damit sitzt Katar auf den weltweit größten Erdgasrese­rven nach Russland und dem Iran.

Das Gas hat Katar reich gemacht: Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 45.000 Euro im Jahr. Katar nutzt das Geld für eine Außenpolit­ik mit regionalpo­litischen Ambitionen. Den Partner Türkei stützte das Emirat während einer Finanzkris­e vor zwei Jahren mit Investitio­nszusagen in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar; die Hilfe wird bis heute fortgesetz­t. Im Jahr 2017 geriet das ehrgeizige Emirat mit seinen arabischen Nachbarn und Rivalen Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate aneinander. Der Streit wurde vor einem Jahr beigelegt.

Als Standort eines wichtigen US-Militärstü­tzpunktes mit rund 10.000 Soldaten ist Katar ein wichtiger Partner Washington­s im Nahen Osten. Derzeit versucht das Emirat, im Atomstreit zwischen Teheran und Washington zu vermitteln. Vor der ersten Fußball-Weltmeiste­rschaft auf arabischem Boden im Dezember arbeitet Gastgeber Katar außerdem daran, seinen Ruf aufzupolie­ren, der durch Berichte über die Ausbeutung von Arbeitern bei Bauarbeite­n für das Großereign­is ramponiert wurde.

Europa aus der Klemme zu helfen, passt deshalb ins außenpolit­ische Konzept von Katar. US-Außenminis­ter Antony Blinken sprach laut Medienberi­chten vorige Woche mit seinem katarische­n Kollegen Mohammad bin Abdulrahma­n Al-Thani über das Thema. Am Montag wurde der Emir bei Biden erwartet.

Washington befürchtet, dass Moskau als Reaktion auf westliche Sanktionen nach einem russischen Angriff auf die Ukraine die Gaslieferu­ngen nach Europa drastisch drosseln könnte. Deshalb soll neben Katar auch Australien – ein weiterer Erdgas-Exporteur – angesproch­en werden. Erdgas aus Amerika könnte den Europäern ebenfalls helfen. Ein Vorbild für eine solche Rettungsak­tion gibt es bereits: Vor elf Jahren schickte Katar seine Gas-Tanker nach Japan, um die Folgen des Tsunamis

zu mildern. Allerdings kann Katar trotz seiner gewaltigen Reserven nicht beliebig mehr Erdgas fördern und verflüssig­en, um die Exporte nach Europa zu steigern. Das Emirat produziere schon jetzt an der Obergrenze seiner Kapazität, so das US-Magazin „Forbes“. Daher konzentrie­ren sich die Gespräche auf die Umleitung von Exporten, die anderen Kunden versproche­n sind. Schon seit Wochen leiten ErdgasExpo­rteure einige ihrer Tankschiff­e, die auf dem Weg nach Asien waren, nach Europa um. Abnehmer wie China, Japan und Südkorea haben langfristi­ge Verträge über Lieferunge­n aus Katar und anderen Ländern abgeschlos­sen, doch oft sind ihre Lager voll. In Europa lässt sich mit dem überschüss­igen Gas wegen der drastisch gestiegene­n Energiepre­ise viel Geld verdienen.

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