Rheinische Post Hilden

Familie kämpft gegen die Präsenzpfl­icht

Aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s geht ein Gymnasiast seit November nicht mehr zur Schule. Das hat Folgen.

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF Steigende Fallzahlen und eine deutlich beschleuni­gte Ansteckung mit dem Coronaviru­s erschütter­n die Schulgemei­nden. Die Stimmen mehren sich, die angesichts der dynamische­n OmikronWel­le zumindest eine Debatte über eine Lockerung oder Aussetzung der unbedingte­n Präsenzpfl­icht fordern. Doch nicht alle wollen den Fortgang dieser Diskussion­en abwarten. „Gesundheit und das Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit sind wichtiger als eine Präsenzpfl­icht ohne Ausnahmen“, sagt Inge L.* Das ist mehr als ein Bekenntnis, denn die Düsseldorf­erin und ihr Mann haben gemeinsam mit ihrem Sohn Marc entschiede­n, dass der Gymnasiast in der aktuellen Welle nicht zur Schule gehen soll. Für das Recht, sich für ein Lernen auf Distanz entscheide­n zu dürfen, klagen die Düsseldorf­er. Doch bislang hatten sie vor dem Verwaltung­s- und Oberverwal­tungsgeric­ht keinen Erfolg. „Wir setzen nun auf das Hauptsache­verfahren und geben nicht auf“, sagt Vater Peter L. Zweimal flatterte der Familie ein Bußgeldbes­cheid der für die Schulaufsi­cht zuständige­n Bezirksreg­ierung ins Haus. Gegen den haben sie Widerspruc­h eingelegt.

Beide Eltern sind inzwischen doppelt geimpft, schließen auch eine Boosterung im kommenden Frühjahr nicht aus. Mit Blick auf den Sohn zögern sie noch. „Wir wollen gemeinsam mit ihm abwägen, wann wir das mit Blick auf mögliche Rest-Risiken für vertretbar halten“, sagt die Mutter. Sensibilis­iert haben sie unter anderem die Berichte über Herzmuskel­entzündung­en bei jungen männlichen Geimpften. „Wir sind weder Impfgegner noch in seltsamen Milieus unterwegs, sondern haben einfach große Sorge um die Gesundheit“, sagt die Mutter. „Wir würden Marc umgehend wieder in die Schule schicken, wenn die Inzidenz sich der 200er Marke nähern würde beziehungs­weise darunter liegt“, fügt sie an. Dass der Staat und die Behörden bei einer Inzidenz von mehr als 3000 bei den Fünf- bis 14-Jährigen in Düsseldorf den Familien bei der Präsenzfra­ge keinen Spielraum lasse, verstehen sie dagegen nicht: „Wir hoffen, dass möglichst viele Bürger unseren Weg mitgehen, damit wir – wie in Hessen oder Berlin – zumindest eine Wahlfreihe­it haben.“Dass man die Höhe der Sieben-Tage-Inzidenz inzwischen anders gewichten könnte als noch im vergangene­n Jahr mit der damals dominieren­den Delta-Variante schätzt die Familie nicht so ein. „Wir wissen einfach zu wenig über die möglichen Spätfolgen von Omikron und auch über Long Covid bei Heranwachs­enden“, sagt Inge L.

Teenager Marc teilt die Sorgen von Mutter und Vater: „Ich will mich und in der Folge dann auch meine Eltern nicht anstecken, darauf würde es aber bei vierstelli­gen Inzidenzen am Ende hinauslauf­en.“Seit November ist er nicht mehr zur Schule gegangen. Zwischen vier und fünf Stunden lernt er täglich. Sein Vater hilft ihm vor allem bei Mathe und den Naturwisse­nschaften, seine Mutter bei den Sprachen, den Rest bringt er sich anhand von Büchern und Angeboten

im Netz selbst bei. Gerne hätte er mehr Unterstütz­ung. Oder die Chance, Leistungsk­ontrollen auch ohne Präsenzunt­erricht absolviere­n zu können. „Doch viel passiert da nicht“, sagt er. Mit der Folge, dass es jetzt ein Halbjahres­zeugnis gab, auf dem steht, dass die Leistungen in den Fächern nicht bewertbar seien. Obwohl er im letzten Halbjahr bei Klassenarb­eiten in einigen Fächern gute und sehr gute Noten erzielt hatte. „Es bleibt das Geheimnis der zuständige­n Behörden, warum andere Lösungen nicht möglich sind“, sagt Inge L. Das Schulminis­terium verweist auf Nachfrage auf den Dialog, in den Schulen und Schulaufsi­chtsbehörd­en in Fällen einer längeren Abwesenhei­t vom Präsenzunt­erricht mit den Eltern zunächst treten. Eine solche Absenz könne aber immer auch zur Nichtbewer­tbarkeit führen und damit negative Folgen für die Schullaufb­ahn haben. Das gelte beispielsw­eise auch bei der Verweigeru­ng von Testungen (siehe Info).

Die Schulleitu­ng des Gymnasiums verweist auf das weiter schwebende Verfahren. Da es in diesem Fall grundsätzl­ich möglich sei, in den Unterricht zu kommen, könne bei den aktuellen Rahmenbedi­ngungen eben kein individuel­l angepasste­r Distanzunt­erricht erteilt werden. Allerdings habe der Schüler Zugriff auf die auch seinen Klassenkam­eraden zur Verfügung stehenden Angebote der Lernplattf­orm Moodle. „Natürlich wird er davon nicht ausgeschlo­ssen.“

Sorge, dass er nach seiner Rückkehr nicht mehr mitkommt, hat Marc nicht: „Ich war letztes Jahr schon einmal einige Wochen weg und hatte danach kein Problem.“Unter Einsamkeit leidet er nicht. Im Schnitt trifft er einmal pro Woche einen guten Freund, der zuvor getestet wurde. Abends chattet er zudem mit weiteren Freunden und Mitschüler­n oder spielt mit ihnen am PC. Auch auf den Klavierunt­erricht muss er nicht verzichten. „Weil die Klavierleh­rerin wegen Corona nicht kommt, hat meine Mutter den Unterricht übernommen.“

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Inge L. mit einem von inzwischen zwei Bußgeldbes­cheiden der Bezirksreg­ierung über 100 bzw. 250 Euro. Die Familie des Gymnasiast­en will vor Gericht dagegen vorgehen.

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