Familie kämpft gegen die Präsenzpflicht
Aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geht ein Gymnasiast seit November nicht mehr zur Schule. Das hat Folgen.
DÜSSELDORF Steigende Fallzahlen und eine deutlich beschleunigte Ansteckung mit dem Coronavirus erschüttern die Schulgemeinden. Die Stimmen mehren sich, die angesichts der dynamischen OmikronWelle zumindest eine Debatte über eine Lockerung oder Aussetzung der unbedingten Präsenzpflicht fordern. Doch nicht alle wollen den Fortgang dieser Diskussionen abwarten. „Gesundheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind wichtiger als eine Präsenzpflicht ohne Ausnahmen“, sagt Inge L.* Das ist mehr als ein Bekenntnis, denn die Düsseldorferin und ihr Mann haben gemeinsam mit ihrem Sohn Marc entschieden, dass der Gymnasiast in der aktuellen Welle nicht zur Schule gehen soll. Für das Recht, sich für ein Lernen auf Distanz entscheiden zu dürfen, klagen die Düsseldorfer. Doch bislang hatten sie vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg. „Wir setzen nun auf das Hauptsacheverfahren und geben nicht auf“, sagt Vater Peter L. Zweimal flatterte der Familie ein Bußgeldbescheid der für die Schulaufsicht zuständigen Bezirksregierung ins Haus. Gegen den haben sie Widerspruch eingelegt.
Beide Eltern sind inzwischen doppelt geimpft, schließen auch eine Boosterung im kommenden Frühjahr nicht aus. Mit Blick auf den Sohn zögern sie noch. „Wir wollen gemeinsam mit ihm abwägen, wann wir das mit Blick auf mögliche Rest-Risiken für vertretbar halten“, sagt die Mutter. Sensibilisiert haben sie unter anderem die Berichte über Herzmuskelentzündungen bei jungen männlichen Geimpften. „Wir sind weder Impfgegner noch in seltsamen Milieus unterwegs, sondern haben einfach große Sorge um die Gesundheit“, sagt die Mutter. „Wir würden Marc umgehend wieder in die Schule schicken, wenn die Inzidenz sich der 200er Marke nähern würde beziehungsweise darunter liegt“, fügt sie an. Dass der Staat und die Behörden bei einer Inzidenz von mehr als 3000 bei den Fünf- bis 14-Jährigen in Düsseldorf den Familien bei der Präsenzfrage keinen Spielraum lasse, verstehen sie dagegen nicht: „Wir hoffen, dass möglichst viele Bürger unseren Weg mitgehen, damit wir – wie in Hessen oder Berlin – zumindest eine Wahlfreiheit haben.“Dass man die Höhe der Sieben-Tage-Inzidenz inzwischen anders gewichten könnte als noch im vergangenen Jahr mit der damals dominierenden Delta-Variante schätzt die Familie nicht so ein. „Wir wissen einfach zu wenig über die möglichen Spätfolgen von Omikron und auch über Long Covid bei Heranwachsenden“, sagt Inge L.
Teenager Marc teilt die Sorgen von Mutter und Vater: „Ich will mich und in der Folge dann auch meine Eltern nicht anstecken, darauf würde es aber bei vierstelligen Inzidenzen am Ende hinauslaufen.“Seit November ist er nicht mehr zur Schule gegangen. Zwischen vier und fünf Stunden lernt er täglich. Sein Vater hilft ihm vor allem bei Mathe und den Naturwissenschaften, seine Mutter bei den Sprachen, den Rest bringt er sich anhand von Büchern und Angeboten
im Netz selbst bei. Gerne hätte er mehr Unterstützung. Oder die Chance, Leistungskontrollen auch ohne Präsenzunterricht absolvieren zu können. „Doch viel passiert da nicht“, sagt er. Mit der Folge, dass es jetzt ein Halbjahreszeugnis gab, auf dem steht, dass die Leistungen in den Fächern nicht bewertbar seien. Obwohl er im letzten Halbjahr bei Klassenarbeiten in einigen Fächern gute und sehr gute Noten erzielt hatte. „Es bleibt das Geheimnis der zuständigen Behörden, warum andere Lösungen nicht möglich sind“, sagt Inge L. Das Schulministerium verweist auf Nachfrage auf den Dialog, in den Schulen und Schulaufsichtsbehörden in Fällen einer längeren Abwesenheit vom Präsenzunterricht mit den Eltern zunächst treten. Eine solche Absenz könne aber immer auch zur Nichtbewertbarkeit führen und damit negative Folgen für die Schullaufbahn haben. Das gelte beispielsweise auch bei der Verweigerung von Testungen (siehe Info).
Die Schulleitung des Gymnasiums verweist auf das weiter schwebende Verfahren. Da es in diesem Fall grundsätzlich möglich sei, in den Unterricht zu kommen, könne bei den aktuellen Rahmenbedingungen eben kein individuell angepasster Distanzunterricht erteilt werden. Allerdings habe der Schüler Zugriff auf die auch seinen Klassenkameraden zur Verfügung stehenden Angebote der Lernplattform Moodle. „Natürlich wird er davon nicht ausgeschlossen.“
Sorge, dass er nach seiner Rückkehr nicht mehr mitkommt, hat Marc nicht: „Ich war letztes Jahr schon einmal einige Wochen weg und hatte danach kein Problem.“Unter Einsamkeit leidet er nicht. Im Schnitt trifft er einmal pro Woche einen guten Freund, der zuvor getestet wurde. Abends chattet er zudem mit weiteren Freunden und Mitschülern oder spielt mit ihnen am PC. Auch auf den Klavierunterricht muss er nicht verzichten. „Weil die Klavierlehrerin wegen Corona nicht kommt, hat meine Mutter den Unterricht übernommen.“