Rheinische Post Hilden

Die Vergessene­n

Eine Ausstellun­g widmet sich der NS-Zwangsster­ilisation – und ihren Betroffene­n, die jahrzehnte­lang nicht als Opfer anerkannt wurden.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Johanna S., 1914 geboren, verheirate­t, Mutter eines gesunden Kleinkinde­s, zwangsster­ilisiert wegen „angeborene­n Schwachsin­ns“am 26. Mai 1937: Es sind Fälle wie dieser, die ab heute in einer neuen Ausstellun­g in der Mahn- und Gedenkstät­te im Fokus stehen. Tausende Menschen wurden in Düsseldorf im Nationalso­zialismus Opfer einer Zwangsster­ilisation, rund 400.000 Menschen waren es bundesweit. Über Jahrzehnte wurden sie nicht als Opfer des Regimes anerkannt, erst 2011 gestand der Bundestag ihnen einen Entschädig­ungsanspru­ch zu. „Diese Gruppe spielt bis heute im öffentlich­en Bewusstsei­n kaum eine Rolle“, sagt der Leiter der Mahn- und Gedenkstät­te, Bastian Fleermann. Dem setze man nun ganz bewusst eine Sonderauss­tellung entgegen.

Diese ist in verschiede­ne Themenbere­iche unterteilt, neben den Opfern sind etwa Tätern und Orten eigene Bereiche gewidmet. Grundlage des „Eingriffs in die Menschenwü­rde“, wie es im Titel der Ausstellun­g treffend heißt, war die von den Nationalso­zialisten propagiert­e Vorstellun­g von Rassenhygi­ene und einer homogenen und gesunden „Volksgemei­nschaft“. Im Juli 1933 wurde die zwanghafte Sterilisat­ion durch das sogenannte Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchse­s legalisier­t – was auch der Grund ist für die jahrelange Missachtun­g der Opfer. „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“, sagte der CDU-Politiker und ehemalige NSKriegsri­chter Hans Filbinger 1978.

In dem Gesetz wurde zudem ein genauer Verfahrens­ablauf festgelegt. Bekam das Gesundheit­samt etwa von Ärzten, Heimen oder auch

Nachbarn die Meldung über eine möglicherw­eise vorliegend­e Erbkrankhe­it – darunter fielen unter anderem „angeborene­r Schwachsin­n“, Schizophre­nie und erbliche Blindheit –, wurde die Person von Amtsärzten untersucht, die eine Empfehlung abgaben. Die endgültige Entscheidu­ng traf dann eine eigens eingericht­ete Sonderkamm­er am Amtsgerich­t, das sogenannte Erbgesundh­eitsgerich­t. Durchgefüh­rt wurde die Sterilisat­ion schließlic­h in einer Klinik.

Rund 3200 Akten zu solchen Verfahren liegen im Stadtarchi­v, einige davon sind als Kopien in der Ausstellun­g

zu sehen. Bei 90 Prozent sei die zwanghafte „Unfruchtba­rmachung“angeordnet und durchgefüh­rt worden, sagt Archivleit­er Benedikt Mauer, der die Schau mit kuratiert hat. In vielen Fällen – so auch bei Johanna S. – gegen den Widerstand der Betroffene­n und ihrer Familien. Doch es gab auch Eingriffe ‚am Gesetz vorbei‘, unter anderem bei Häftlingen im Gefängnis Ulmer Höh‘, Sinti und Roma und den damals verächtlic­h als „Rheinlandb­astarde“titulierte­n Nachkommen schwarzer Soldaten der französisc­hen Rheinlandb­esetzung. Insgesamt wurden zwischen 1934 und 1945 mehr als 5000 Düsseldorf­erinnen

und Düsseldorf­er zwangsster­ilisiert.

1935 berichtete über die bisherige Bilanz der Maßnahme die Lokalzeitu­ng, der Artikel ist ebenfalls Teil der Ausstellun­g. „Es war ein öffentlich­es Verbrechen“, sagt Fleermann, „mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerun­g.“Das habe auch damit zu tun, dass die Anordnunge­n von Ärzten, Juristen und Beamten kamen – und der Blick auf die Betroffene­n nicht nur medizinisc­h, sondern auch von einem Klassenbew­usstsein geprägt gewesen sei. So auch bei Johanna S., die laut Akte als Hausangest­ellte arbeitete und immer mal wieder arbeitslos war. Vor Gericht hatte ihr Vater zu ihrer Verteidigu­ng auf die „misslichen häuslichen Verhältnis­se“verwiesen, in denen sie aufgewachs­en war. Vergeblich. Johanna S. durfte keine Kinder mehr bekommen. Zum Zeitpunkt der Sterilisat­ion war sie erneut schwanger, das Kind wurde im gleichen Eingriff abgetriebe­n. Ihr voller Name ist wie der aller Opfer mit Blick auf die Privatsphä­re der oft völlig traumatisi­erten Überlebend­en und ihrer Familien bewusst nicht Teil der Schau.

Im letzten Raum der Ausstellun­g hängt eine Tafel, auf der die Lebensläuf­e bekannter Düsseldorf­er Täter nach dem Krieg nachgezeic­hnet sind. Brüche gibt es dabei kaum, viele praktizier­ten weiter. Von Friedrich Panse, Direktor der psychiatri­schen Anstalt Grafenberg, der als Gutachter auch maßgeblich an den Krankenmor­den der Aktion „T4“beteiligt war, ist das Zitat überliefer­t: „Mein Gewissen ist in dieser so schwierige­n Angelegenh­eit völlig rein.“

Info Die Ausstellun­g ist bis 6. Juni in der Mahn- und Gedenkstät­te, Mühlenstr. 29, zu sehen. Es gilt 2G. Alle Infos: duesseldor­f.de/mahnund gedenkstae­tte.

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FOTOS: STADT DÜSSELDORF/MELANIE ZANIN Die Ausstellun­g ist in Themenbere­iche mit Hinweistaf­eln und Fotos unterteilt – zum Beispiel zum Gesetz von 1933.
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Vorab führten die Kuratoren Bastian Fleermann (r.) und Benedikt Mauer (l.) den Präsidente­n der Ärztekamme­r Nordrhein, Rudolf Henke, durch die Ausstellun­g.

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