Der Existenzialismus der Eierschalen
Vier Beiträge neuer Kunst beziehen sich auf den Kern von Zero in einer Ausstellung der Stiftung der Künstlergruppe. Heinz Mack (90) hat dies mit einer großzügigen Spende ermöglicht.
DÜSSELDORF Wie das Alte das Neue begründet und wie das Neue Vibrationen über die Zukunft herzustellen vermag, ohne die Tiefe der Vergangenheit zu verlieren: Das ist ein Kontinuum in der Kunst, das man bis 6. März in der Hüttenstraße erleben kann.
„Yesterday, today, tomorrow“heißt die sehenswerte Ausstellung im Domizil der Düsseldorfer Zero-Stiftung. Die Verheißung des Titels geht auf: Nicht viel mehr als einen biografischen Wimpernschlag von 60 Jahren ist es her, dass Günther Uecker den ockerfarbenen speckigen Boden seines ersten Ateliers mit den Farben Rot, Blau, Schwarz, Gelb und Grün bespritzte. Jetzt wurden diese Farbsprenkel mehrfach in aktuelle Kunst verwoben.
Yesterday – gestern traten drei Helden mit Zero in die rheinländische Kunstwelt und propagierten in einer Zeit einen Aufbruch, in der das Propagieren genauso neuartig war wie die Werke von Mack, Piene und Uecker. Der eine zog mit Spiegeln in die Wüste, der zweite malte mit Feuer, und dem Dritten dienten Nägel als Zeichenstifte. An der Hüttenstraße, wo ein paar Jahre lang alle drei Künstler arbeiteten, war einst ein Epizentrum von Zero. Seit 2018 leben die Ideen dort im Haus der Zero-Stiftung fort.
Today – da ist ein großzügiger Akt von heute. Heinz Mack hat 2021, in seinem 90. Lebensjahr, eine stattliche Summe gespendet, um jüngeren Künstlern in der Corona-Misere eine Ausstellungschance zu verschaffen. Die Zero-Stiftung unter Leitung von Barbara Könches hat mit einer Jury aus Bewerbungen ausgewählt. Drei Künstlerinnen und ein Künstler, um die 40 Jahre alt, zeigen nun, wie sehr sie mit den Ideen von Zero verbunden sind, mit der Materialität, den
Formaten, den Farben. Außerdem erhalten sie, die ihre Studien an der Düsseldorfer Akademie längst beendet haben, 3500 Euro Lebenskostenzuschuss.
Tomorrow – das Morgen findet in der Kunst schon einen Aggregatzustand, wenn die Zukunft noch gar nicht angebrochen ist. Die künstlerischen Perspektiven einer ganzen Generation sind so wichtig zu nehmen wie die Theorien berühmter Lehrstühle, wie politische Programme oder Start-ups. Jennifer López Ayala, Jungwoon Kim, Daniel Nehring und Felicitas Rohden bilden eine Gemeinde von Künstlern, die sich als Forscher und Poeten erweisen, die auf weitverzweigten Wegen das Leben durchdringen, bis zum unendlichen Kosmos und bis ins allerfinsterste Beben einer traumatisierten Seele.
Drei Kunstbeiträge im selben Raum unterscheiden sich grundsätzlich. Eine Luftskulptur (wer denkt nicht an Otto Piene?) hat Felicitas Rohden den Planeten gewidmet, ihren Größenordnungen, Verbindungen und Abstoßungen. Die aufgeblasene Skulptur „Isolated and Inflated“ist ein buntes Stück Kosmos, so naiv, wie wir Menschen es uns vorstellen.
Daneben zittern fleischfarbene, an eine Nabelschnur erinnernde Skulpturen – in der Zero-Kunst war viel Bewegung –, die von der Decke hängen. Profane Dusch-Schläuche hat Jungwoon Kim dafür mit Silikon ummantelt; die Lecks am Boden weisen auf Lecks im Leben hin, eine Stelle ist geflickt. „Die Zitternde“hat sie die Skulptur mit Motoren genannt, die Bewegung und Tempo thematisiert als Parameter eines Lebens.
Das Leben ins Unendliche weitet Daniel Nehring im selben Raum, in dem auch Heinz Macks dreiteilige Arbeit „Terzett“gehängt wurde. Nehring ist mit seiner Videoarbeit
virtuell unterwegs, erfindet und montiert Bilder in unerwarteten Perspektiven. Das Haus in der Hüttenstraße, der Boden, die Treppe oder ein Stuhl fliegen durch Nehrings blauen Kosmos. Nehring geht in die Wüste, wie einst Mack es tat, manche Orte bedienen Klischees, ein Greifarm ist der heimliche Regisseur.
Einen eigenen Raum benötigt Jennifer López Ayala für ihre ungewöhnliche Installation, die gemalte Bilder unter sich begräbt, die niemand mehr sieht, die das Dunkel feiert und mit Schwarzlicht strukturiert, die Tausende aufgebrochene, innen lackierte Eierschalen als Raster platziert, die einen Sound dazu setzt, der die Aufbauarbeit vor Ort lebhaft konserviert.
Als Betrachter steht man orientierungslos in diesem schwarzen, kalten, konzeptuellen Raum und starrt auf das fluoreszierende Eierschalenskulpturenensemble und spürt, wie der eigene Leib zum Resonanzmedium wird. Das will die Künstlerin. Gewissheit stellt sich ein: Diese Installation ist weder witzig noch harmlos gedacht, sondern entspringt einer persönlichen Forschung über zerbrochene Körper. Auch über Heilung. Die Malerei ist nicht weit weg, beim Anrühren ihrer Eitempera hatte López Ayala einst die zerbrochenen Schalen am Boden als künstlerische Aufforderung aufgefasst. Das war 2013. Aus der Malerin wurde eine Raummalerin. Nicht nur wegen der Materialwahl, wegen der oszillierenden fragilen organischen Eierschalen, ist ihre Kunst existenziell.
Drei Kunstbeiträge im selben Raum unterscheiden sich grundsätzlich