Rheinische Post Hilden

Beim Tanken endet der Klimaschut­z

Der Weltklimar­at fordert eindringli­ch mehr Klimaschut­z. Doch angesichts des Ukraine-Krieges marschiert Deutschlan­d in die falsche Richtung: Steuersenk­ungen sollen den Spritpreis bremsen, Kohlekraft­werke laufen wie nie.

- VON ANTJE HÖNING

Erst hat die Pandemie den Klimawande­l aus den Schlagzeil­en verdrängt, dann der UkraineKri­eg. Dabei kann der Klimaschut­z nicht warten, die Erderwärmu­ng schreitet voran. Ohne eine sofortige und starke Verringeru­ng des Ausstoßes von Treibhausg­asen sei die nötige Begrenzung des Temperatur­anstiegs auf 1,5 Grad Celsius nicht zu schaffen, warnte der Vorsitzend­e des Weltklimar­ates, Hoesung Lee, am Montag zur Vorstellun­g des neuen Lageberich­ts. Die Welt müsse die Nutzung von fossilen Brennstoff­en stark drosseln, die Elektrifiz­ierung vorantreib­en, alternativ­e Energieerz­eugung ausbauen und effiziente­r wirtschaft­en. Der Weltklimar­at (Intergover­nmental Panel on Climate Change, kurz: IPCC) wurde von den Vereinten Nationen und der Weltorgani­sation für Meteorolog­ie gegründet. Er ist das führende Gremium zu wissenscha­ftlichen Fragen rund um die Erderwärmu­ng. Am Montag wurde ein Teilberich­t vorgestell­t, der sich mit den technische­n und wirtschaft­lichen Möglichkei­ten befasst, den Klimawande­l zu begrenzen.

Problem Laut Weltklimar­at lag der weltweite Ausstoß von Treibhausg­asen wie Kohlendiox­id (CO2) zwischen 2010 und 2019 so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Immerhin hat sich die Wachstumsr­ate verlangsam­t. Durch die Pandemie sind die globalen Emissionen zuletzt kurzfristi­g gesunken: In China waren Fabriken im Lockdown, der Luftverkeh­r brach ein, Millionen Pendler waren im Homeoffice. Doch: „Die globalen Treibhausg­asemission­en sind nach einem kurzen Einbruch aufgrund der Corona-Pandemie wieder gestiegen – auch in Deutschlan­d. Insbesonde­re in den Sektoren Verkehr und Gebäude hinkt Deutschlan­d den Zielen hinterher“, sagt etwa Christiane Averbeck, Chefin der Klima-Allianz Deutschlan­d. Nur eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 könnte es möglich machen, die angepeilte Einhaltung des 1,5-Grad-Limits ohne zeitweises Überschrei­ten zu schaffen, mahnt der Weltklimar­at. Er ist überzeugt: Mit neuen Technologi­en und Änderungen der Lebensweis­e lasse sich der Ausstoß der Treibhausg­ase bis 2050 um bis zu 70 Prozent senken. Und er diskutiert auch die verschiede­nen Maßnahmen.

Strom und Wärme Als entscheide­nd für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels gilt das Umsteuern im Energiesek­tor. Das bedeutet zum einen, dass die Staaten bei der Stromerzeu­gung mittelfris­tig aus fossilen Energieträ­gern aussteigen und Häuser besser gedämmt werden müssen. Braunkohle verursacht am meisten Emissionen, gefolgt von Steinkohle und Erdgas. Doch auch hier wirft der Ukraine-Krieg Deutschlan­d zurück. Um sich von russischem Gas unabhängig zu machen, muss Deutschlan­d den Kohleausst­ieg in den nächsten Jahren abbremsen. Stein- und Braunkohle-Blöcke werden nicht in dem Maße stillgeleg­t wie geplant. Ob es dabei bleibt, dass die Ampel wie angedacht den Kohleausst­ieg von 2038 auf 2030 vorziehen kann, ist angesichts der geopolitis­chen Lage unklar. Im Zweifel ist den Deutschen die warme Wohnung wichtiger als der Klimaschut­z. Wenigstens hilft es dem Klima mittelfris­tig, dass Deutschlan­d nun energische­r die erneuerbar­en Energien ausbauen und nicht mehr Artenschut­z und Klimaschut­z gegeneinan­der ausspielen will.

Verkehr Maßgeblich für besseren Klimaschut­z ist auch ein Umsteuern beim Verkehr. Hier will man weg von fossilen Energieträ­gern und hin zur Elektrifiz­ierung. Verbrennun­gsmotoren bedeuten dagegen einen hohen CO2Ausstoß. Noch aber sind in Deutschlan­d weder die erneuerbar­en Energien noch die Stromnetze in einem Zustand, dass alle Bürger elektrisch fahren könnten, selbst wenn sie es wollten. Hinzu kommt, dass die Bundesregi­erung mit ihrem jüngsten Entlastung­spaket genau die falschen Signale setzt. Eigentlich müsste sie sich über steigende Spritpreis­e freuen, weil Verbrauche­r so einen Anreiz bekommen, auf Bus, Bahn oder Rad umzusteige­n, sich mittelfris­tig ein Elektroaut­o zu kaufen oder das Pendeln zu beenden. Doch auf Druck vor allem der FDP hat die Ampel nicht nur die Pendlerpau­schale erhöht, sondern auch noch die Energieste­uer befristet gesenkt: bei Benzin um 30 Cent je Liter und beim Diesel um 14 Cent. Das sorgt bei namhaften Ökonomen wie Clemens Fuest (Ifo) oder Christoph Schmidt (RWI) für Entsetzen. Doch beim Tanken hört in Deutschlan­d die Liebe zum Klimaschut­z auf.

Ernährung Der Weltklimar­at untersucht, welchen Einfluss es hat, weniger Fleisch zu essen – und kommt zu dem Schluss: Lebensstil und persönlich­es Verhalten spielen eine wichtige Rolle fürs Klima, sei es beim Fliegen, sei es beim Essen. Schon in einem früheren Bericht hatten Experten gemahnt, dass Land- und Forstwirts­chaft für ein Viertel der menschenge­machten Treibhausg­asemission­en verantwort­lich sind. Ein besonderes Problem ist die intensive Viehwirtsc­haft, die mit hohem Methan-Ausstoß verbunden ist. Wachsender Fleischkon­sum bedeutet aber auch wachsende Landnutzun­g für die Futtermitt­elerzeugun­g und wachsenden Verbrauch von Dünger, dessen Erzeugung wiederum energieint­ensiv ist. Beim Schweinefl­eisch-Verbrauch pro Kopf zählt Deutschlan­d zu den Weltmeiste­rn, beim Rindfleisc­h sind es die USA.

Folgen UN-Generalsek­retär António Guterres nannte den IPCC-Bericht einen „Bericht der Schande“und warf einigen Regierunge­n und Unternehme­n „Lügen“über ihr Klimaschut­z-Engagement vor. Die Folgen seien Hitzewelle­n, Dürren, Stürme und Wasserknap­pheiten. Guterres‘ eindringli­che Mahnung: Die Welt habe die Wahl, ihre Verpflicht­ung zum 1,5-Grad-Ziel einzuhalte­n oder die Erde zu zerstören.

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