Besuch in Butscha
Wolodymyr Selenskyj macht sich selbst ein Bild von der Lage in der Stadt, in der russische Truppen ein Massaker verübt haben sollen. International ringt man um eine Reaktion auf das Grauen.
KIEW/MOSKAU/DÜSSELDORF Der Präsident ist da. Wolodymyr Selenskyj ist nach Butscha gekommen. Dorthin, wo am Wochenende die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs für die ganze Welt sichtbar wurden in Bildern von Tod und Zerstörung. In Butscha seien Kriegsverbrechen begangen worden, sagt Selenskyj am Montag vor Journalisten. „Die Welt wird das als Genozid anerkennen.“
Die Bilder aus Butscha lösten weltweit Entsetzen aus. In der Vorortgemeinde der ukrainischen Hauptstadt Kiew waren am Wochenende nach dem Rückzug der russischen Truppen Hunderte Leichen entdeckt worden. Einige lagen mit gefesselten Händen auf der Straße. Die Zeitung „Ukrajinska Prawda“meldete unter Berufung auf einen Bestattungsdienst, bis Sonntagabend seien 330 bis 340 leblose Körper eingesammelt worden. Auch in anderen Gemeinden in der Umgebung Kiews wurden Todesopfer entdeckt.
Die Ukraine macht für das Massaker in Butscha die nun abgezogenen russischen Truppen verantwortlich. Moskau bestreitet das und spricht von „Fälschung“. Es handele sich um einen „erfundenen Angriff“mit dem Ziel, Russland zu diskreditieren, sagt der russische Außenminister Sergej
Lawrow laut der Nachrichtenagentur Tass. Auch das Präsidialamt wies die Vorwürfe kategorisch zurück. Die Fakten und der zeitliche Ablauf der Vorkommnisse entsprächen nicht der ukrainischen Darstellung, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Deshalb sollten Anschuldigungen der ukrainischen Seite angezweifelt werden und internationale Politiker keine vorschnellen Schlüsse ziehen.
Die Suche nach weiteren Opfern dauert am Montag an. Die ukrainischen Behörden sind immer noch dabei, Spuren zu sichern. Dabei sollen sie in den kommenden Tagen internationale Hilfe bekommen. Mehr als 280 Tote wurden bereits in einem Massengrab beigesetzt. Wolodymyr Selenskyj kündigt außerdem an, es werde ein spezieller Justizmechanismus geschaffen, um die Gräueltaten unter Beteiligung internationaler Staatsanwälte und Richter zu untersuchen. Die Frage eines Reporters, ob es nun immer noch möglich sei, mit Russland über Frieden zu verhandeln, bejaht der ukrainische Staatschef: „Die Ukraine muss Frieden bekommen“, sagt er.
Angesichts der schockierenden Taten in Butscha bereitet der Westen schärfere Sanktionen gegen Russland vor. Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell arbeitet die EU unter Hochdruck an neuen Strafmaßnahmen. Er zeigt sich im Namen der Mitgliedsstaaten bestürzt: „Die Massaker in der Stadt Butscha und anderen ukrainischen Städten werden in die Liste der Gräueltaten aufgenommen werden, die auf europäischem Boden verübt wurden.“Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigt an, Ermittlungsteams in die Ukraine zu schicken. US-Präsident Joe Biden fordert eine Untersuchung wegen Kriegsverbrechen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die Bundesregierung erklärt derweil 40 russische Diplomaten zu in Deutschland „unerwünschten Personen“. Es handle sich um Angehörige der russischen Botschaft, teilt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit. Werden Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt, kommt dies einer Ausweisung gleich.
Die USA wollen zudem die Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der UN aussetzen lassen. Einen Antrag dazu werde man in der Vollversammlung stellen, kündigt US-Botschafterin Linda ThomasGreenfield an. Russland bemüht sich unterdessen am Montag um eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu den Vorfällen in Butscha. Der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitri Poljanski kündigt dazu an, dabei „die ukrainischen Provokateure und ihre Schutzpatrone im Westen zu entlarven“. Großbritannien, das derzeit den Vorsitz des Gremiums innehat, weist den Antrag auf eine Sitzung am Montag zurück. Diese soll stattdessen am Dienstag stattfinden.
(mit ap/dpa/rtr)