Rheinische Post Hilden

Was wäre, wenn?

Deutschlan­d will vorbereite­t sein, falls Russland die Gas-Lieferunge­n stoppt oder der Westen ein Embargo verhängt. In der Netzagentu­r werden Feldbetten aufgestell­t. Die Behörde übernimmt Gazprom Germania als Treuhänder­in.

- VON ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Vor einer Woche hat Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) die Frühwarnst­ufe des Notfallpla­ns Gas ausgerufen. Um die Energiever­sorgung zu sichern, unternimmt er nun einen weiteren Schritt: Er setzt die Bundesnetz­agentur als Treuhänder­in für die Gazprom Germania ein, nachdem der russische Konzern den Rückzug von seiner deutschen Tochter angekündig­t hatte und es unklar war, wem das für die Gasversorg­ung so wichtige Unternehme­n überhaupt gehört. Umso mehr stellt sich die Frage: Was passiert eigentlich, wenn Russland den Gashahn zudrehen sollte? Russland steht noch für 40 Prozent der Gasimporte.

WieEschnel­lEmerkenEw­irEdenEMan­gel Das dauert ein paar Tage. Das meiste Gas erhält Deutschlan­d durch die Pipeline Nord Stream 1. Falls Wladimir Putin in Wyborg den Hahn zudrehen lassen sollte, würde es ein paar Tage dauern, bis tatsächlic­h weniger Gas in Europa ankommt. Denn die Pipeline ist gut 1100 Kilometer lang. Das gibt Deutschlan­d etwas Zeit zu reagieren.

WasE sindE dieE Hauptprobl­eme Das technische Problem besteht darin, dass der Druck im gesamten Netz nicht zu stark sinken darf. Sonst würden sich Thermen und Brenner automatisc­h abschalten, Techniker müssten anschließe­nd Millionen Haushalte aufsuchen, um die Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen. Das ökonomisch­e Problem besteht darin, dass bei einem Lieferstop­p weniger Gas zur Verfügung steht, als benötigt wird. Die Netzagentu­r wird dann zum „Bundeslast­verteiler“und muss das knappe Gas in Absprache mit Politik und Firmen rationiere­n.

WieE bereitetE sichE dieE BehördeE vor Noch ist ihr Krisenstab nicht einberufen. Doch für den Fall der Fälle hat sie 65 Fachleute zusammenge­zogen, darunter Juristen, Ökonomen und Techniker. Sie können im 24-Stunden-Schichtbet­rieb die Gasverteil­ung organisier­en. Juristen sind dabei, weil die Behörde auch „Abschaltve­rfügungen“gegen Firmen verhängen kann, die rechtlich einwandfre­i sein müssen. Ebenso kann sie Firmen nur noch Teilliefer­ungen genehmigen. In der Behörde in Bonn ist bereits ein Lagezentru­m eingericht­et. „Dieses verfügt über eine eigene Stromerzeu­gung und Wasservers­orgung und steht damit selbst bei einer dramatisch­en Ausweitung der Versorgung­skrise gesichert zur Verfügung“, erklärt die Netzagentu­r. Auch Feldbetten stehen parat, damit Mitarbeite­r übernachte­n können.

WerE bekommtE nochE Gas Als geschützte Kunden gelten private Haushalte, soziale Einrichtun­gen wie Kliniken und Gaskraftwe­rke,

Energiever­brauch von Naturgas in Deutschlan­d, 2020 in Prozent die Wärme für Haushalte erzeugen. Bei allen anderen Verbrauche­rn könnten Einschränk­ungen drohen, die Industrie steht für 37 Prozent des Verbrauchs. Es werde immer um Einzelfall-Entscheidu­ngen gehen, betont die Behörde: „Die Bundesnetz­agentur bereitet keine abstrakten Abschalte-Reihenfolg­en vor.“Aber schon werden sie und ihr neuer Chef Klaus Müller von Unternehme­n bedrängt, die alle mit guten Gründen erklären, warum sie unverzicht­bar seien. NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) hat Nahrungsmi­ttelund Pharmaindu­strie bereits als notwendig bezeichnet. Doch wegen der Verflechtu­ngen wird es schwierig, Unternehme­n zu finden, die man unbedenkli­ch abschalten kann. „Schäden werden in einer Notfallstu­fe kaum zu vermeiden sein, es gilt dann Schäden zu begrenzen“, warnt die Behörde schon mal. „Die Netzagentu­r unterstütz­t daher die Position der Bundesregi­erung, ein Gas-Embargo zu vermeiden.“

WannE drohtE derE Notfall Habeck sieht im ausklingen­den Winter und Sommer kein großes Problem. Aktuell sind die Speicher zu 26 Prozent

Egefüllt, es finden erste Einspeiche­rungen statt. Das große Problem wird der nächste Winter. Schon jetzt hat Habecks Haus den sogenannte­n Marktgebie­tsverantwo­rtlichen, die Trading Hub Europe GmbH (THE), mit der Gas-Beschaffun­g auf Kosten des Bundes beauftragt. Die THE sitzt in Ratingen und ist eine Tochter vieler Fernleitun­gsbetreibe­r wie Open Grid Europe (früher Ruhrgas) und Thyssengas. Um Speicherbe­treiber wie Gazprom, Uniper und RWE zu zwingen, ihre Speicher zu befüllen, hat der Bundestag zudem ein Speicherge­setz beschlosse­n, das bestimmte Füllstände (etwa: im Oktober 90 Prozent) vorschreib­t.

WasE wirdE ausE denE Gazprom-Speichern Der größte Betreiber ist die Gazprom-Tochter Astora, sie hält 25 Prozent der deutschen Kapazitäte­n und betreibt in Rehden einen der größten Speicher Westeuropa­s. In 2000 Metern Tiefe wird das Gas gelagert, es würde theoretisc­h für zwei Millionen Familien ein Jahr reichen. Der Füllstand in Rehden liegt bei drei Prozent. Mit Habecks Anordnung, ein einmaliger Vorgang, erhält nun die Netzagentu­r als Treuhänder­in auch Zugriff auf den GazpromSpe­icher sowie Gaslieferv­erträge.

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FOTO: LINO MIRGELER/DPA Blick auf den Erdgasspei­cher im niedersäch­sischen Rehden, einem der größten Speicher Westeuropa­s. Betreiber ist die Firma Astora, eine Tochter von Gazprom.

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