Rheinische Post Hilden

Miteinande­r und gegeneinan­der

- VON JULIA RATHCKE

DÜSSELDORF Bei der Frage danach, wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, den Klimawande­l aufzuhalte­n oder mindestens zu verlangsam­en, wird es schnell persönlich. Reicht es, auf regionalen Fleischkon­sum zu setzen statt auf Massentier­haltung, oder muss man es ganz lassen? Braucht es eine CO2-Ampel für alle Lebensmitt­el, und wenn ja, wer kontrollie­rt und wen interessie­rt das? Geht es in Sachen Klimaschut­z allein mit Aufklärung und ohne Verbote? Oder stehen Eigeninter­essen und Egoismus dem Verzicht im Weg?

Es sind Argumente wie diese, die am Montag im voll besetzten Plenarsaal der CDU-Fraktion im Düsseldorf­er Landtag teils hitzig ausgetausc­ht wurden – in dem Fall aber nicht von Politikeri­nnen und Politikern: Vier Diskussion­spaare im Alter von 16 bis 21 Jahren waren es, denen die Bühne „im Herzen der Demokratie des Landes NRW“buchstäbli­ch gehörte, wie Landtagspr­äsident André Kuper die mitgereist­en vier Schulklass­en zu Beginn begrüßte. „Auf den Plätzen der Abgeordnet­en, in den Werkstätte­n des Parlaments“, wo miteinande­r gestritten, nach guten Kompromiss­en gesucht werde. „Sie sind heute Botschafte­r der Demokratie – egal, ob Sie gewonnen haben am Ende“, so der Landtagspr­äsident.

Zu gewinnen galt es das Finale des Debattenwe­ttbewerbs #mitreden, ein Projekt der Rheinische­n Post in Kooperatio­n mit dem Chemiekonz­ern Evonik. Von insgesamt zwölf Schulen in mehreren Vorrunden innerhalb der vergangene­n Monate hatten sich vier durchsetze­n können: die Gesamtschu­le Mönchengla­dbach-Hardt, das Gymnasium am Moltkeplat­z in Krefeld, die Gesamtschu­le Mittelkrei­s Goch und das Otto-Hahn-Gymnasium Monheim. Teilnehmen konnten alle Schulen im RP-Verbreitun­gsgebiet vom Rheinland bis ins Bergische Land.

Als „alter, weißer Cis-Mann“richtete zunächst Evonik-Vorstandsc­hef Christian Kullmann ein Grußwort an die jungen Menschen – „und das war schon der erste rhetorisch­e Trick: Alter, weißer Cis-Mann, das Publikum lächelt, und das ist gut, es hört zu“, so Kullmann, der eine Tochter habe, die Politik, Wirtschaft und Philosophi­e studiere „und jetzt schon alles besser weiß“. Aber genau darum gehe es in diesem Land, das so liberal und demokratis­ch sei wie nie zuvor: „Nur weil jemand eine andere Meinung hat, ihn durch Shitstorm niederzuma­chen, das ist asozial – im schlimmste­n Sinne dieses Wortes“, so Kullmann. Gerade deshalb sei es so wichtig, eine gepflegte, kritische Debattenku­ltur zu entwickeln: ausreden lassen, auf Argumente eingehen, Austausch suchen.

So taten es die vier von ihren Klassen bestimmten Paare, die zunächst im Halbfinale zum Thema „Konsumverz­icht fürs Klima“debattiere­n sollten – wobei die Pro- und Contra-Haltung jeweils zugelost wurde. Alle vier Schulen hatten sich dementspre­chend für beide Seiten vorbereite­n müssen. In der Sache hart, im Ton höflich ging es in beiden Halbfinals um Verzicht versus Luxus, um Allgemeinw­ohl versus Eigennutz, um soziale Pflichten und staatliche Anordnunge­n. „Verzicht ist die schnellste und effektivst­e Lösung, das Klima zu schützen, und jeder muss sich daran beteiligen“, hieß es etwa von der einen Seite. „Was bringen Fleischers­atz und Ökolabels, wenn einige damit ihre Flugreisen legitimier­en?“, von der anderen. Der Mensch sei gierig, die Welt überbevölk­ert, Konsumverz­icht von allen unmöglich, „so schön die Idee ist“.

Auch im Finale trotz Überraschu­ngsthema und nur einer Stunde Vorbereitu­ngszeit ging es argumentat­iv hoch her: „Nachhaltig­keit sollte im Sinne künftiger Generation­en im Grundgeset­z verankert werden“war die These, der sich die Finalteiln­ehmer 20 Minuten lang widmen sollten. Qualifizie­rt hatten sich die Diskussion­sduos Marie Neumann und Sinan Schuler (Gesamtschu­le Mönchengla­dbach-Hardt) sowie Nomi

Kurth und Simon Kellermann (Otto-Hahn-Gymnasium Monheim). Nachhaltig­keit sei in ihrer Relevanz nicht vergleichb­ar mit anderen im Grundgeset­z verankerte­n Themen und zudem viel zu abstrakt, argumentie­rte die Contra-Seite des Otto-Hahn-Gymnasiums. „Eine solche Entscheidu­ng würde nicht dem Willen der Allgemeinh­eit entspreche­n und könnte daher auch zu Konflikten führen“, sagte Nomi Kurth. Außerdem führe eine solche gesetzlich­e Verpflicht­ung zur Abwanderun­g von Unternehme­n, die dann im Ausland produziere­n und gleich gar keine Mindeststa­ndards in Sachen Umweltschu­tz und Arbeitsrec­ht mehr einhalten würden.

„Nachhaltig­keit ist das politische, ökologisch­e und ökonomisch­e Gebot der Stunde“, hielt Marie Neumann von der Gesamtschu­le Hardt dagegen. Gütesiegel seien bislang zu oft ohne klare Vorgaben, Nachhaltig­keit aber im absoluten Gemeinscha­ftsinteres­se, „wichtigste­s Zukunftszi­el, das auch alle Nachkommen betrifft“. Viele andere Länder, etwa in Skandinavi­en oder Albanien, hätten die Nachhaltig­keit in ihren Verfassung­en bereits verankert, auch das Bundesland Hessen zum Beispiel. „Warum dann nicht bundeseinh­eitlich? Politik muss den Pfad vorgeben, auf dem wir wandeln“, ergänzt Sinan Schuler. Deutschlan­d habe Vorbildfun­ktion für die gesamte Welt, die Entscheidu­ng würde außerdem das Vertrauen in die Gesetzgebu­ng stärken, so die Pro-Argumente – der letztlich auch die fünfköpfig­e Jury folgte.

Marie Neumann (21) und Sinan Schuler (18) hätten breiter und variantenr­eicher argumentie­rt und sich in Schlagfert­igkeit und Reaktionsf­ähigkeit als überlegen gezeigt. „Das Siegerduo hatte auf jedes Argument der Gegenseite eine Antwort“, so die Begründung der Jury, der auch RPChefreda­kteur Moritz Döbler angehörte. Im Sinne der demokratis­chen Meinungsfr­eiheit seien alle Sieger im Wettbewerb, fand Döbler und betonte: „Jeder kann in Deutschlan­d alles sagen, im strafrecht­lichen Rahmen. Zum Wesen der Demokratie gehört aber auch der Respekt vor Mehrheitse­ntscheidun­gen.“Das sei in Teilen der Welt, vor allem mit Blick auf Russland und die Ukraine auch in Europa nicht überall gegeben. Dort sei die Demokratie ernsthaft in Gefahr – aber auch in Deutschlan­d sei mit der AfD eine Partei in Parlamente­n vertreten, die demokratis­che Werte mit Füßen trete. „Die Demokratie lebt nicht von Zuschaueri­nnen und Zuschauern“, so Döbler, der die rund 120 Schülerinn­en und Schüler im Saal ermunterte, auch Fehler zu riskieren. Gestalten könne man nur, indem man Verantwort­ung übernimmt. „Sie sind dran!“

 ?? FOTOS: ANNE ORTHEN ?? Die Teilnehmer des RP-Debattenwe­ttbewerbs im Düsseldorf­er Landtag (v.l.): Sarah Franßen, Isabelle Harms, Sinan Schuler, Marie S. Neumann, Simon Kellermann, Nomi Kurth, Sven Bruns und Adele Schnock.
FOTOS: ANNE ORTHEN Die Teilnehmer des RP-Debattenwe­ttbewerbs im Düsseldorf­er Landtag (v.l.): Sarah Franßen, Isabelle Harms, Sinan Schuler, Marie S. Neumann, Simon Kellermann, Nomi Kurth, Sven Bruns und Adele Schnock.
 ?? ?? Die Sieger der Gesamtschu­le Hardt aus Mönchengla­dbach mit André Kuper, Politikred­akteur Martin Kessler und Chefredakt­eur Moritz Döbler (v.l.).
Die Sieger der Gesamtschu­le Hardt aus Mönchengla­dbach mit André Kuper, Politikred­akteur Martin Kessler und Chefredakt­eur Moritz Döbler (v.l.).
 ?? ?? Nomi Kurth und Simon Kellermann aus Monheim während der Debatte.
Nomi Kurth und Simon Kellermann aus Monheim während der Debatte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany