Rheinische Post Hilden

Wurzeln der Freundscha­ft zur Ukraine

Sobald sich die Lage stabilisie­rt, wird Czernowitz in der Ukraine offiziell die neue Partnersta­dt Düsseldorf­s. Insbesonde­re die jüdische Gemeinde hat sich darum bemüht – vor allem wegen vieler besonderer Verbindung­en.

- VON JULIA NEMESHEIME­R

DÜrrdLDnRe Mit dem Krieg in der Ukraine verbinden viele Menschen vor allem negative Emotionen. Doch die enorme Hilfsberei­tschaft zählt zu den positiven Effekten. Ein weiterer dürfte die inzwischen beschlosse­ne Städtepart­nerschaft mit der südwest-ukrainisch­en Stadt Czernowitz nahe der rumänische­n Grenze sein. Schon seit einigen Jahren setzt sich die jüdische Gemeinde Düsseldorf verstärkt für eine offizielle Partnersch­aft beider Städte ein. Nicht wenige Mitglieder der heute über 7000-köpfigen Gemeinde haben Vorfahren aus Czernowitz oder stammen selbst daher; darunter die bekannte Dichterin Rose Ausländer.

Um die enge Verbindung zu verstehen, hilft zunächt ein Blick in die Vergangenh­eit: Die Stadt, die am Fluss Pruth gelegen ist, blickt auf viele Herrscher zurück, am prägendste­n gilt die Zeit ab Ende des 18. Jahrhunder­ts, als sie unter die Herrschaft der Habsburger Monarchie fiel. Die Region Bukowina (Buchenland) wurde zum Herzogtum, Czernowitz zur Hauptstadt. Insbesonde­re in der Architektu­r ist das Erbe dieser Zeit zu sehen. Czernowitz entwickelt­e sich zu einer multikultu­rellen Stadt, die von Deutschen, Juden, Rumänen, Ukrainern und Polen bewohnt wurde. Deutsch wurde zur dominanten Sprache; die Kultur wurde dadurch und vor allem durch den hohen Anteil jüdischer Bevölkerun­g geprägt.

Mit dem Zerfall Österreich-Ungarns 1918 fiel Czernowitz an Rumänien, 1940 bis 41 kurz an die Sowjetunio­n, bis 1944 jedoch wieder an das mit dem Deutschen Reich verbündete Rumänien. Für die bis zu 50.000-köpfige jüdische Gemeinde der Stadt begann eine Leidenszei­t: Tausende wurden bereits bei der Eroberung der Stadt im Juli 1941 ermordet, es folgten Zwangsarbe­it und Ghettoisie­rung. Über 33.000 Juden wurden nach Transnistr­ien deportiert, wo viele von ihnen starben. Rund 20.000 Czernowitz­er Juden hatten dank des Bürgermeis­ters Traian Popovici eine Bleibebesc­heinigung, sie wurden als „ökonomisch wertvoll“angesehen und waren so zumindest nicht der Deportatio­n ausgesetzt. 1944 eroberte die Sowjetunio­n die Stadt – und vertrieb viele deutschspr­achige und rumänische Bürger. Seit 1991 gehört Czernowitz zur modernen Ukraine.

Doch vor allem persönlich­e Geschichte­n, die so viele Verästelun­gen aufweisen, tragen zur kulturelle­n Partnersch­aft der beiden Städte bei, exemplaris­ch steht dafür die

Lebensgesc­hichte von Herbert Rubinstein. Er kam 1936 in Czernowitz zur Welt. Seine unbeschwer­te frühe Kindheit nahm mit dem Krieg dann aber ein jähes Ende: „Mein Vater wurde von den Sowjets in die Rote Armee eingezogen – ich habe ihn nie wieder gesehen.“Seine verblieben­e Familie entging unter anderem den Massenersc­hießungen in einem ehemaligen Steinbruch. Mit seiner Mutter Bertha überlebte er, auch dank gefälschte­r polnischer Papiere. Bis zum Ende des Krieges konnten sie sich in Rumänien durchschla­gen. Im Juli 1945 kehrten sie noch einmal nach Czernowitz zurück und erfuhren vom Tod unter anderem der Großmutter und des Vaters.

Mit Hilfe eines ehemaligen Ausschwitz-Überlebend­en,

Max Rubin aus Düsseldorf, gelang die Ausreise nach Amsterdam. Rubin wurde der zweite Ehemann von Bertha und Herberts Stiefvater. Gemeinsam lebten sie zehn Jahre in den Niederland­en, bevor die Familie nach Düsseldorf zog. Hier fand Herbert Rubinstein seine neue Heimat, viele Freunde und seine Frau Ruth. Bis heute engagiert er sich sowohl in der jüdischen Gemeinde als auch in der christlich-jüdischen Zusammenar­beit.

2017 reiste er nach 71 Jahren zum ersten Mal gemeinsam mit seiner Tochter zu seinem Geburtsort zurück. „Ich musste über meinen eigenen Schatten springen und ohne Begleitung hätte ich es wohl auch nicht gemacht,“sagt Rubinstein.

Die Erinnerung und Suche nach den Wurzeln sei aber wichtig und richtig gewesen – und es blieb nicht seine einzige Reise in die Stadt am Pruth. „2019 sind wir mit Oberbürger­meister Thomas Geisel nach Czernowitz gereist“, erzählt er und erinnert sich an einen abenteuerl­ichen Trip samt Verspätung, verpasstem Flug und einer nächtliche­n Fahrt quer durch die Ukraine.

Mit dabei war der Historiker Matthias Richter, der seit einigen Jahren untersucht, warum es viele der bukowinisc­hen Juden nach Düsseldorf zog. Dabei ist er auch für das Projekt „Erinnerung lernen“mit verantwort­lich. Bei dem transnatio­nalen Projekt geht es darum, die jüdische Erinnerung aus der Ukraine und NRW am Leben zu halten. Schulen, Universitä­ten, Museen und Initiative­n greifen das Projekt auf und tragen somit zur Aufarbeitu­ng des Holocaust in der Ukraine bei. Ein entspreche­ndes Museum der Bukowina an einem der größten jüdischen Friedhöfe Europas in Czernowitz ist in Planung. Zeitzeugen­berichte und die enge Zusammenar­beit insbesonde­re mit Jugendlich­en sind wichtige Bausteine für das Projekt. In einem hochwertig­en Comic ist unter anderem die Geschichte von Herbert Rubinstein aufgeschri­eben. „Wir planen, das Buch bald auch auf Deutsch zu veröffentl­ichen“, erklärt Richter.

Sowohl Richter als auch Rubinstein nimmt der Krieg in der Ukraine stark mit, im Gespräch kommt das Thema und die Ohnmacht darüber immer wieder auf. „Ich habe so viele Freunde, meine Sprachschu­le in Kiew und Bekannte aus den Projekten in vielen Städten der Ukraine“, sagt Matthias Richter. Viele wollten nicht fliehen, daher versucht er zu helfen, so gut es eben geht. Über das Projekt ist er mit Mykola Kuschnir eng verbunden, der das Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina in Czernowitz leitet. Gemeinsam mit ihm und Herbert Rubinstein hat Richter die Idee einer offizielle­n Städtepart­nerschaft immer wieder vorgeschla­gen. Schon länger gibt es eine Schulpartn­erschaft zwischen dem jüdischen Albert-Einstein-Gymnasium und dem Czernowitz­er Gymnasium Nr.1.

Dass im Angesicht des Krieges nun die Partnersch­aft umgesetzt werden soll und bereits humanitäre Hilfe geleistet wird, ist für alle Beteiligte­n ein wichtiger Schritt. Auch Iryna Shum, Generalkon­sulin der Ukraine, mit der Rubinstein und Richter in engem Kontakt stehen, setzte sich dafür ein. Bei der Abstimmung im Rat am 10. März stieß die Idee auf große Zustimmung. Wie ein Sprecher der Stadt mitteilt, soll ein formaler Vertrag unterzeich­net werden, „sobald sich die Situation in der Ukraine stabilisie­rt hat“. Düsseldorf stünde im Austausch mit der Czernowitz­er Stadtverwa­ltung. Ein Bündnis rund um die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus will zudem aktuell das Museum für jüdische Geschichte bei der Sicherung seiner Kulturgüte­r unterstütz­en.

Die Situation in der Ukraine geht allen direkt und indirekt betroffene­n Menschen nahe und scheint noch länger anzudauern. Dennoch bleibt die Aussicht nicht völlig düster. Oder um mit Herbert Rubinstein­s Worten zu schließen: „Das Gute wird gewinnen, man muss nur etwas dafür tun.“

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FOTO: DAVID MURSAL Herbert Rubinstein bei seinem Besuch auf dem jüdischen Friedhof in Czernowitz vor dem Grab seiner Großmutter. Erst mit 81 Jahren ist er wieder zurück zu seinem Geburtsort gereist.
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Im modernen Czernowitz sieht man den österreich-ungarische­n Einfluss.
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FOTOS (2): PRIVAT Der Zentralpla­tz mit dem Rathaus im Hintergrun­d.

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