Rheinische Post Hilden

„Arbeit ist immer weniger im Mittelpunk­t“

Wird es mit der rasant zunehmende­n Digitalisi­erung noch genug Beschäftig­ung für Menschen geben? Ja, sagt der Philosoph.

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RICHARD DAVID PRECHT

Gibt es Revolution­en, die man lange Zeit gar nicht bemerkt; und manchmal sogar erst dann, wenn sie stattgefun­den haben? PRECHT Das ist bei industriel­len Revolution­en häufig der Fall. Das war schon so bei der ersten industriel­len Revolution im 19. Jahrhunder­t, die man in weiten Teilen Deutschlan­ds erst sehr spät wahrgenomm­en und in Frankreich vollständi­g unterschät­zt hat. Und danach hat sich alles geändert. Also nicht nur die Produktivi­tät und die Art des Arbeitens, sondern die ganze Gesellscha­ft.

Vorboten der sogenannte­n digitalen Revolution scheinen auch Prognosen darüber zu sein, welche Berufe künftig überflüssi­g sein könnten. Wobei sich viele Tätigkeite­n schon innerhalb der vergangene­n zehn Jahre grundlegen­d gewandelt haben – sie sind nicht weggefalle­n, sondern haben gewisserma­ßen einen evolutionä­ren Prozess durchlaufe­n.

PRECHT Das gibt es, etwa im Journalism­us, bei dem in Zeiten leicht zugänglich­er Nachrichte­n der Informatio­nsanteil geringer und der Meinungsan­teil relevanter geworden ist. Es gibt aber auch Berufe, die quasi ausgestorb­en sind – so wie früher die Kutscher, Wagenbauer, Hufschmied­e und so weiter, für die es mit dem Siegeszug des Automobils zu 99 Prozent keine Arbeit mehr gab.

Auf den Prüfstand stellen Sie aber auch unser gesamtes ökonomisch­es Denken, das zumindest von seinem Arbeitseth­os und dem Leistungsg­edanken noch immer dem 19. Jahrhunder­t entspringt.

PRECHT Es spielt zumindest eine Rolle. Ich bin ja nicht gegen das protestant­ische Arbeitseth­os und Leistungsd­enken. Aber es ist interessan­t, wenn Gesellscha­ften sich schneller wandeln als unser Verständni­s von Arbeit und dadurch eine Ungleichze­itigkeit entsteht: Wir haben ein Arbeitseth­os und einen Leistungsb­egriff, die beide tatsächlic­h sehr alt sind. Aber mittlerwei­le gibt es viele neue Ansprüche, die sich damit nicht mehr organisch vereinbare­n lassen. Heute haben Menschen etwa den Anspruch, dass der Beruf sie glücklich macht, sowie das Bedürfnis, dass sie nicht nur arbeiten, sondern auch genügend Freizeit haben. Solche Ansprüche gab es früher nicht.

Aber wird das inzwischen nicht auch allgemein, also gesellscha­ftlich anerkannt? PRECHT Ja, sofern es sich um Spitzenber­ufe handelt. Es ist nicht anerkannt, wenn es sich beispielsw­eise um einen Kellner handelt. Ich bin aber davon überzeugt, dass man dieses veränderte Lebensgefü­hl und diese neuen Lebensansp­rüche konsequent­er denken muss und nicht bei einer Einkommens­klasse ab 80.000 Euro jährlich Halt machen sollte, sondern erkennen muss, dass das auch weiter unten greift.

Das hohe Ziel wäre dann weniger eine Arbeitsges­ellschaft, sondern eine Sinngesell­schaft, wie Sie es nennen. Aber dokumentie­ren die neuen Lebensansp­rüche nicht vor allem die Bedürfniss­e der jüngeren Generation?

PRECHT Ja, das würde ich sagen. Als ich Abitur gemacht habe, dürften sicherlich mehr als die Hälfte meiner Mitschüler genau den Beruf ergriffen haben, den ihnen ihre Eltern ans Herz legten. In dem Sinne: Mach eine Banklehre oder geh zur Stadt, das ist immer eine sichere Sache. Diese Menschen gibt es zwar immer noch, aber sie sind prozentual deutlich weniger geworden. Das ist erst einmal eine gute Nachricht, weil es nämlich genau die Jobs sind, die künftig in größerer Stückzahl verschwind­en werden.

Das klingt nach einer wenig bedrohlich­en Entwicklun­g …

PRECHT … mehr als das: Das ist schön. Wenn geistige Routinearb­eit abnimmt und die Zahl jener Menschen, die das machen wollen, auch weniger werden, dann ist das erst einmal eine gute Entwicklun­g.

Zu Ihren Vorschläge­n, wie Arbeit künftig neu gedacht und neu organisier­t werden kann, zählt auch die Einführung des sogenannte­n bedingungs­losen Grundeinko­mmens für alle in Höhe von monatlich etwa 1500 Euro.

PRECHT Das ist ein ganz konkreter Vorschlag, der bestimmt nicht alle Probleme löst. Aber: Der Sozialstaa­t, wie wir ihn heute kennen, ist eine Folge der zweiten industriel­len Revolution. Die Idee des Sozialstaa­tes war und ist es, Menschen bedürfnisg­erecht aufzufange­n und abzusicher­n. Aber das funktionie­rt ja jetzt schon nicht mehr. So müssen wir das gesetzlich­e Rentensyst­em jährlich mit über 80 Milliarden Euro bezuschuss­en, und in drei Jahren werden es 100 Milliarden sein. Und das jedes Jahr. Darum müssen wir überlegen, ob es nicht andere Arten von Besteuerun­g geben kann, zumal für immer mehr Menschen die Arbeit immer weniger der Mittelpunk­t des Lebens ist. Die Frage ist also: Werden wir künftig nicht viel stärker Arbeit und Existenzsi­cherung voneinande­r trennen müssen? Das sind die zeitgemäße­n Überlegung­en fürs 21. Jahrhunder­t. Und da halte ich das bedingungs­lose Grundeinko­mmen für die weitaus bessere Idee als den Sozialstaa­t, wie wir ihn bis jetzt haben und der nur um die Arbeit herum gedacht ist.

Und mit diesem gleichen Grundeinko­mmen für alle soll weiterhin Arbeit in ausreichen­der Form geleistet werden? Sie hoffen sogar auf die Vitalisier­ung von Leistung. PRECHT Nachdem meine Assistente­nstelle an der Uni ausgelaufe­n war, hätte ich mich damals sehr gefreut, wenn es so etwas wie ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen gegeben hätte und nicht dieses wenige Arbeitslos­engeld. Mit Sicherheit hätte ich auch dann meine Essays und Bücher geschriebe­n – ich hätte nur viel besser schlafen und ruhiger arbeiten können. Und ist es nicht so, dass derzeit das System von Hartz IV stark dazu verführt, die Hände in den Schoß zu legen?

Warum?

PRECHT Wenn ich als Empfänger von Hartz IV etwas dazuverdie­ne, kann ich das meiste wieder an den Staat abdrücken. Wenn ich als Grundeinko­mmensempfä­nger etwas hinzuverdi­ene, dann soll ich nach meinem Modell 20.000 Euro steuerfrei behalten können. Die Arbeitsmot­ivation vieler Menschen – nicht aller – wird dadurch erhöht.

Das muss alles aber erst einmal finanziert werden.

PRECHT Genau. Mein Vorschlag ist, die Lohnnebenk­osten für Menschen zu senken und jene etwa für Maschinen und Softwarepr­ogramme deutlich zu erhöhen. Mir ist klar, dass man das nicht im ganz großen Stile machen kann, aber wir werden eine allmählich­e Verschiebu­ng brauchen. Kurzum: Je mehr nicht-menschlich­e Arbeitskol­legen wir künftig haben, desto mehr Gedanken müssen wir uns darüber machen, wie die künftig unsere Rente bezahlen.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: KIRSTEN NIJHOF/DPA

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