Was das Kohleembargo bedeutet
Für Industrie und Verbraucher sind die Beschränkungen verkraftbar. Beim Gas sieht es anders aus.
DÜSSELDORF Die Europäische Union geht bei den Sanktionen gegen Russland einen Schritt weiter und verabredet ein Kohleembargo. Das trifft auf die Zustimmung der Wirtschaft in Deutschland. „Die Gräueltaten in Butscha verlangen nach einer entschiedenen, unmissverständlichen Reaktion des Westens. Ein europaweit abgestimmtes Embargo auf russische Kohle geht über die von den Unternehmen bereits umgesetzte Reduzierung russischer Kohlelieferungen noch einmal deutlich hinaus. Die Umsetzung ist nicht einfach und hat ihren Preis, aber die Entscheidung ist vor dem Hintergrund der Eskalation der Gewalt mehr als nachvollziehbar“, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI).
Ist ein Kohleembargo für die Wirtschaft verkraftbar Ja. Deutschland bezog zwar bislang 50 Prozent seiner Steinkohle aus Wladimir Putins Reich, womit Russland der größte Lieferant des Rohstoffs ist. Aber es gibt weltweit viele Anbieter, die per Schiff oder Bahn liefern. Unternehmen haben laut Bundeswirtschaftsministerium Lieferketten bereits jetzt neu aufgestellt. In den nächsten Wochen werde die Abhängigkeit bei Kohle auf 25 Prozent sinken, erklärte das Ministerium vor Kurzem, bis zum Frühsommer werde ein Großteil der Betriebe auf russische Steinkohle verzichtet haben. „Es braucht langfristig durchhaltbare Sanktionen, die den Aggressor stärker bestrafen als uns Europäer. Für Kohle trifft das zu: Sie lässt sich auf dem Weltmarkt durch Lieferungen aus anderen Ländern ersetzen und prinzipiell mit der vorhandenen Transport-Infrastruktur zu den Nutzern bringen“, so Russwurm.
Was folgt für Wirtschaft und Verbraucher Der Preis für Steinkohle hat sich seit Januar verdoppelt, seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar ist er noch stärker gestiegen. Doch die Auswirkungen des jetzigen Embargos beim Strom dürften überschaubar sein: Nur 9,5 Prozent des deutschen Stroms wird aus Steinkohle erzeugt. Die Stromerzeuger werden nun noch schneller auf andere Lieferanten umsteigen müssen.
Ist ein Gasembargo auch verkraftbar Das ist umstritten. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Mittwoch, dass er mittelfristig auch mit Importstopps für russisches Öl und Gas in Europa rechne. Die Ukraine fordert diese Sanktion bereits seit längerer Zeit. Beim Gas aber hat Deutschland ein Problem, auch wenn der Anteil Russlands an den Gasimporten inzwischen von 55 auf 40 Prozent gesunken ist. „Ein Komplettausfall russischer Gaslieferungen wäre ein gewaltiger Stresstest für die Europäische Union – mit unabsehbaren Folgen für Versorgungssicherheit, Wachstum, Beschäftigung und unsere politische Handlungsfähigkeit“, warnte Russwurm. Vor allem in den Branchen Chemie, Stahl und Glas seien die Sorgen groß. „Dieser Stopp könnte in kurzer Zeit unsere politische und wirtschaftliche
Handlungsfähigkeit sowie den sozialen Zusammenhalt signifikant schwächen“, mahnt das Bündnis „Zukunft der Industrie“, dem Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände angehören.
Was sagen Ökonomen Der Bonner Forscher Moritz Schularick hält ein Gasembargo für verkraftbar und erwartet allenfalls einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,5 Prozent. Das Essener RWILeibniz-Institut und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) warnen hingegen. Die Folgen wären stark steigende Energiekosten und ein Rückgang des BIP in diesem Jahr von mehr als sechs Prozent, heißt es im Risikoszenario des IMK. Ifo-Präsident Clemens Fuest steht dazwischen: „Falls es überhaupt sinnvoll ist, Gasimporte aus Russland einzustellen, dann sofort. Ob wir im Jahr 2024 diese Importe beenden wollen, wie die Bundesregierung jetzt plant, erscheint heute sehr zweifelhaft.“Denn nach dem Ende des Ukraine-Kriegs sei es klüger, wieder Gas aus Russland zu importieren – sowohl wegen der Kosten der Energieversorgung als auch strategisch, so Fuest. Mit einem dauerhaften Ende der Gasimporte entfiele dagegen die Möglichkeit, auf Russland Druck auszuüben.
„Es braucht Sanktionen, die den Aggressor stärker bestrafen als uns Europäer“Siegfried Russwurm BDI-Präsident