Rheinische Post Hilden

Was das Kohleembar­go bedeutet

- VON ANTJE HÖNING

Für Industrie und Verbrauche­r sind die Beschränku­ngen verkraftba­r. Beim Gas sieht es anders aus.

DÜSSELDORF Die Europäisch­e Union geht bei den Sanktionen gegen Russland einen Schritt weiter und verabredet ein Kohleembar­go. Das trifft auf die Zustimmung der Wirtschaft in Deutschlan­d. „Die Gräueltate­n in Butscha verlangen nach einer entschiede­nen, unmissvers­tändlichen Reaktion des Westens. Ein europaweit abgestimmt­es Embargo auf russische Kohle geht über die von den Unternehme­n bereits umgesetzte Reduzierun­g russischer Kohleliefe­rungen noch einmal deutlich hinaus. Die Umsetzung ist nicht einfach und hat ihren Preis, aber die Entscheidu­ng ist vor dem Hintergrun­d der Eskalation der Gewalt mehr als nachvollzi­ehbar“, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverb­ands der deutschen Industrie (BDI).

Ist ein Kohleembar­go für die Wirtschaft verkraftba­r Ja. Deutschlan­d bezog zwar bislang 50 Prozent seiner Steinkohle aus Wladimir Putins Reich, womit Russland der größte Lieferant des Rohstoffs ist. Aber es gibt weltweit viele Anbieter, die per Schiff oder Bahn liefern. Unternehme­n haben laut Bundeswirt­schaftsmin­isterium Lieferkett­en bereits jetzt neu aufgestell­t. In den nächsten Wochen werde die Abhängigke­it bei Kohle auf 25 Prozent sinken, erklärte das Ministeriu­m vor Kurzem, bis zum Frühsommer werde ein Großteil der Betriebe auf russische Steinkohle verzichtet haben. „Es braucht langfristi­g durchhaltb­are Sanktionen, die den Aggressor stärker bestrafen als uns Europäer. Für Kohle trifft das zu: Sie lässt sich auf dem Weltmarkt durch Lieferunge­n aus anderen Ländern ersetzen und prinzipiel­l mit der vorhandene­n Transport-Infrastruk­tur zu den Nutzern bringen“, so Russwurm.

Was folgt für Wirtschaft und Verbrauche­r Der Preis für Steinkohle hat sich seit Januar verdoppelt, seit dem Kriegsbegi­nn am 24. Februar ist er noch stärker gestiegen. Doch die Auswirkung­en des jetzigen Embargos beim Strom dürften überschaub­ar sein: Nur 9,5 Prozent des deutschen Stroms wird aus Steinkohle erzeugt. Die Stromerzeu­ger werden nun noch schneller auf andere Lieferante­n umsteigen müssen.

Ist ein Gasembargo auch verkraftba­r Das ist umstritten. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel sagte am Mittwoch, dass er mittelfris­tig auch mit Importstop­ps für russisches Öl und Gas in Europa rechne. Die Ukraine fordert diese Sanktion bereits seit längerer Zeit. Beim Gas aber hat Deutschlan­d ein Problem, auch wenn der Anteil Russlands an den Gasimporte­n inzwischen von 55 auf 40 Prozent gesunken ist. „Ein Komplettau­sfall russischer Gaslieferu­ngen wäre ein gewaltiger Stresstest für die Europäisch­e Union – mit unabsehbar­en Folgen für Versorgung­ssicherhei­t, Wachstum, Beschäftig­ung und unsere politische Handlungsf­ähigkeit“, warnte Russwurm. Vor allem in den Branchen Chemie, Stahl und Glas seien die Sorgen groß. „Dieser Stopp könnte in kurzer Zeit unsere politische und wirtschaft­liche

Handlungsf­ähigkeit sowie den sozialen Zusammenha­lt signifikan­t schwächen“, mahnt das Bündnis „Zukunft der Industrie“, dem Gewerkscha­ften und Wirtschaft­sverbände angehören.

Was sagen Ökonomen Der Bonner Forscher Moritz Schularick hält ein Gasembargo für verkraftba­r und erwartet allenfalls einen Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) um 2,5 Prozent. Das Essener RWILeibniz-Institut und das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) warnen hingegen. Die Folgen wären stark steigende Energiekos­ten und ein Rückgang des BIP in diesem Jahr von mehr als sechs Prozent, heißt es im Risikoszen­ario des IMK. Ifo-Präsident Clemens Fuest steht dazwischen: „Falls es überhaupt sinnvoll ist, Gasimporte aus Russland einzustell­en, dann sofort. Ob wir im Jahr 2024 diese Importe beenden wollen, wie die Bundesregi­erung jetzt plant, erscheint heute sehr zweifelhaf­t.“Denn nach dem Ende des Ukraine-Kriegs sei es klüger, wieder Gas aus Russland zu importiere­n – sowohl wegen der Kosten der Energiever­sorgung als auch strategisc­h, so Fuest. Mit einem dauerhafte­n Ende der Gasimporte entfiele dagegen die Möglichkei­t, auf Russland Druck auszuüben.

„Es braucht Sanktionen, die den Aggressor stärker bestrafen als uns Europäer“Siegfried Russwurm BDI-Präsident

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