Rheinische Post Hilden

Die Geistersta­dt Shanghai

Die Furcht vor Zwangsquar­antäne senkt die Investitio­nslaune westlicher Konzerne.

- VON FABIAN KRETSCHMER

SHANGHAI Wer noch Resthoffnu­ng auf ein rasches Ende des Lockdowns in Shanghai hegte, der wurde am Mittwoch eines Besseren belehrt: Unter Hochdruck wird derzeit das „National Exhibition and Convention Center“in das weltweit größte Covid-Feldkranke­nhaus umgebaut. In dessen Hangar-Hallen sollen schon bald 40.000 Betten stehen. Doch trotz der anhaltende­n Ausgangssp­erren steigen die Infektions­zahlen nach wie vor: Zuletzt meldeten die Behörden in der chinesisch­en Wirtschaft­smetropole mehr als 17.000 Neuansteck­ungen.

Dass die Lockdown-Politik wirtschaft­lich tiefe Dellen hinterlass­en wird, steht außer Frage. Doch das Ausmaß der Krise ist dennoch schockiere­nd: Am Mittwoch löste das Wirtschaft­smagazin Caixin mit der Veröffentl­ichung seines Einkaufsma­nagerindex (EMI) für den Dienstleis­tungssekto­r wahre Schockwell­en aus, der im März auf ein Rekordtief gesunken ist. „Das ist beispiello­s“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der europäisch­en Handelskam­mer in Peking: „Das erste Quartal 2021 ist noch leicht besser im Vergleich zum Jahresbegi­nn 2020, aber wir sind auf dem Weg dahin“. Eine schwächeln­de Konjunktur in China hat jedoch auch global überpropor­tional große Auswirkung­en, schließlic­h wird in der Volksrepub­lik ein Viertel des weltweiten Wirtschaft­swachstums generiert. „Wenn China ein Schluckauf hat, bekommen wir alle eine Erkältung“, sagt Wuttke.

Am prekärsten ist die Situation derzeit in der 26-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai; die immerhin knapp vier Prozent des nationalen Bruttoinla­ndprodukts generiert. „Niemand weiß, wann der Lockdown enden wird. Shanghai ist zu einer Geistersta­dt geworden“, sagt Bettina Schön-Behanzin, die die lokale EU-Handelskam­mer leitet. „Wir haben Berichte von Leuten, die täglich um vier Uhr morgens aufstehen – in der Hoffnung, um die Uhrzeit an Essenslief­erungen zu gelangen.“Neben der Sorge um die Nahrungsmi­ttelversor­gung wächst in vielen Familien die Angst, dass sie im Fall einer Corona-Infektion von ihren Kindern getrennt werden. In der Vergangenh­eit haben die Behörden Shanghais infizierte Kinder – darunter auch Babys und Kleinkinde­r – in eigenen CovidKlini­ken untergebra­cht. Nach Protesten kündigte Shanghais Stadtregie­rung am Mittwoch an, dass nicht infizierte Eltern beantragen könnten, Kinder, die besondere Unterstütz­ung bräuchten, in die Isolation begleiten zu dürfen. (mit dpa)

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FOTO: DPA Arbeiter in Schutzanzü­gen entladen einen Lkw mit Lebensmitt­eln.

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