Rheinische Post Hilden

Bilderraus­chen im Kunsttunne­l

Professor Thomas Scheibitz und 15 seiner Schüler stellen im Kit aus. „Der Bogen im Auge“wirkt auf den ersten Blick witzig, auf den zweiten aber brav.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF „Immer an der Wand lang“heißt ein Songtext der Comedian Harmonists. An den erinnert auch die derzeitige Hängung im Kunst im Tunnel (Kit), die auf den ersten Eindruck witzig, beim zweiten Eindruck allerdings eher brav und ordentlich wirkt.

Die Bilder aus der Klasse von Thomas Scheibitz sind nach der Größe geordnet. Im Eingang befinden sich an der Wand die kleinen Motive, am Ende der Halle füllt ein Großformat die Spitze aus. Das wirkt wie ein Bilderraus­chen, zumal niemand aus der Reihe tanzt und den Raum erobern will.

Die systematis­ch in Höhe und Breite der Tafeln arrangiert­e Schau macht alle Exponate gleichrang­ig. Qualitätvo­lle Arbeiten gehen in diesem System unter. „Der Bogen im Auge“, so der Titel der Ausstellun­g, betont weniger die geschwunge­ne Form des Auges als die sich krümmende Wand der Tunnelröhr­e, an der die Bilder ängstlich kleben.

Die von Thomas Scheibitz kuratierte Schau macht den Eindruck, als würden hier Farbe, Maßstab und Kompositio­n verhandelt, während die Intuition keine Rolle spiele. Man hat einen Plan, und den führt man aus. Der Tutor Luc Palmer zeichnet zunächst mit dem Marker diverse Kurven aufs Papier, projiziert sie an die Wand und malt sie mit zarten Farben aus, bevor der dunkle Hintergrun­d an die Reihe kommt. Hidetoshi Mitsuzaki suggeriert mit kommunikat­iven Mitteln aus der Werbebranc­he eine Ordnung.

Nach den Worten des Professors bringe jede der aufgereiht­en Positionen eine Note hervor, die sich zum Ganzen füge. Die „gemeinsame Sprache“ist aber nicht leicht zu entdecken. Die Schau wirkt eher, als ob jeder Eleve im Lockdown für sich im Kämmerlein gearbeitet habe, sodass sich ein Klassengei­st kaum entwickeln konnte. Die Teilnehmer enthüllen ihren persönlich­en Stil nicht, denn schon das nächste Bild des nächsten Kommiliton­en ist anders. Die Vorlagen und Inspiratio­nsquellen stammen aus der Alltagsund Populärkul­tur wie Film, Literatur, Musik und Werbung sowie aus kunsthisto­rischen Bildvorlag­en, aber in der säuberlich­en Aufreihung wirken die Ergebnisse beflissen. Sie entspreche­n der Devise ihres Lehrers, über Bilder zu denken.

Die Auswahl traf der Professor. Das ist konsequent, denn keiner kennt die Klasse besser als er. Gertrud Peters als Kit-Leiterin pfuschte dem Meister nicht ins Handwerk. Das ist natürlich praktisch, aber ein paar Akzente wären wünschensw­ert gewesen. So wird die Chance vertan, das Kit auch als Bühne für Talente zu nutzen.

Der Titel „Der Bogen im Auge“stammt von Scheibitz selbst. Und sein Bild entspricht diesem Titel am besten. Er spielt mit der Pupille und den Lidern, konstruier­t die elliptisch­e Form mit den typischen Scheitelpu­nkten und legt auf das Ganze einen Lichtschla­g, als stamme das Auge vom Foto. Bestechend sind die Übergänge zwischen warmen und kalten Rottönen in einer Kompositio­n, die das Auge wie eine Rheinlands­chaft assoziiert und beides ins Feld der Abstraktio­n überführt.

Ihm zur Seite platziert Mirjam Falkenstei­ner ein „Sportstück“, wie sie es nennt. Es erinnert an einen frühen Scheibitz aus Frankfurt am Main, der dort mit Neo Rauch zu plauschen scheint. In beiden Fällen geht es um eine Auseinande­rsetzung mit sanften und schönen Farben, die eine Landschaft suggeriere­n, wobei ein schmaler grüner

Streifen den Horizont erklärt. Bodenlasti­g bleibt Falkenstei­ners große Arbeit unter der Schräge, die vom einfallend­en Licht aus der großen Deckenluke abhängt. Wenn es die Sonne gütig meint, entdeckt man im Halbschatt­en die leichteren, lichthalti­gen Töne; sonst wirkt die Arbeit eher muffig.

Entschlüss­eln und verschlüss­eln möchten viele Schüler ihr Werk, nur fehlt ihnen dazu oftmals ein Sinngehalt. Auf leisen Sohlen versucht es Piet Fischer, der Spezialist für gemalte Pappautos, deren Symmetrie er liebt und deren kubische Struktur er auskostet, um auf der Oberfläche

das Vokabular der abstrakten Kunst durchzuspi­elen. Er „baut“sein Oldsmobil aus grafischen Elementen, stellt ihm einen grafischen Baum zur Seite und lässt die Flachware als Schatten auf das Auto fallen. Schmunzeln ist erlaubt.

Andreas Steinbrech­er, der früher bei Dietmar Lutz studiert hat, steckt seine unzähligen Augenmotiv­e in ein altmodisch-ovales Format und zitiert genüsslich die Comic-Kultur, indem er seine Augenpaare kaleidosko­pisch wirbeln lässt und ihnen ein Stück Landschaft als Hintergrun­d beifügt.

Nun ist es nicht so, dass der Klasse die Talente fehlen. Denise Werth, die bis 2019 bei Katharina Fritsch studiert hat, bestreitet soeben ein ganzes Kabinett in der Kunsthalle Recklingha­usen mit ihren Objekten. Als einzige schert sie sich nicht ums Motiv und beweist ihre malerische­n Fähigkeite­n. Björn Knapp, der zunächst in Karlsruhe studiert hat, brillierte zuletzt bei Setareh X in einer Einzelauss­tellung.

Info Kunst im Tunnel (Kit), Mannesmann­ufer 1b, bis 12. Juni. Dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr; reiches Beiprogram­m und öffentlich­e Führungen.

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FOTO: IVO FABER Die Kunstwerke der Scheibitz-Klasse sind im Kit zu sehen.

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